«Die Erziehung kann nicht an den Staat delegiert werden»

«Die Erziehung kann nicht an den Staat delegiert werden»

Interview mit Regierungsrätin Karin Keller-Sutter

thk. Die gewalttätigen Ausschreitungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen diesen Sommer in London und anderen englischen Städten füllten die Schlagzeilen der Medien. Fassungslos realisierte die Öffentlichkeit das sinnlose Zerstörungspotential, das hier evident wurde. Kein Aufstand einer darbenden Unterschicht, sondern wohlhabende Bürgerkinder wurden per Facebook und Twitter von wem auch immer zur Zerstörung und Plünderung angestiftet. Nur wenige Wochen später bietet sich ein ähnliches Bild in der Zürcher Innenstadt. Wieder junge Erwachsene und Jugendliche, die ohne einen Anlass einer ungeahnten Zerstörungswut freien Lauf lassen – per SMS an den betreffenden Ort gelotst. Letzte Woche traf ein Fussballschiedsrichter beim Zürcher Lokalderby einen mutigen Entscheid. Zum ersten Mal musste in der Schweiz ein Schiedsrichter wegen gewalttätiger Ausschreitungen im Stadion ein Spiel abbrechen. Diese Ereignisse rütteln auf und verlangen Antworten. Zeit-Fragen hat die St. Galler Regierungsrätin Karin Keller-Sutter, Departement für Justiz und Sicherheit, gefragt, wo sie die Ursachen für diese Gewaltausbrüche sieht und welche Massnahmen zu ergreifen sind.

Zeit-Fragen: Im Zusammenhang mit den Unruhen in England stellt sich die Frage, wie man verhindert, dass ein Teil der jungen Generation ohne Bezug zu den sozialen Aufgaben der Gesellschaft aufwächst. Dass England nicht etwas ganz Ausgefallenes ist, zeigte sich am letzten Samstag in Zürich. Zwar hat es noch nicht solche Ausmasse angenommen, aber innert kurzer Zeit ist die Gewalt eskaliert. Damit so etwas nicht passiert, müssen doch alle Teile in der Gesellschaft ihren Teil dazu beitragen. Wie sehen Sie das grundsätzlich?

Karin Keller-Sutter: Ja, natürlich, die ganze Gesellschaft trägt Verantwortung. Es gibt ja auch in der Schweiz Phänomene, die darauf schliessen lassen, dass gewisse Minderheiten nicht mehr wissen, wie man mit der Freiheit in der Gesellschaft umgeht. Ich denke etwa an die sogenannten «Event-Chaoten», die Zürich heimsuchen, aber auch an die Personen, die am Rand von Sportanlässen für Gewaltausschreitungen sorgen. Gewalt kann in einer Gesellschaft nie ganz verhindert werden. Wichtig ist aber, dass die Minderheiten, die für sich alle Freiheiten beanspruchen, nicht eine Entwicklung generieren, die letztlich die Freiheit aller Bürger einschränkt.

Welche Bedeutung ist Ihrer Meinung nach dem Elternhaus und der Erziehung beizumessen? Welche Aufgaben haben sie in diesem Zusammenhang zu erfüllen?

Die Erziehung, d.h. die Zuwendung, die Zeit, die man mit Kindern verbringt, hat erwiesenermassen eine grosse Bedeutung. Prof. Killias hat eine Studie im Kanton St. Gallen gemacht, aus der hervorgeht, dass Kinder, deren Eltern klare Grenzen setzen, wissen, wo ihre Kinder den Ausgang verbringen, und ihnen dabei Zeitvorgaben machen, weniger gefährdet sind als Kinder, deren Eltern sich nicht interessieren.

Wie findet ein junger Erwachsener seinen Weg, so dass er zu einem tragenden Teil der Gesellschaft werden kann? Welche Aufgabe haben in diesem Zusammenhang die Schule und die Ausbildung?

Schule und Ausbildung sind wichtige Stützen und Orientierungshilfen. Sie fordern Jugendliche und sind sinnstiftend. Wer das Gefühl hat, er könne etwas, werde geschätzt und gebraucht, findet seinen Weg einfacher und entwickelt auch Selbstbewusstsein.
Neben der persönlichen Entwicklung eines jungen Menschen muss auch immer im Auge behalten werden, dass der junge Erwachsene sich auch als Teil der Gesellschaft verstehen muss, in der er Aufgaben zu erfüllen hat und Verantwortung darin wahrnehmen muss. Wie wird unsere Jugend zu einem konstruktiven Mitspieler, der sich nicht von Facebook und Twitter manipulieren lässt und für undurchsichtige Aktionen missbraucht werden kann?
Hier haben auch die Eltern eine wichtige Rolle. Neue Technologien und Informationsmittel gehören zur heutigen Gesellschaft. Allerdings muss damit ein sinnvoller Umgang gefunden werden. Ich erinnere mich, dass in meiner Generation das Fernsehen schon fast «verteufelt» wurde und man glaubte, aus der ersten TV-Generation werde gar nichts. Auch die Schule und die Polizei bieten übrigens Kurse für den sinnvollen Umgang mit dem Internet an und machen auf Gefahren aufmerksam.

Wie und wo sehen Sie die Rolle der Politik?

Die Politik setzt den Rahmen und greift dann ein, wenn es zu Gesetzesübertretungen kommt. Die Erziehung kann jedoch nicht an die Politik oder den Staat delegiert werden. Kinder zu haben, bedeutet, eine grosse Verantwortung wahrnehmen zu müssen und zu dürfen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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