Demokratie braucht Persönlichkeiten

Demokratie braucht Persönlichkeiten

Kommende Weichenstellungen für Deutschland

von Karl Müller

11 Abgeordnete aus der Bundestagsfraktion der CDU/CSU und 4 Abgeordnete der FDP-Fraktion haben am 29. September 2011 im Deutschen Bundestag anders entschieden als die Spitzen ihrer Fraktion und die Mehrheit ihrer Fraktionskollegen. Dies ist ein Anlass, wieder einmal darüber nachzudenken, welche Bedeutung der Einzelne, die Persönlichkeit in der Geschichte hat und haben kann. Diese 15 Abgeordneten haben bewiesen, dass der Einzelne sich dafür entscheiden kann, etwas anderes zu tun, als «das System», «die Medien», «die Partei» von ihm «fordern». Menschen, auch Politiker, sind keine Maschinen, die wie willenlose Objekte programmiert werden können. Sie haben die Möglichkeit (und auch die Pflicht), sich frei und verantwortungsbewusst zu entscheiden.

Man stelle sich einmal vor, nicht nur diese 15, sondern die Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, 311 Persönlichkeiten, hätten sich so entschieden wie diese 15. Dann hätte Deutschland die Erweiterung des EFSF abgelehnt und der Zukunft Europas eine andere Richtung gegeben. Wären dann andere Staaten gegen Deutschland vorgegangen? Wäre Deutschland, Europa oder gar die Welt dann untergegangen? Sicher nicht! Unter zivilisierten Völkern und Menschen hätte gegolten: Man setzt sich zusammen und überlegt eine bessere Lösung als die bisher vorgeschlagene.
Richtig ist: Wer heute den Mainstream in der EU in Frage stellt, dem bläst ein mächtiger Wind entgegen. Das haben die obengenannten Bundestagsabgeodneten erlebt, das haben in den vergangenen Tagen auch die mutigen Slowaken um Richard Sulík erlebt. Richtig ist aber genauso: Sich nur noch mit dem Mainstream abzufinden und die eigene Meinung zu unterdrücken bedeutet nichts anderes als das Ende jeglicher Demokratie. Wenn der Einzelne anfängt, daran zu zweifeln, dass er als Mensch und Persönlichkeit etwas bewirken kann, und sich selbst als ohnmächtig und getroffene politische Entscheidungen nur noch als «alternativlos» sieht – was als Ideologie doch nichts anderes ist als ein gezielter Angriff auf das Bewusstein von Freiheit und Verantwortung –, dann stirbt die Demokratie. Das gilt für jedes Land, das gilt auch für Deutschland.
Weitere Gefahren, speziell für Deutschland, sind:
•    Der bisherige Weg einer «Vertiefung der europäischen Integration» bedroht die deutschen Verfassungsgrundlagen. Das haben nicht zuletzt 3 Grundsatzentscheidungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts (Urteil zum Vertrag von Maastricht, Urteil zum Lissabon-Vertrag, Urteil zur sogenannten Griechenlandhilfe und zum sogenannten Euro-Rettungsschirm) deutlich gemacht – die deshalb auch von denjenigen, die mehr Macht für die EU-Behörden in Brüssel und Strassburg, die einen europäischen Bundesstaat wollen, heftig kritisiert wurden.
Allerdings befindet sich die Europäische Union noch immer auf genau diesem Weg. Karl Albrecht Schachtschneider und seine Kollegen haben dies erneut in 2 Büchern (W. Hankel, W. Nölling, K.A. Schachtschneider, D. Spethmann, J. Starbatty: «Das Euro-Abenteuer geht zu Ende. Wie die Währungsunion unsere Lebensgrundlagen zerstört», 2011, ISBN 978-3-86445-001-3, sowie Karl Albrecht Schachtschneider: «Die Rechtswidrigkeit der Euro-Rettungspolitik. Ein Staatsstreich der politischen Klasse, 2011, ISBN 978-3-86445-002-0) dargelegt. Sie haben mit dem Titel des ersten Buches aber auch deutlich gemacht, dass dieser Weg zu Ende geht.
Wenn der deutsche Bundespräsident Christian Wulff zum 60jährigen Bestehen des Bundesverfassungsgerichts fragt: «Leidet nicht die elementare Grundbedingung unseres Verfassungssystems – die Rechtstreue der Bürger –, wenn rechtliche Bindungen beiseite geschoben werden – von Wirtschaftseliten, die Verträge missachten, von der Politik, die bestehende Regeln aussetzt […]?» … und im Hinblick auf eine Reihe von fundamentalen politischen Eilentscheidungen der vergangenen 3 Jahre hinzufügt: «Das Grundgesetz zwingt uns bei Entscheidungsprozessen, die das Leben der Bürger betreffen, zur Transparenz, zur Sorgfalt und zum Nachdenken. Demokratische Verfahren sind anstrengend, sie brauchen Raum für Diskussionen, für Überzeugung und Konsens, sie benötigen Zeit. Dies gilt besonders dann, wenn die Entscheidungen Weichen für unsere Zukunft stellen» – dann wird ersichtlich, an welchem Scheideweg sich die deutsche Politik mittlerweile befindet.
•    Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat signalisiert, dass sie dem Druck von IWF und Weltbank und damit dem Druck der US-Regierung nachgeben und Banken, die sich mit Staatsanleihen verspekuliert haben, Beträge in Milliardenhöhe zur sogenannten Rekapitalisierung bereitstellen will – wieder Geld der deutschen Steuerzahler. An die Stelle der «Refinanzierung» von Staaten soll nun ganz offen die «Rekapitalisierung» von Banken treten – was auch ein besonderes Licht auf die vom deutschen Parlament beschlossene Neufassung der EFSF wirft, die ja genau diese Befugnis mittelbar neu erhalten hat …
•    Es wäre aber viel zu kurz gegriffen und lediglich im Interesse der Parteien, welche in Opposition zur Regierung stehen, würde man sich darauf beschränken, nur diese Bedrohungen der deutschen Demokratie zu nennen. Die Spitzen von SPD und Grünen haben sich noch viel stärker in Richtung «Vertiefung der Integration» innerhalb der EU festgelegt, haben sich auch (siehe unten) viel deutlicher für weitere deutsche Kriegseinsätze ausgesprochen, so dass ein Wechsel zu einer von diesen Parteien gebildeten Regierung im besten Fall vom Regen in die Traufe führt.
•    Es gibt auch Stimmen in Deutschland – ähnlich denen in der Endphase der Weimarer Republik –, welche die Parteienherrschaft in Deutschland nicht nur kritisieren, sondern an ihre Stelle eine Herrschaft der wenigen (der Experten, der Eliten usw.) setzen wollen. Schon erscheinen selbst in renommierten Verlagen Bücher mit Titeln wie «Weniger Demokratie wagen». Ziemlich Autoritäres bis hin zur vermeintlichen «Weltverbesserung» ist von dieser Seite zu erwarten. Grüne Spitzen muss man auch dazuzählen. Jürgen Trittin, einer der heutigen beiden grünen Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag, hat schon vor 10 Jahren – damals war er Bundesumweltminister – in einem langen Vortrag in Hamburg erläutert, warum er gegen mehr direkte Demokratie, gegen Volksentscheide in Deutschland ist: Heutige Mehrheiten in der Bevölkerung würden sich zuwenig um die kommenden Generationen kümmern. Dafür brauche es die Grünen, als Partei einer heutigen Minderheit, aber als Anwalt und Avantgarde zukünftiger Generationen. Es ist gut, dass nun eine Broschüre erschienen ist, «Die Grünen. Rote Wölfe im grünen Schafspelz» (Autor ist der erfahrene Politikberater Peter Helmes), die über die tatsächliche Politik der grünen Spitzenpolitiker aufklärt.
•    In einem Interview mit dem Magazin Compact (8/2011) hat Karl Albrecht Schachtschneider auf die Frage: «Entwickelt sich die EU zur Diktatur, oder geht alles im Chaos unter?», etwas sehr Interessantes geantwortet: «Das eine ist der Hebel für das andere.» Schutz der Demokratie oder gar mehr Demokratie in Deutschland ist von denjenigen, die mit irgendwelchen Aufstandsszenarien oder gar mit Gewalt liebäugeln, nicht zu erwarten. Wer die Geschichte kennt, der weiss auch, dass sich sehr Reiche und Mächtige im Hintergrund aggressives Protestpotential unter den Bürgerinnen und Bürgern immer wieder für ihre ganz speziellen Interessen zunutze gemacht haben. Man lese dazu nur die Bücher von An­tony C. Sutton über die Wall Street und die russische Revolution («Wall Street and the Bolshewik Revolution», 1974) oder über die Wall Street und den Aufstieg der Nationalsozialisten in Deutschland («Wall Street und der Aufstieg Hitlers», deutsch 2008). Aber auch wenn es niemandem «nutzt»: Es gibt keine «humanitäre» Gewalt. Schon ein Blick auf die Kriege der Nato zeigt, wie verlogen und falsch solche Theorien sind.
•    Im Wissen um die bitteren Erfahrungen der deutschen Geschichte und nun auch wieder der vergangenen 20 Jahre: Die Deutschen und die deutschen Politiker müssen alles tun, um zu verhindern, dass sich Deutschland weiterhin an Angriffskriegen beteiligt. Die US-Regierung, so muss man leider sagen, plant noch immer weitere Kriege und versucht, die Staaten Europas mit hineinzuziehen.
Im demokratischen Staat ist die Verfassung der in konkrete Form gegossene Gesellschaftsvertrag. Gesetze, die sich am Recht orientieren, regeln das Zusammenleben und Zusammenwirken der Menschen. Gesetze alleine reichen nicht, aber ohne Gesetze geht es nicht. Die europäische Aufklärung hat ausführlich begründet, warum die Gesetzgebung in die Hand der Bürgerinnen und Bürger gehört. Der heutige demokratische Verfassungsstaat kennt die unmittelbare Form der Gesetzgebung durch die Bürgerinnen und Bürger (so in der Schweiz möglich) und die nur mittelbare Form der Gesetzgebung der Bürgerinnen und Bürger durch ein von ihnen gewähltes Parlament (so bisher in Deutschland). Im deutschen Parlament, im Deutschen Bundestag, so heisst es in Artikel 38 des deutschen Grundgesetzes, sitzen die gewählten Abgeordneten als «Vertreter des ganzen Volkes», sie sind «an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen».
Derzeit sitzen im Deutschen Bundestag 620 Abgeordnete, jeder von ihnen ein Mensch, der «mit Vernunft und Gewissen begabt» ist. So heisst es in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte für jeden Menschen.
Die zentrale Frage im deutschen Verfassungsstaat lautet also: Was braucht es, damit diese 620 unverwechselbaren Individuen so entscheiden, dass die von ihnen beschlossenen Gesetze wirklich Recht setzen und das Gemeinwohl fördern?
•    Sicherlich braucht es dafür ein neues Selbstbewusstsein der Abgeordneten. Jeder Abgeordnete ist frei in seiner Entscheidung und auch verantwortlich für seine Entscheidung. Es darf keinen Fraktionszwang mehr geben.
•    Dann braucht es ein neues Selbstbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger: Ich wähle nur den Abgeordneten, bei dem ich sicher bin, dass er gemäss Artikel 38 des Grundgesetzes handelt und entscheidet. Dafür wäre auch ein neues Wahlrecht gut, das es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, alle Abgeordneten direkt zu wählen: nicht nur die Abgeordneten im Wahlkreis, sondern auch die Abgeordneten auf den Landeslisten der Parteien in den Bundesländern (Personen statt Parteien wählen!).
•    Drittens: Die Bürgerinnen und Bürger müssen das Recht haben, über ein Referendum die Gesetzgebung des Parlaments zu korrigieren. Die Schweiz lehrt, dass schon die Möglichkeit der Korrektur durchs Volk die Qualität der Gesetzgebung im Parlament enorm erhöht.
Weitere Punkte kommen hinzu. Bei allem zentral ist der Grundgedanke: Der Mensch hat eine Würde, er ist frei und hat Verantwortung. Im Wechselspiel mit dem Du gestaltet er das Zusammenleben und Zusammenwirken – auch als Bürger in seinem Staat. Dies zu erkennen und umzusetzen ist die wohl wichtigste Weichenstellung für Deutschland. Persönlichkeiten, die dabei vorangehen, sind wichtig. Persönlichkeiten, die in der Vergangenheit die Richtigkeit und Wichtigkeit all dessen gezeigt und der Geschichte eine neue Richtung gegeben haben, müssen in Erinnerung gerufen werden.    •

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