Wir brauchen eine junge Generation, die ihre Aufgaben im Leben übernimmt

Wir brauchen eine junge Generation, die ihre Aufgaben im Leben übernimmt

von Dr. Eliane Gautschi, Sonderpädagogin und Schulleiterin

Ende August dieses Jahres veröffentlichte die Suva1 die Resultate einer Studie2 zu gewaltbedingten Körperverletzungen in der Schweiz. Diese Studie wurde von der Sammelstelle für die Statistik der Unfallversicherung UVG (SSUV), einer Abteilung der Suva, durchgeführt. Es ist die Folgestudie einer im Jahr 2009 publizierten Untersuchung3 der gleichen Stelle und zeigt die Ergebnisse der letzten 19 Jahre. Verfasser beider Studien ist Dr. Bruno Lanfranconi, Bereichsleiter Statistik, Suva. Die Fakten sind alarmierend: Gewaltbedingte Körperverletzungen haben in der Schweiz im öffentlichen Raum seit Mitte der 90er Jahre beschleunigt und massiv zugenommen. Eine Trendwende ist laut Studie nicht in Sicht. Eine solche Entwicklung ist bedenklich und zerrüttet das Fundament unseres Rechtsstaates. Die in Windeseile durch SMS am Bellevue und um den Hauptbahnhof Zürich organisierten Krawalle alarmieren, oder wenn gewalttätige Matchbesucher den Abbruch eines Fussballspiels nötig machen wie kürzlich beim Spiel des FCZ gegen GC. Es kann nicht sein, dass länger zu- bzw. weggeschaut oder durch ideologisierendes Argumentieren und Relativieren eine konstruktive Diskussion lahmgelegt wird. In einem Rechtsstaat sind die gesetzlichen Folgen von solch gesetzeswidrigem Handeln klar geregelt und müssen geahndet werden. Die Jugend aber braucht Aufgaben und Pflichten, die sie übernehmen kann und muss, die ihnen Sinn und Halt im Leben geben und mit denen sie als nachfolgende Generation ihre Aufgabe im gesellschaftlichen Zusammenleben übernimmt.

Unfallmeldungen geben klare Daten

Die aktuell veröffentlichte Studie Sammelstelle für die Statistik der Unfallversicherung UVG (SSUV), im folgenden Suva-Studie genannt, schliesst an eine Untersuchung der gleichen Stelle aus dem Jahre 2009 an, welche die Daten bis und mit dem Jahr 2006 aufgearbeitet hatte. Die neue Studie schliesst die Daten bis 2009 mit ein. Als Meldestelle der Unfallversicherungen erfasst die SSUV alle Fälle von 15- bis 64jährigen Erwerbstätigen, die obligatorisch gegen Unfall versichert sind. Das ist ungefähr die Hälfte der ständigen Wohnbevölkerung der Schweiz. Im Jahre 2009 waren das rund 3,9 Millionen Arbeitnehmer.4 Die Daten beziehen sich auf alle Personen, die auf Grund ihrer Verletzungen ärztliche Hilfe brauchten (unabhängig davon, ob auch eine Anzeige gegen die Täterschaft gemacht wurde).

«Ungefähr Mitte der 90er Jahre sind die ersten, sehr realistischen Computerspiele mit gewalttätigen Inhalten auf den Markt gekommen. Ein direkter Zusammenhang zwischen dem Konsum gewalttätiger Medieninhalte und praktiziertem Gewaltverhalten ist in der Literatur gut belegt. Es wird befürchtet, dass Computerspiele die Wirkung passiv konsumierter Medien weit übertreffen, weil sie ein regelrechtes Einüben von Gewaltverhalten bewirken.» Lanfranconi, 2009, S. 3

Schon seit einigen Jahren hatte auch die polizeiliche Kriminalstatistik PKS eine steigende Zahl von gewalttätigen Übergriffen festgehalten. In anderen Studien wurden diese Zahlen jedoch lediglich als Folge eines veränderten Anzeigeverhaltens und einer erhöhten Aufklärungsquote gedeutet: Heute würde schneller eine Anzeige gemacht als früher und es würden mehr Fälle aufgedeckt, deshalb seien die Zahlen höher.5 Diese Argumentation wurde bereits in der Suva-Studie 2009 diskutiert und schlüssig widerlegt. Die nun vorliegenden Daten sind durch Arzt- und Spitalberichte dokumentiert. Behandlungsbedürftige Verletzungen lassen sich nur selten verstecken. Man geht zum Arzt, wenn es die Verletzungen nötig machen, nicht jedes Mal erfolgt eine Anzeige. Die Zahlen belegen eindeutig eine Zunahme der Gewaltfälle unter jungen Menschen in der Schweiz. Die von den UVG-Versicherern registrierten und in der Studie ausgewerteten Fälle von Körperverletzungen durch Gewalt zeigen exakt den gleichen Trend wie die polizeiliche Kriminalstatistik.6

2009: 16 000 gewaltbedingte Verletzungen

Seit Mitte der 90er Jahre hat die Zahl der gewaltbedingten Körperverletzungen um 150 Prozent zugenommen, das besagen die statistischen Zahlen, welche von der Suva-Studie erfasst wurden. Schon in der Studie von 2009 hatte sich gezeigt, dass sich die Anzahl der gewaltbedingten Fälle7 zwischen 1991 und 2006 verdoppelt, das Risiko junger Männer, sich bei gewalttätigen Übergriffen zu verletzen, sogar verdreifacht hatte. Sie zeigt, dass keine Trendwende in Sicht, sondern die Anzahl der gewaltbedingten Verletzungen weiterhin angestiegen ist. Die beschleunigte Zunahme von Gewaltfällen zeigt sich bei den 15- bis 24jährigen am deutlichsten, dann folgen die 25- bis 34jährigen. Die Zahl der 15jährigen ist relativ klein, was aber auch damit zusammenhängt, dass in diesem Alter erst wenige Jugendliche im

«Die gewaltausübenden jungen Menschen bilden eine kleine Minderheit, sowohl unter Schweizern wie unter den Ausländern. Eine kleine extreme Minderheit kann allerdings die Spielregeln einer ganzen Gesellschaft ändern, wenn keine konsequente Kultur des Hinschauens gepflegt wird.» Lanfranconi, 2009, S. 3

Arbeitsprozess integriert und nach dem Unfallversicherungsgesetz versichert sind. Bei den jungen Männern zwischen 15 und 24 Jahren stellt die Studie zwischen 1995 und 2009 eine 300prozentige Zunahme von neuen Fälle fest, bei den gleichaltrigen Frauen sind es 118 Prozent. 2009 erlitten in dieser Alterskategorie 13 von 1000 versicherten Männern eine gewaltbedingte Körperverletzung, bei den Frauen waren es 2–3 Fälle. Selbst bei den Männern im Altersbereich von 35 bis 44 Jahren ist noch eine Zunahme der Gewaltfälle um 58 Prozent nachweisbar. Die schwerwiegendsten Gewaltfälle betreffen Männer zwischen 25 und 44 Jahren. Das trifft auch auf die von Gewalt betroffenen Frauen zu; hier wird vermutet, dass es sich zumeist um Beziehungsdelikte handelt. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung8 dürften, gemäss Studie, 2009 rund 16 000 Personen eine gewaltbedingte Körperverletzung erlitten haben, die einen Arztbesuch erforderte.9

Junge Männer, Wochenende und Nachtstunden

Am häufigsten ereignen sich die gewaltbedingten Delikte in den späten Nacht- oder frühen Morgenstunden im Ausgang am Wochenende. Fast 70 Prozent der Verletzungen von Männern passieren in den Nachtstunden nach Mitternacht bis morgens 6 Uhr, die gefährlichste Zeit ist zwischen 1 und 2 Uhr. Bei den Frauen sind es 50 Prozent aller Fälle, am riskantesten ist es zwischen 2 und 3 Uhr nachts. Gestiegen ist auch die Zahl der nicht ortsansässigen Opfer. Ihr Anteil beträgt bei den jungen Männern mittlerweile 60 Prozent. Wer schon beobachtet hat, wie viele junge Menschen am Wochenende noch zu später Stunde in die Stadt pilgern, den wundern solche Befunde nicht.

Hohe Kosten

In der Studie von 2009 wurden die Kosten für die Behandlung von Personen, die durch Gewalt verletzt wurden, erhoben. Durchschnittlich sind das pro Fall 6700 Franken, sie übertreffen die Durchschnittskosten für Freizeitunfälle um 40 Prozent. Jedoch ist der Anteil von Fällen, bei denen wegen Selbstverschulden die Geldleistungen gekürzt werden, deutlich höher als bei übrigen Freizeitunfällen. Das heisst, dass immer wieder auch Opfer durch eigenes Verschulden (Provokationen, Beteiligung an Raufereien und Schlägereien) in Gefahr geraten sind und deshalb die finanzielle Entschädigung eingeschränkt wird. Trotz dieser Einschränkungen beträgt die Kostensteigerung bei Gewaltfällen von 1991 bis 2006 rund 73 Prozent.10 Zusammengesetzt aus Heilkosten, Taggeldern, Invaliden- und Hinterlassenenrenten haben sich die Kosten für Gewaltfälle von rund 28 Millionen (1991) auf rund 64 Millionen (2005) gesteigert.11

Ursachen der Gewalt

Die Suva-Studie fragt auch nach den Ursachen der auffällig beschleunigten Zunahme der Gewaltbereitschaft junger Menschen. Bereits in der Suva-Studie von 2009 wurde ausführlich auf diese Fragen eingegangen. Die bei der SSUV gemeldeten Gewaltunfälle lassen jedoch keine direkten Schlüsse auf die Gewaltbereitschaft der Betroffenen zu. Befragt man die jungen Gewalttäter selbst, so «[…] ergibt sich ein erschütterndes Bild von Menschen, die selbst noch nicht recht wissen, was mit ihnen wirklich los ist.»12 Persönliche Risiko- bzw. Schutzfaktoren für Gewaltverhalten wurden von Ribeaud/ Eisner in der sogenannten «Zürcher Studie» herausgearbeitet.13

Hinweise für die Prävention

Die Studie führt eine Reihe von Faktoren an, welche die Zunahme von Gewalt begünstigen und erklären.14 Sie geben uns wichtige Hinweise für die Vorbeugung von Gewalttaten und zeigen Möglichkeiten, wie der unheilvollen Entwicklung eine Wende gegeben werden könnte.
Dass es zu Gewaltdelikten kommt, ist laut Studie auf ein Zusammenwirken von verschiedenen Faktoren zurückzuführen. Es wird deshalb die Frage gestellt, was sich seit den 90er Jahren verändert habe, das die alarmierende Zunahme von gewaltbedingten Verletzungen erklären könnte:
Im Unterschied zu früher können junge Menschen bis in die frühen Morgenstunden hinein unterwegs sein. Das Konsum- und Freizeitangebot hat sich enorm ausgeweitet. Die öffentlichen Verkehrsmittel haben an den Wochenenden ein durchgehendes Angebot. Parallel zum «Ausgangstourismus» hat sich der exzessive Konsum von Alkohol, Drogen der verschiedensten Art (auch sogenannte Designer-Drogen) und gewalttätigen Medieninhalten verbreitet. Es erstaunt deshalb nicht, dass in den sogenannten Party-Städten als Zentren des Freizeitkonsums, an den Wochenenden und während der ganzen Nacht die Zahl der gewaltbedingten Unfälle rasant gestiegen ist.

«Vor 15 Jahren hat die Gewalt im öffentlichen Raum plötzlich zugenommen, und sie ist bis heute angestiegen. Eine angemessene Reaktion ist noch nicht gefunden. Mancherorts hat man das Problem noch nicht einmal richtig wahrgenommen.» Lanfranconi, 2011, S. 37

Viele junge Menschen sind in einer Art von Schwärmen unterwegs. Ein Kantischüler erklärte das salopp: «Was glaubt Ihr eigentlich, wofür wir Twitter und Facebook haben?» Er sagte, dass sie in Gruppen auf einen bestimmten Zeitpunkt in bestimmten Lokalen «ihren» Party-Drink konsumieren gingen und sich dann gemeinsam weiteren Aktivitäten widmen. Ein persönliches Sich-Kennen sei dazu nicht nötig. Ein allfällig schlechtes Gewissen wird damit besänftigt, weil man es nur «wie die anderen gemacht hat».
Bei schweren Delikten ist häufig Kokain im Spiel, das laut Klinik-und Spitalangaben von immer jüngeren Menschen genommen wird. Dieses Rauschgift enthemmt kurzfristig, macht aggressiv und setzt die Selbstkontrolle herab.
Manche Jugendlichen sind nur noch spärlich in die elterliche Kontrolle eingebunden; sie halten sich nicht mehr an die von den Eltern angeordneten Heimkehrzeiten und informieren sie oft nicht darüber, mit wem sie wohin gehen; Schulschwänzen ist häufiger geworden und die im Rahmen der Familie verbrachte Zeit kürzer.
Diese Feststellungen sind wichtig für präventive Überlegungen. Junge Menschen brauchen den beziehungsmässigen Halt bei ihren Eltern und in den Familien. Und sie brauchen vor allem einen Sinn im Leben, ein Ziel, das stärker ist als Tittytainment made in USA. Sie müssen schon vor der Pubertät sich ihrer positiven Bedeutung innerhalb des «Bonum Commune», in den Gemeinden, den das allgemeine Wohl und die Kultur tragenden Institutionen und Vereinen, bewusst sein und dort ihren Platz haben. In allen diesen Bereichen wird nachhaltige Jugendarbeit geleistet, die wieder gebührend gewürdigt werden muss. Das gibt unserer Jugend Sinn, innere Erfülltheit und einen Freundeskreis, der sich in positiver Weise in die Gesellschaft integriert.

Computerspiele – Gewaltverhalten wird eingeübt

Als verursachender Faktor wird in der Suva-Studie ebenfalls der erhöhte Medienkonsum angeführt, der heute einen grossen Teil der Freizeit von jungen Menschen ausfüllt. Zeitlich parallel zur Zunahme der Gewaltvorfälle in der Schweiz seien die sehr realistischen –interaktiven! – gewalttätigen Videospiele mit der Verbreitung leistungsstarker Rechner auf den Markt gekommen. Anders als das schon früher eingeführte Fernsehen würden diese Videospiele Gelegenheit bieten, aggressive Verhaltensweisen aktiv einzutrainieren. Die gewalttätigen Inhalte würden als Verhaltensmodelle für den Alltag fungieren und deren Konsum eine Desensibilisierung gegenüber realer Gewalt bewirken.15

Keine «importierte Gewalt» – die Studie der Forschergruppe um Martin Killias

Ebenfalls angesprochen ist in der Suva-Studie die Frage der Nationalität jugendlicher Straftäter. Das geschieht in wohltuend differenzierter Weise. Die verstärkte Einwanderung aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens und Albaniens gehört ebenfalls zu den Faktoren, die seit den 90er Jahren deutlich zugenommen haben und damit parallel zur Zunahme gewaltbedingter Unfälle sind. Die Studie bezieht sich auf die Polizeistatistiken, gemäss derer der Ausländeranteil an ­Delikten für Drohung und Körperverletzung in der Schweiz im europäischen Vergleich extrem hoch ist. Bei den 15- bis 24jährigen unterscheiden sich die schweizerischen Jugendlichen kaum von ihren ausländischen Kollegen. Hingegen ist die Zahl der Fälle in den übrigen Altersklassen bei Personen ausländischer Herkunft höher. Befragungsstudien und die UVG-Daten zeigen, dass die Erklärung dafür nicht darin liegt, dass ausländische Täter häufiger angezeigt oder häufiger Gewaltopfer werden. Hingegen sind ausländische Jugendliche häufiger mit Belastungsfaktoren im familiären, sozialen und schulischen Umfeld belastet.16 Sind junge Schweizer damit belastet, so sind die gleichen Folgen zu beobachten. ­Lanfranconi verweist auf die sehr aufschlussreiche Studie von Killias et al.17 Die Forschergruppe um Professor Killias hat bei einem Vergleich von Jugendlichen in der Schweiz und in Bosnien-Herzegowina festgestellt, dass diese Jugendlichen in ihrer Heimat eher weniger kriminelle Handlungen begehen als ihre Landsleute in der Schweiz. Es ist also keine «importierte» Gewaltkriminalität, die wir hier bei unseren jungen Immigranten vor uns haben. Es scheint eher so zu sein, dass diese Jugendlichen in ihrer Heimat in ihren familiären und sozialen Strukturen gehalten sind, als heranwachsende Generation in ihre Aufgaben eingeführt werden und diese Pflichten ernster nehmen als manche Gleichaltrige aus der Schweiz. Immigrierte Jugendliche und deren Eltern sollten daher besser in die hiesigen Möglichkeiten der Freizeitaktivitäten eingeführt werden, so die Studie von Killias. Diese Präventionsansätze müssten meines Erachtens erweitert werden. Es müsste überlegt werden, wie gesamthaft ein Umschwung unter den jungen Menschen herbeigeführt werden könnte. Es stellt sich unter anderem die Frage, warum viele unserer Jugendlichen ihre Freizeit vorwiegend mit Spassaktivitäten verbringen, die meist keine Verpflichtungen mit sich bringen. Das gilt auch für Schweizer Jugendliche. Dazu würde eine gründliche Analyse der Erziehungspraxis und des Konsum­angebots an Jugendliche hilfreich sein.

Was tun?

Als erstes müssen die Tatsachen ehrlich zur Kenntnis genommen werden. «Aus nicht nachvollziehbaren Gründen ist Schönreden immer noch beliebt»18, hält der Autor fest und meint: «Eine angemessene Reaktion auf die seit gut 15 Jahren kontinuierlich angestiegene Gewalt im öffentlichen Raum ist noch nicht gefunden.»19 Er geht in seinen Schlussbetrachtungen weniger auf mögliche Präventionsansätze bei jüngeren Kindern ein, als auf die Frage, wie die bereits vorhandene Gewalt junger Menschen zurückgedämmt werden kann.20 Dabei stellt er die Frage nach der Wirksamkeit von Strafen.21 Gewalt gehört zu jenen Delikten mit höheren Rückfallquoten, die mit jeder Vorstrafe zunehmen. Der Abschreckungseffekt nimmt mit der Schwere der Strafe und auch der Überführungswahrscheinlichkeit zu. Voraussetzung ist allerdings, dass junge Menschen auch wissen, wann sie straffällig werden und welche Folgen das für sie hat. Hier ist unter anderem Aufklärung angesagt, haben doch 42 Prozent der in der St. Galler-Studie22 befragten Jugendlichen gemeint, sie hätten von der Polizei nichts zu befürchten, da sie noch minderjährig seien (in der Schweiz wird ein Kind mit 10 Jahren strafmündig!). Wirksam scheinen beim einzelnen Täter Strafen zu sein, die gerichtlich ausgesprochen werden, aber relativ massvoll sind. Bisherige Daten sprechen nicht dafür, dass Sozialeinsätze wirksamer sind als unbedingte, kurze Freiheitsstrafen. Ebenso wirken bedingte Geldstrafen statt kurzer Freiheitstrafen oft kontraproduktiv. Die Täter müssen wissen und erfahren, dass etwas Einschneidendes passiert, wenn sie gewalttätig werden, ansonsten ziehen sie den Schluss, dass sie das Gesetz übertreten können, ohne mit Folgen rechnen zu müssen. Hier steht eine eindeutigere Antwort der Gesellschaft auf gewalttätiges Verhalten an, denn wie der Autor meint: «[…] der ungebremste Anstieg der Gewalt im öffentlichen Raum lässt vermuten, dass die gängige Praxis keine ausreichend klar formulierte Botschaft darstellt. Das ist von erheblicher Bedeutung, wenn man bedenkt, dass die Strafrechtspraxis Einfluss auf die moralische Entwicklung der Gesellschaft als Ganzes nimmt.»23
Die Daten der Studie sind klar und zeigen eine bedenkliche Entwicklung auf. Sie zu stoppen sind wir uns und unserem Lande schuldig. «Die gewaltausübenden jungen Menschen bilden eine kleine Minderheit, sowohl unter Schweizern wie unter den Ausländern. Eine kleine extreme Minderheit kann allerdings die Spielregeln einer ganzen Gesellschaft ändern, wenn keine konsequente Kultur des Hinschauens gepflegt wird.»24 Diese Aufgabe muss von jedem in seinem persönlichen und gesellschaftlichen Wirkungsfeld ausgefüllt werden!    •

1    Suva = Schweizerische Unfallversicherungsanstalt
2    Lanfranconi, Bruno. Neuer Höchststand der Gewalt unter jungen Menschen. Ergebnisse der Statistik der Unfallversicherung nach UVG. Herausgegeben von der Sammelstelle für die Statistik der Unfallversicherung UVG (SSUV), 31. August 2011
3    Lanfranconi, Bruno. Gewalt unter jungen Menschen. Diskussionsbeitrag auf der Basis der Daten der Unfallversicherung. Herausgegeben von der Sammelstelle für die Statistik der Unfallversicherung UVG (SSUV), 16. Juni 2009
4    Damit erfasst sind alle Arbeitnehmer, die mindestens 8 Stunden pro Woche beim gleichen Arbeitgeber tätig sind, sowie die Lehrlinge und die registrierten Arbeitslosen.
5    Das betrifft beispielsweise die ansonsten aufschlussreiche sogenannte «Zürcher Studie». Vgl. Ribeaud, Denis und Eisner, Manuel. Entwicklung von Gewalterfahrungen Jugendlicher im Kanton Zürich. Universität Zürich, Dezember 2007
6    Vgl. Lanfranconi, 2011, S. 3 und S. 6 ff.
7    Unfälle bzw. Körperverletzungen durch Gewalteinwirkungen sind definiert durch die Ursachengruppe Rauferei, Streit, Überfall, kriminelle Handlung u.a. Schlägerei, Messerstecherei, Totschlag, Mord. Nicht dazu gehören Fälle von Gewalt gegen sich selber (Suizid), und Vergehen und Verbrechen im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen (z.B. unter Drogen- oder Alkoholeinfluss).
8    Die durch die Suva und die PKS erfassten Zahlen wurden auf die gesamte Wohnbevölkerung hochgerechnet, ausgehend von der Annahme, dass sich die Häufigkeit gewaltbedingter Verletzungen bei den nicht UVG-Versicherten nicht wesentlich von den UVG-Versicherten unterscheidet.
9    Vgl. Lanfranconi, 2011, S. 3 und S. 13 ff.
10    Diese Zahlen waren bezogen auf die versicherten Lohnsummen und um die Lohnteuerung bereinigt.
11    Vgl. Lanfranconi, 2009, S. 15f.
12    Lanfranconi, 2011, S. 38
13    Vgl. Ribeaud, Eisner. 2007
14    Lanfranconi folgt dabei im wesentlichen der Argumentation von Killias et al. Grundriss der Kriminologie. Eine europäische Perspektive. Bern, 2011
15    Lanfranconi, 2011, S. 40 und ders. 2009, S. 24
16    Der Autor verweist diesbezüglich auf die Studie von Ribeaud/ Eisner.
17    Killias. Martin et al. Importierte Gewaltkultur oder hausgemachte Probleme? Zur Delinquenz Jugendlicher aus Südosteuropa in der Schweiz im Vergleich zur Jugenddelinquenz in Bosnien-Herzegowina. www.rwi.uzh.ch/lehreforschung/alphabetisch/killias/publikationen/Bericht_importierte_Gewalt.pdf
18    Lanfranconi, 2011, S. 37
19    Lanfranconi, 2011, S. 5
20    Hier sei auf die ausgezeichneten Materialien der Berner Pädagogikprofessorin Françoise Alsaker hingewiesen. Ebenso auf die von Zeit-Fragen herausgegebene Broschüre Jugend und Gewalt. Unserer Kinder und Jugendlichen brauchen Erziehung von Alfred Burger und Eliane Gautschi.
21    Lanfranconi folgt in seinen Ausführungen zur Wirksamkeit von Strafen im wesentlichen Martin Killias, 2011.
22    Killias, 2011, S. 189
23    Lanfranconi, 2011, S. 46
24    Lanfranconi, 2009, S. 3

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