von Ludwig Watzal
Der Schutz der Menschenrechte ist ins Gerede gekommen, wie absurd dies auch auf den ersten Blick erscheinen mag. Nicht deren Verteidigung steht auf der Agenda der internationalen Politik und des Völkerrechts, sondern sie sind von Aushöhlung und Sinnent-leerung bedroht. Auf die Zerstörung des Völkerrechts, der «rule of law» und der Menschenrechte zielte die Politik des US-Imperiums in der Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 ab. Die Vereinten Nationen galten den neokonservativen «Bush-Kriegern» als «der Feind» schlechthin, und für das Völkerrecht hatten sie nur Verachtung übrig. Aber ebenso verheerend für die Glaubwürdigkeit einer Menschenrechtspolitik haben sich die Kriege erwiesen, die verbrämt als «humanitäre Interventionen» von sogenannten Menschenrechtskriegern/innen angezettelt und legitimiert worden sind. Dazu zählt nicht nur der Kosovo-Krieg, sondern auch der Überfall auf Libyen, wo man unter dem Vorwand der Errichtung einer «Flugver- botszone» zum «Schutz der Zivilbevölke- rung» durch den UN-Sicherheitsrat jetzt im Namen der Nato auf seiten von der CIA implantierter «Aufständischer» Krieg gegen ein UN-Mitglied wider alle UN-Prinzipien führt.
Welche Langzeitfolgen die 9/11-An- schläge für die Bürger- und Menschrechte nicht nur in den USA, sondern weltweit haben, zeigt das Buch des ehemaligen Nahostkorrespondenten der «Neue Zürcher Zeitung», Victor Kocher, der erst seit einem Jahr vom UN-Sitz in Genf für die «Neue Zürcher Zeitung» berichtete. Noch vor der Vorstellung des Buches verstarb der Autor auf tragische Weise bei einem harmlos scheinenden Spaziergang auf vereister Grundlage im schweizerischen Wallis. Kocher gehörte zu den Besten und Kenntnisreichsten seiner Zunft.
Wer ihn erleben durfte, wie er in souveräner Weise die zahlreichen deutsch-arabischen Mediendialoge moderiert hat, in denen er auf fast spielerische Art und Weise nicht nur in seiner Muttersprache, sondern auch auf Französisch, Englisch, Arabisch oder Persisch jonglierte und parlierte, konnte nur bewundernd sagen: Chapeau! Ausserdem war er ein fachlich überaus kompetenter und menschlich aussergewöhnlicher Kollege.
Wie die Uno von den neokonservativen «Bush-Kriegern» so dämonisiert werden konnte, war niemals nachvollziehbar. Ist doch die Weltorganisation auch ein kongeniales Instrument für die Legitimation einer expansiv-aggressiven Politik des US-lmperiums unter dem Deckmantel des Völkerrechts; die «Bushies» agierten nur extrem ungeschickt. Unrecht und die Legitimation von rechtsfreien Räumen durch UN-Resolutionen ist das Thema des Buches von Kocher. Die Uno wollte im Oktober 1999 durch die Verabschiedung der UN-Sicherheitsresolution 1267 Präventivmassnahmen gegen die Taliban und al-Kaida ergreifen.
Tatsächlich schuf man dadurch einen globalen rechtsfreien Raum, der auf einen Schlag Menschen ihrer Bürger- und Freiheitsrechte beraubte. Nach 9/11 wurde diese Resolution «modifiziert», so dass sie zu einem Willkürinstrument wurde, das man nur aus totalitären Staaten kennt.
Der renommierte österreichische Völkerrechtler und ehemalige UN-Sonderberichterstatter über Folter, Manfred Nowak, hat in seinem Vorwort auf die verhängnisvolle Rolle der westlichen Demokratien hingewiesen, die durch ihr Verhalten nicht nur gegen ihre eigenen westlichen Werte handelten, sondern auch die Prinzipien des Rechtsstaates unterminierten und die demokratische Kontrolle ausser Kraft setzten. Der Westen sei auf dem besten Wege, ein oligarchisches System zu errichten.
Die Praktiken der Resolution 1267 hätte man früher eher totalitären Systemen zugeordnet. Wenn eine Person oder Organisation vom «1267-Ausschuss», so Nowak, auf die «Terrorliste» gesetzt worden ist, seien alle UN-Mitglieder völkerrechtlich verpflichtet, gegen sie vorzugehen. Die eingeleiteten Massnahmen bedeuteten das gesellschaftliche und persönliche Aus. Victor Kocher gibt etwa 500 Personen an, die von diesen obskuren Methoden betroffen sind. Als ein Beispiel für viele nennt der Autor den Bankier Jussef Nada, den man auf Grund unterstellter «Terrorverbindungen» mit einem Federstrich ruinierte, und er brauchte fast ein Jahrzehnt, um dieser UN-Schlangengrube zu entkommen. Auf Grund seines hohen Alters verzichtet er auf langwierige Schadensersatzprozesse.
Jeder x-beliebige Geheimdienst kann ihm «verdächtige» Personen auf diese Liste setzen lassen, um sie erstmals aus dem Verkehr zu ziehen; besonders die USA haben davon einen exzessiven Gebrauch gemacht. Beweise bedarf es zur gesellschaftlichen Ausschaltung keiner, wie es keine Berufungsinstanz oder Akteneinsicht in dieses totalitär-denunziatorische System gibt. Erst auf Grund zahlloser Beschwerden von staatlicher und zivilgesellschaftlicher Seite hat sich die Uno 2006 bemüssigt gefühlt, eine Beschwerdestelle einzurichten, seit 2010 gibt es einen «Ombudsmann», dessen Macht aber sehr beschränkt ist. Von den etwa 50 Verfahren endeten nur wenige «erfolgreich». Mit diesem «Terroristen» wird auch erfolgreich Politik gemacht. Es ist nicht verwunderlich, dass diese bis in den Nahen Osten reicht. Bis heute habe sich an dieser rechtswidrigen Praxis nichts Grundlegendes geändert, so der Autor.
Es gab aber auch Widersprüche von seiten einiger Staaten und Individuen: Für die Uno äusserte der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan erste Einwände, und für die Schweiz nahm sich der Parlamentarier Dick Marty, der schon als Sonderberichterstatter des Europarates für Menschenrechte eine herausragende Rolle in der Verteidigung rechtsstaatlicher Prinzipien und der Menschenrechte gespielt hat, der Sache an. Obgleich Depositarstaat der Genfer Konventionen ging die Schweizer Diplomatie die üblichen Wege, indem sie die Nachbarschaft gleichgesinnter Staaten suchte und Studien finanzierte, welche die Möglichkeiten einer Reform des Sanktionsregimes untersuchten, schreibt Kocher. Wer könnte der Schweiz diese Haltung verdenken, sah sie sich doch vor einigen Jahren eines enormen politischen Drucks seitens der Anwälte der Zionistischen Weltorganisation und der US-Regierung wegen der nachrichtenlosen jüdischen Vermögen aus dem Zweiten Weltkrieg ausgesetzt.
Die Konsequenz aus Victor Kochers Buch kann nur lauten: Der «Kampf gegen den Terrorismus» muss wieder mit den Mitteln des Rechtsstaates, des Völkerrechts und der Menschenrechte geführt werden und nicht mit «Waterboarding», anderer Foltermethoden oder brutaler militärischer Gewalt. Die Folterkammern des US-Imperiums in Guantánamo Bay, Abu Ghraib oder Bagram müssen geschlossen werden, und die Länder, in denen die USA Folterungen auf Neudeutsch «outgesourced» haben, müssen zur Rechenschaft gezogen werden.
Das kafkaeske Spiessrutenlaufen der grundlos Verdächtigten und die Prozesse vor Militärtribunalen sind zu stoppen, sonst sind die westlichen Demokratien schon bald nur noch durch eine «demokratische» potemkinsche Fassade von totalitären Regimen zu unterscheiden. Es darf keine weiteren Verbrechen im Namen der «nationalen Sicherheit» mehr geben, da auch eine solche Begründung einem antidemokratischen Gedankengut entspringt.
Der Autor hat nicht nur seinen Kollegen/Innen ein «Vermächtnis» hinterlassen, sondern auch an elementare demokratische Tugenden und Prinzipien erinnert, denen sich vor allem auch die politischen Klassen in Demokratien verpflichtet fühlen sollten. Ein überaus lesenswertes Buch. •
Quelle: International. Zeitschrift für internationale Politik. Heft 2/2011
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