Ein kulturelles, verbindendes, diplomatisches Werk,

Ein kulturelles, verbindendes, diplomatisches Werk, das die zahlreichen historischen und gegenwärtigen Beziehungen zwischen unseren Ländern beleuchtet

Interview mit Anne-Julie Raccoursier

Zeit-Fragen: Sie haben den Projektwettbewerb Kunst am Bau gewonnen, bei dem ein Werk für die Schweizer Botschaft in Moskau zu schaffen war. Was hat Sie veranlasst, daran teilzunehmen?

Anne-Julie Raccoursier: Ich habe mit Freude daran teilgenommen. Es hat mich sehr interessiert, über ein Werk für eine Botschaft nachzudenken, einen Ort der Repräsentation und des Austausches, an einer Schnittstelle von Politik, Kultur und Diplomatie. Ich fand es auch interessant, mich in die Geschichte und die Kultur dieses riesigen Landes zu vertiefen, sowie die Verbindungen zu entdecken, die zwischen Russland und der Schweiz bestanden und bestehen.

Die Architekten haben ihr Projekt «Berner Rosen» genannt. Wissen Sie, was die Architekten bewog, einen Apfelbaum in den Hof der Botschaft zu pflanzen?

Beim Projekt der Architekten werden die neuen Gebäude der Botschaft um einen Innenhof gebaut, der von oben gesehen die Form der Schweiz hat. Sie haben die Umrisse der Schweiz dadurch unterstrichen, dass sie auf dem Boden die Hauptorte der 26 Schweizer Kantone eingezeichnet haben und durch das Pflanzen eines Apfelbaumes der Sorte Berner Rosen in der Mitte des Hofes, an der Stelle der Hauptstadt Bern. Ich denke, die Wahl des Apfelbaumes ist auch historisch inspiriert, denn auf dem Grundstück, auf dem heute die Botschaft in Moskau steht, befanden sich früher die Obstgärten des Zaren.

Woraus besteht Ihr Projekt? Welches ist die Grundidee, die Sie zu realisieren begonnen haben?

Es schien mir schwierig, vom Projekt der Architekten auszugehen und ihren Vorschlag mit einem zusätzlichen Beitrag im Hof zu ergänzen und ihn nicht einzuschränken. Ich wollte ein Werk schaffen, das aus der Botschaft hinausgeht, das in die Schweiz zurückkehren sollte. Ich habe daher den Gedanken gehabt, ihre Idee auszubauen und eine konzeptuelle Antwort beizutragen, welche dazu führt, dass das Werk auch ausserhalb der Botschaft lebendig ist und auch andernorts von der Botschaft gesprochen wird. Ein kulturelles, verbindendes, diplomatisches Werk, das die zahlreichen historischen und gegenwärtigen Beziehungen zwischen unseren Ländern beleuchtet.
Mein Projekt besteht darin, die gleichen Elemente, die 26 Kantone und den Apfelbaum zu verwenden und sie umzukehren. Ich habe vorgeschlagen, dass 26 Apfelbäume, «Brüder» desjenigen, der in Moskau gepflanzt werden wird (sie werden alle durch Pfropfung vom selben Baume gezogen), in jedem der 26 Kantone der Schweiz gepflanzt werden sollen, bei Russen, die in der Schweiz leben, bei Schweizern, die Verbindungen zu Russland haben oder an bestimmten historischen Orten, an denen ein kultureller Austausch zwischen Schweizern und  Russen stattgefunden hat.
Der Apfelbaum der Botschaft in Moskau wird 26 Apfelbaum-Botschafter in der Schweiz haben. Die Menschen, die einen Apfelbaum haben, sei es bei ihnen oder auf öffentlichen Plätzen, werden von der Botschaft sprechen, werden von diesen Beziehungen sprechen. Ich mag auch die Idee, dass es vielleicht ein unsichtbares Band zwischen diesen Bäumen gibt. Sie werden vielleicht miteinander verbunden sein, da sie aus demselben Baum hervorgegangen sind …

Ich finde es eine sehr schöne Idee, die Apfelbäume als Botschafter zu nehmen, die zudem direkte Beziehungen zum Herkunftsland der Botschaft haben.

Es ist schön, weil diese Bäume mit den Menschen wachsen werden, manchmal sind sie bei Familien gepflanzt und später werden es die Kinder sein, sie sich um sie kümmern. Und vor allem denke ich, dass die Geschichte Russlands und seine Verbindungen mit der Schweiz sehr kompliziert sind, weil sie die Periode der Zaren umfasst, die Russische Revolution, die Zeit von Stalin, dann den Kalten Krieg und jetzt gibt es erneut viele Russen, die in die Schweiz reisen, es gibt viele Oligarchen, die sich in der Schweiz einrichten … Die Verbindungen sind mannigfaltig, kompliziert und manchmal heikel, und das Projekt erlaubt es, diese Aspekte anzutönen und über die Komplexität der Geschichte zu sprechen.

Auch über die verschiedenen Verbindungen, die zwischen den beiden Ländern bestehen …

Genau. Es ist unglaublich. Es war sehr interessant, durch meine Recherchen diese Verbindungen zu entdecken.

Offenbar hat die Schweizer Botschaft in Moskau Ende des 20. Jahrhunderts grosse Bedeutung gewonnen und ist sehr viel grösser geworden, da sehr viele Schweizer Beziehungen zu Russland haben.

Es gibt sicher sehr viele Wirtschaftsbeziehungen. Man hat mir erklärt, dass sie nach jener in Washington die zweitwichtigste Vertretung der Schweiz im Ausland ist, mit zahlreichen Mitarbeitern. Mit der Renovation wird die Schweiz ihre wirtschaftlichen Beziehungen weiter entwickeln, aber auch den Tourismus und den kulturellen und wissenschaftlichen Austausch.

Es ist meiner Meinung nach eine ausgezeichnete Idee, damit auch die Schweizer daran zu erinnern, dass zwischen den Ländern eine lange Geschichte besteht.

Ja, es gibt zum Beispiel viele Romands, die als Hauslehrer oder Lehrer für Französisch in die Familien der russischen Aristokratie gegangen sind. Man wollte Französischlehrer, aber da Frankreich eine Monarchie war und politische Spannungen bestanden, zogen sie Schweizer Hauslehrer vor, die aus einer demokratischen Republik kamen. Pierre Gilliard zum Beispiel war der Hauslehrer der letzten Zarenfamilie. Er stand der Familie sehr nahe und hat sie in der ganzen Zeit ihrer Haft während der Russischen Revolution begleitet. Er hat insbesondere erstaunliche Photographien vom Privatleben der Familie gemacht, die sich heute im Musée de l’Elysée in Lausanne befinden. Lenin und zahlreiche russische Revolutionäre haben vor der Revolution mehrere Jahre in der Schweiz verbracht. Es gibt auch zahlreiche Schweizer, die nach Russland emigriert sind, wie zum Beispiel die Tessiner Architektendynastien, die anlässlich des Baus von Sankt Petersburg oder in Moskau für die Zaren gearbeitet haben.

Man könnte Ihr Werk auch als Projekt für die Völkerverständigung bezeichnen, welches das Verständnis unter den Völkern fördern soll.

Ja, ein wenig, denn es enthält auch den Gedanken, dass die Beziehungen zwischen den Völkern immer von Menschen gemacht werden, von Individuen, durch persönliche Bande. Und dann erfordert es viel Sorgfalt, wenn man einen Baum pflegen muss, das braucht Zeit, das ist, wie wenn man seine Freundschaften pflegt. Und diese Beziehungen haben oft auch kulturelle Aspekte. Und ausserdem gefällt mir die Tatsache, dass diese Bäume alle von gleichen Baum abstammen, dass sie dadurch miteinander verbunden sind – wenn man diese Bäume gut pflegt, werden vielleicht auch andere Beziehungen gut verlaufen.

Frau Raccoursier, herzlichen Dank für dieses schöne Projekt und für das Gespräch.    •

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