Uno-Sicherheitsrat: Kein Ort für die neutrale Schweiz

Uno-Sicherheitsrat: Kein Ort für die neutrale Schweiz

Frühjahrssession: Donnerstag, 14. März 2013 im Nationalrat

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Im Jahr 2002 ist die Schweiz der Uno beigetreten. Damalige Befürchtungen von Beitrittsgegnern, der Grundsatz der immerwährenden Neutralität der Schweiz könnte durch die Mitgliedschaft Schaden nehmen, wurden vom Bundesrat unter anderem damit beschwichtigt, die Schweiz strebe ja keinen Sitz im Sicherheitsrat an. Bereits fünf Jahre später erklärte der Bundesrat, er fasse eine Kandidatur für den Sicherheitsrat für das Jahr 2020 ins Auge.1 Dieser Plan wurde vom Nationalrat am 5. Oktober 2007 kritisch diskutiert. Allerdings liegt der Entscheid über die Kandidatur gemäss heutiger Rechtsordnung in der Kompetenz des Bundesrates, so dass der Nationalrat nicht darüber abstimmen, sondern nur davon Kenntnis nehmen konnte. Viele Parlamentarier waren schon damals mit dieser Kompetenzordnung nicht einverstanden, sondern fanden mit Recht, über einen für den Neutralitätsstatus der Schweiz derartig einschneidenden Schritt müsse in letzter Instanz der Souverän entscheiden können. Eine entsprechende Motion aus den Reihen des Nationalrates wurde jedoch nicht weiterverfolgt.
Im neuesten aussenpolitischen Bericht vom März 2012 bekräftigt der Bundesrat seinen Entschluss, für einen Sitz im Uno-Sicherheitsrat kandidieren zu wollen.2 Im Nationalrat liegen zu dieser Sache zwei Vorstösse vor, die in der Frühjahrssession zur Debatte stehen werden.
Es ist zu hoffen, dass der Nationalrat den Ambitionen des Bundesrates, in einem Gremium «mitbestimmen» zu wollen, das gemäss Uno-Charta über Krieg und Frieden entscheidet und in dem bekanntermassen häufig Macht vor Recht geht, eine klare Absage erteilt. Aus neutralitätspolitischen Gründen muss ein Sitz der Schweiz im Sicherheitsrat mit Entschiedenheit verhindert werden. Deshalb ist der Nationalrat am 14. März dazu aufgerufen, den Weg dafür zu ebnen, dass über diese schwerwiegende Frage das Parlament und schliess­lich das Volk zu entscheiden haben.

In der Aussenpolitischen Strategie 2012–2015 des Bundesrates steht an unauffälliger Stelle das Ceterum censeo unserer Exekutive: «Im übrigen will sich die Schweiz aktiv an der notwendigen Diskussion über eine Reform des Sicherheitsrats beteiligen. Mit unserer Kandidatur für einen Sitz im Sicherheitsrat in den Jahren 2023/2024 haben wir ausserdem ein klares Ziel vor Augen, das wir im zweiten Jahrzehnt unserer Uno-Mitgliedschaft erreichen wollen.» (S. 18/19)
Damit wird sich der Nationalrat als Erstrat am 14. März befassen.

Weiterer besänftigender Bericht des Bundesrats – oder Nägel mit Köpfen?

Zum einen liegt dem Nationalrat folgendes Postulat seiner Aussenpolitischen Kommission (APK-NR) vor:

•    Bundesrätlicher Bericht zur Mitgliedschaft im Uno-Sicherheitsrat (Postulat 13.3005)

«Der Bundesrat wird beauftragt, im Zusammenhang mit seinem Willen, nichtständiges Mitglied des Uno-Sicherheitsrates zu werden, einen Bericht unter besonderer Berücksichtigung der Neutralitätsfrage auszuarbeiten und dem Parlament zur Diskussion vorzulegen.»
Der Bundesrat beantragt die Annahme des Postulats. Allerdings ist zu vermuten, dass ein solcher Bericht nichts bringen wird, was nicht längst sattsam bekannt ist: Der Bundesrat wird – wie bereits seit Jahren – mit grosser Eloquenz beteuern, dass ein Sitz im Sicherheitsrat nicht im Widerspruch stehe zum Neutralitätsprinzip der Schweiz. National- und Ständerat werden dann den Bericht diskutieren und weiterhin nicht über die Einsitznahme im Sicherheitsrat abstimmen können, weil der Bundesrat zuständig ist für diese Entscheidung.
Ein zweiter Vorstoss ist die Parlamentarische Initiative von Nationalrat Luzi Stamm:
•    Mitsprache des Parlamentes bei der Bewerbung für einen Sitz im Uno-Sicherheitsrat
(Parlamentarische Initiative 12.479)
«Es seien die gesetzlichen oder verfassungsrechtlichen Grundlagen zu schaffen, die sicherstellen, dass eine Kandidatur der Schweiz für den Einsitz bzw. die Mitgliedschaft im Uno-Sicherheitsrat durch das Schweizer Parlament beschlossen werden muss und der Beschluss dem fakultativen Referendum unterstellt wird.»
In seiner Begründung weist der Initiant darauf hin, dass der Bundesrat in einer früheren Stellungnahme auf seiner Entscheidungskompetenz beharrt hat: «Der Bundesrat stellt sich auf den Standpunkt, dass der Bundesrat im Rahmen seiner Kompetenzen in der Aussenpolitik gemäss Artikel 184 Absatz 1 BV über eine Kandidatur für einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat entscheidet.» Im Gegensatz dazu sind Luzi Stamm und 50 Mitunterzeichnende der Ansicht, es sei «in Anbetracht der Tragweite einer Mitgliedschaft im Uno-Sicherheitsrat […] nicht gerechtfertigt, dass der Bundesrat allein entscheidet. Es ist vielmehr dafür zu sorgen, dass dieser politische Entscheid wesentlich breiter abgestützt wird.»
Wir Bürgerinnen und Bürger sind auch dieser Meinung: Wir dürfen nicht weiter zuschauen, wie der Bundesrat den Neutralitätsbegriff seit Jahren in einer Weise ummodelt, dass die Einsitznahme in den Sicherheitsrat angeblich mit dem Neutralitätsprinzip der Schweiz vereinbar sein soll.

Bundesrat und Bundesversammlung sind verpflichtet zur Wahrung der Neutralität der Schweiz

BV Art. 185 Äussere und innere Sicherheit

1 Der Bundesrat trifft Massnahmen zur Wahrung der äusseren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz.

Dieselbe Pflicht auferlegt die Bundesverfassung der Bundesversammlung (BV Artikel 173 Absatz 1 a). Gemäss einer kürzlich erfolgten Umfrage haben sich zudem 95 Prozent der befragten Schweizerinnen und Schweizer für die Beibehaltung der Neutralität der Schweiz ausgesprochen.
Vor kurzem ist in Zeit-Fragen ein lesenswerter Grundlagenartikel zur Geschichte und zum Wesensgehalt der Neutralität der Schweiz erschienen (Die immerwährende bewaffnete Neutralität – Conditio sine qua non des Friedensmodells Schweiz von Tobias Salander, Nr. 8/2013). Darin wird auf die wichtige Tatsache hingewiesen, dass Neutralität nicht gleichbedeutend ist mit Gesinnungsneutralität: Die einzelnen Bürger, aber unter gewissen Bedingungen auch der Staat dürfen sich kritisch über Kriegführende äussern. Dabei muss der neutrale Staat jedoch sehr sorgsam mit seiner Glaubwürdigkeit umgehen: «Denn Glaubwürdigkeit ist das einzige Kapital der Neutralität. Und diese muss man sich im Frieden erwerben, um sie im Krieg zu besitzen. Dazu muss die Politik konstant und berechenbar sein.» Der Autor des Artikels weist darauf hin, dass die Schweiz bei ihren Stellungnahmen nicht in den Verdacht der Parteilichkeit geraten darf, will sie ihre Glaubwürdigkeit als neutraler Staat behalten.
Da steht die dringende Frage an den Bundesrat und das Parlament vernehmlich im Raum: Wie soll die Schweiz ihre Glaubwürdigkeit als neutraler Staat behalten, wenn sie im Sicherheitsrat sitzt? Wo über Krieg und Frieden entschieden wird? Wo Sanktionen gegen Staaten ergriffen werden, die deren Staatsführung oft nicht sehr weh tun, aber Hunger und Elend in der Bevölkerung zur Folge haben? Wo die Parteilichkeit bei den meisten Entscheiden mit Händen zu greifen ist? Wo die Schweiz als Kleinstaat die Mitverantwortung tragen würde für die Machtspiele der Grossen?

Zur Erinnerung: Aus der Nationalratsdebatte vom 5. Oktober 2007

Bundesrätin Micheline Calmy-Rey, die sich bei anderen Gelegenheiten mit Überzeugung als Vertreterin einer humanitären Schweiz zeigte und sich aktiv für eine Neubelebung unserer Tradition der Guten Dienste einsetzte – wofür sich der neutrale Kleinstaat besonders eignet –, äusserte zur Frage einer Mitgliedschaft im Sicherheitsrat Erstaunliches: Diese wäre kein Verstoss gegen die Verpflichtung unseres Landes in bezug auf das Neutralitätsrecht. Denn bei den Resolutionen des Sicherheitsrates handle es sich um Massnahmen zur Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit, entsprechend dem Mandat, das dem Sicherheitsrat durch die Staatengemeinschaft anvertraut worden sei, und nicht um einen Kriegsakt.
Eine ganze Anzahl von Nationalrätinnen und Nationalräten von verschiedener Parteizugehörigkeit war entschieden anderer Meinung.
Jacques-Simon Eggly (FDP-Liberale, GE): «Nun, Frau Bundesrätin, wie Sie wissen, ist die radikal-liberale Fraktion nicht ganz einverstanden mit Ihrem Engagement für eine Kandidatur der Schweiz im Sicherheitsrat. [Es sei zwar richtig, dass die Schweiz, wenn sie schon so hohe Beiträge zahle, auch etwas zu sagen haben sollte.] Wir finden aber, dass jedenfalls in der Vermittlungsphase die Ausweitung der Verhandlungen auf einen weiteren Kreis als den Sicherheitsrat, das heisst unter Einbezug der betroffenen Staaten, ein interessanteres Feld wäre, das der Schweiz mehr entsprechen könnte als eine Kandidatur im Sicherheitsrat, welche ohnehin erst in einiger Zeit Realität werden könnte.» (Übersetzung Zeit-Fragen)
Hans Fehr (SVP, ZH): «‹Um jeden Preis dabei sein› ist offenbar die neue Devise in der Aussenpolitik. Obwohl 92 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer gemäss einer Studie von Professor Haltiner an der Neutralität festhalten wollen, und zwar an der schweizerischen, integralen Neutralität, soll diese Erfolgsgeschichte offenbar beerdigt werden. […] Der Uno-Sicherheitsrat, Frau Bundespräsidentin, entscheidet über Krieg und Frieden. Wir hätten also künftig über Krieg oder Frieden mitzuentscheiden, und das wäre der Todesstoss für die schweizerische Neutralität.»
Kathy Riklin (CVP, ZH): «Die CVP-Fraktion dankt dem Bundesrat für den guten Bericht zur Tätigkeit der Schweiz in der Uno. Die fünf Jahre Uno-Mitgliedschaft haben sich bewährt. Die CVP-Fraktion dankt allen, die sich für die Anliegen der Weltgemeinschaft eingesetzt haben. Die Schweiz, die auch als Gaststaat für die Uno wirkt, konnte in kurzer Zeit eine führende und sehr geschätzte Rolle innerhalb der Uno übernehmen. Im neuen Menschenrechtsrat, in welchen die Schweiz für drei Jahre als Mitglied gewählt wurde, kann sich unser Land aktiv für mehr Menschenrechte in der Welt einsetzen. Wir danken für diese wertvolle Arbeit. Wir sind froh, dass die Uno beschlossen hat, den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in den Bereichen Entwicklung, humanitäre Hilfe und Umwelt zu verstärken. Dies entspricht auch den Anliegen, die wir als CVP haben, und dem, was wir von dieser Weltorganisation erwarten.
Wir haben aber wenig Verständnis für die ambitiösen Vorstellungen der Aussenministerin, dem Sicherheitsrat der Uno beizutreten. Bei der Abstimmungskampagne vor sechs Jahren haben wir und der Bundesrat auf allen Podien versprochen, dass die Schweiz zwar Vollmitglied werden soll, aber nicht Mitglied des Sicherheitsrates – dies aus neutralitätspolitischen und aussen­politischen Überlegungen. Zudem hätten wir erst im Jahr 2020 Chancen für eine Mitgliedschaft in diesem heute recht zerstrittenen Gremium, welches zum Beispiel auch den Irak-Krieg nicht verhindern konnte. Warum also heute die negativen Geister in unserem Land wecken, Frau Bundespräsidentin? Wir bitten unsere Aussenministerin, in diesem heiklen Bereich Zurückhaltung zu üben.»
Markus Wäfler (EDU, ZH) erinnerte die Bundespräsidentin daran, welcher Art die «Friedenshandlungen» sind, die vom Sicherheitsrat beschlossen werden:
«Ich habe hier einen Text, nicht von Marignano, sondern es handelt sich um die Uno-Charta. In Artikel 24 steht: ‹Um ein schnelles und wirksames Handeln der Vereinten Nationen zu gewährleisten, übertragen ihre Mitglieder dem Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und erkennen an, dass der Sicherheitsrat bei der Wahrnehmung der sich aus dieser Verantwortung ergebenden Pflichten in ihrem Namen handelt.› Wenn die Invasion im Irak nicht auf eine eigene Idee der USA erfolgt wäre, sondern wiederum über ein Uno-Mandat des Sicherheitsrates, wie hätte sich der Bundesrat dazu gestellt, wie wäre das mit der Neutralitätspolitik zu vereinbaren gewesen?»
Antwort von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey: «Wenn die Invasion im Irak keine durch eine Grossmacht geführte militärische Operation gewesen wäre, sondern eine Operation, die vom Sicherheitsrat beschlossen worden wäre, dann hätte die Schweiz die Konsequenzen dieses Entscheides auf sich nehmen müssen, wie sie es mit ihrem Beitritt zur Uno beschlossen hat.» (Übersetzung Zeit-Fragen)

Die neutrale Schweiz hat bessere Möglichkeiten in der Friedenspolitik

Es soll an dieser Stelle gewürdigt werden, dass Frau Calmy-Rey sich immer wieder für eine aktive Friedenspolitik der Schweiz eingesetzt hat. So kann ihr von Herzen zugestimmt werden, wenn sie in derselben Debatte darauf hinweist, dass ein Engagement für eine friedlichere Welt nicht möglich ist, wenn man sich unter dem Tisch versteckt. Hingegen ist es ein fataler Irrtum zu meinen, der historische Neutralitätsbegriff der Schweiz – also der Verzicht auf die Parteinahme in bewaffneten Konflikten – sei heute überholt.
Die Schweiz hat gerade in der heutigen Zeit viele andere und weit sinnvollere Mittel, sich für die Welt einzusetzen. Wir geben hier dem Bundesrat das Wort und greifen aus seiner Aussenpolitischen Strategie 2012–2015 zwei wichtige Bereiche heraus, in denen die Schweiz als neutraler Staat besonders geeignet ist zu wirken.
«Die Schweiz verfügt über besondere Stärken für die Tätigkeit im Bereich der menschlichen Sicherheit. Als neutraler Staat, der bei der Konfliktlösung auf Dialog setzt und seit vielen Jahren für die Erbringung guter Dienste und als Mediator geschätzt wird, besitzt sie auch wie kaum ein anderes Land Erfahrung in den Bereichen direkte Demokratie, Föderalismus und Achtung der kulturellen Vielfalt. Ebenso wie die internationale Zusammenarbeit wirkt sich auch die Friedensförderung positiv auf die Sicherheit und den Wohlstand der Schweiz aus. Ausserdem erhalten wir durch unsere konkreten Initiativen wie unsere Mediationen im Kaukasus oder unsere Mandate als Schutzmacht Gelegenheit, unsere Kontakte nicht nur mit den direkt betroffenen Staaten zu intensivieren, sondern auch mit grösseren Nationen, die ein Interesse an diesen Bemühungen haben.»3 (S. 13)

«Unser langjähriges Engagement für die Einhaltung, Förderung und Stärkung des Humanitären Völkerrechts entspricht der humanitären Tradition unseres Landes als Depositarstaat der Genfer Konventionen und Sitz des IKRK und ist gut mit unserer Neutralität vereinbar.»4 (S. 14)    •

1 Beziehungen zur Uno und zu den internationalen Organisationen mit Sitz in der Schweiz. Bericht des Bundesrates 2007
2  Aussenpolitische Strategie 2012–2015. Bericht des Bundesrats über die aussenpolitischen Schwerpunkte der Legislatur vom März 2012, S. 11
3 ebd. S. 13
4 ebd. S. 14

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