Deutschland sollte über seine Steuerpolitik nachdenken, anstatt friedliebende Nachbarländer zu attackieren

Daten der US-amerikanischen NSA über sogenannte Steueroasen – nur nicht über Delaware oder Miami

Brief an die österreichische Finanzministerin

Sehr verehrte Frau Bundesministerin,
heute wird Ihre Haltung in Sachen «Steuer­oasen» bei Spiegel online wiedergegeben. Danach sprechen Sie vor allem die Lage in Grossbritannien bezüglich der sogenannten «Trusts» an. Ich habe volles Verständnis dafür, dass Sie sich so einlassen. Man kann ins Schmunzeln kommen, wenn bei der «Süddeutschen Zeitung» und anderen Presse­organen, die die jüngste Datenflut auf diesem Feld verarbeiten, von dem Anlass dieser Datenflut gesprochen wird. Danach soll angeblich ein Informant ein uns allen bislang nicht bekanntes journalistisches Netzwerk in Bewegung gesetzt haben. Wer das glaubt, der wird selig. Wie anderen ist auch mir bekannt, dass nur eine Organisation über dreissig und mehr Jahre in der Lage wäre, eine solche Datenmenge zu sammeln. Die sitzt in Form der «National Security Agency» eher in Maryland, als dass es ein einzelner Mensch sein soll, wie uns Zeitungen und Nachrichten suggerieren. Merkwürdig ist auch, dass die US-amerikanischen ­Steueroasen – wie der Bundesstaat Delaware oder die Schwarzgeld-Metropole Miami – keine Erwähnung finden. Man macht sich offenbar über kleinere europäische Länder her, um diesen Steuer­oasen Kapitalströme zuleiten zu können. Das ist wie Basel II oder Basel III, die ja auch die Wirkung haben, Kontinentaleuropa ein Regelwerk aufzubürden, dem sich die USA selbst nicht stellen wollen. Das ist eine neue Form von «Finanz-Nato», bei der der eigentliche Ansatz des öffentlichen Unmutes diskreditiert wird.
Um so erfreulicher ist es, wenn Sie London in diesem Kontext ansprechen. Jeder in Europa weiss es, und dafür braucht man noch nicht einmal die Kavallerie einzusetzen. Ihre offenen Worte kommen hoffentlich nicht zu spät und verdienen jede Unterstützung. Sie liegen auf der Linie Ihrer Erklärungen, die nicht nur bei 3sat ebenso klug wie erfrischend wirken.

Willy Wimmer, Staatssekretär a.D., Jüchen

Deutsches Steuersystem auf dem Rücken des Mittelstandes

Die Mittelschicht wird überdurchschnittlich stark in die Pflicht genommen. Beeindruckend demonstrieren das diese Zahlen: 1960 musste man in Deutschland das 18fache des Durchschnittseinkommens nach Hause bringen, um in die höchste Steuerklasse zu fallen. Heute reicht das 1,8fache. […]
Wenig Eigenverantwortung, keine Anreize, viel Bürokratie: Diese Troika ist dafür verantwortlich, dass auch vorbildliche Staatsbürger stöhnen, wenn sie das Wort «Steuer» nur schon hören. Entsprechend schlecht ist die Steuermoral.

Quelle: «Tages-Anzeiger» vom 25.4.2013

Mangelhafte Akzeptanz des deutschen Steuersystems

Letztlich wird aber auch ein automatischer Informationsaustausch nicht dafür sorgen, dass niemand mehr Steuern hinterzieht. Und genau hier liegt das Problem der deutschen Debatte. Bei jedem Schwarzgeldskandal, bei jeder Steuer-CD verfällt die Politik in denselben Refrain: Es werden mehr Kontrollen gefordert, härtere Strafen für Steuersünder – und natürlich mehr Druck auf sogenannte Steueroasen. Vergessen geht, dass die Akzeptanz eines Steuersystems durch die Bürger nicht unwesentlich zur Steuermoral beiträgt.

Quelle: «Tages-Anzeiger» vom 25.4.2013

«… weil sie dem Franken und einer Schweizer Bank mehr vertrauen als dem Euro und der Deutschen Bank»

In der Schweiz scheint man einen famosen Prügelknaben gefunden zu haben, dem man eigene Fehler und Versäumnisse ankreiden kann. Dazu gehören die ob ihrer Undurchdringlichkeit ungerechten Steuersysteme ebenso wie eine verfehlte oder fehlende Industriepolitik. […] Die Ursachen für die kleinen und grossen Fluchten in die Schweiz […] liegen ja nicht in der Eidgenossenschaft, sondern im europäischen Umland. Ja, Schweizer Bankberater haben für deutsche Kunden Steuersparmodelle ausgearbeitet. Aber sie haben deren Geld nicht gestohlen und nach Zürich geschafft. All die Zahnärzte, Anwälte und Mittelständler sind freiwillig gekommen. Und zwar nicht immer nur, um Steuern zu hinterziehen, sondern häufig, weil sie dem Franken und einer Schweizer Bank mehr vertrauen als dem Euro und der Deutschen Bank.

Quelle: «Süddeutsche Zeitung» vom 26.4.2013

Generalsekretär der deutschen FDP verweist auf die Schlacht am Morgarten

FDP-Generalsekretär Patrick Döring ging bei Twitter in die Offensive: «Ich dachte, wir Deutsche haben gelernt, eher auf Diplomatie als auf Kavallerie zu setzen! Steinbrück liegt falsch.» Und dann erinnerte er den SPD-Mann noch an die europäische Geschichte. «Die Historie lehrt – Kavallerie gegen die Schweiz, das kann schief gehen», schrieb Döring mit Verweis auf die Schlacht am Morgarten. Die fand am 15. November 1315 statt – und die Eidgenossen besiegten die Habsburger.

Quelle: «Die Welt» vom 23.4.2013

Deutschland sollte über seine Steuerpolitik nachdenken, anstatt friedliebende Nachbarländer zu attackieren

von Karl Müller

Jeder Staat muss, damit er seine Aufgaben erfüllen kann, Geld ausgeben. Diesen Ausgaben stehen Einnahmen gegenüber, in der Regel sind dies von den Bürgern des Landes gezahlte Steuern. Das alles ist heute eine Selbstverständlichkeit und unstrittig. Zur Debatte muss allerdings stehen, welche Aufgaben ein Staat hat, wieviel vom Geld der Bürger ihm deshalb zusteht und wieviel von welchen Bürgern.
Ein Blick auf Deutschland (Tabelle) zeigt, dass der jetzige deutsche Staat (Bund, Länder und Gemeinden) offensichtlich nicht immer dieselben Aufgaben hatte und seit seinem Bestehen nach dem Zweiten Weltkrieg (in der Tabelle zuerst nur die alte Bundesrepublik und dann ab 1990 auch das Beitrittsgebiet der ehemaligen DDR dazu) über sehr unterschiedlich hohe Steuereinnahmen verfügen konnte. Wenn man die Zahlen von 1962 bis 2013 betrachtet, dann haben sich die Steuereinnahmen pro Kopf der Bevölkerung inflationsbereinigt(!) und in Euro berechnet von 3124 Euro pro Jahr im Jahr 1962 auf 7561 Euro im Jahr 2013 erhöht. Sie haben sich also mehr als verdoppelt.
Wann aber hatten die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg einen richtigen Staat? Ist erst der Staat von 2013 ein richtiger Staat, oder war auch schon der 10 Jahre früher mit 6145 Euro – also mehr als 1400 Euro weniger pro Kopf – ein richtiger Staat? Und war denn die alte Bundesrepublik im Jahr 1962 noch überhaupt kein Staat, weil die Bürger damals noch so arg wenig Steuern zahlen mussten?
Tatsache ist jedenfalls, dass die deutschen Steuereinnahmen pro Kopf der Bevölkerung zwar nicht linear, aber in der Tendenz stetig gestiegen sind.
Es ist deshalb auch nachvollziehbar, dass in den vergangenen Jahren das Thema Steuern zu einem deutschen Dauerthema geworden ist. Erstaunlich ist hingegen, dass nicht die Diskussion der Bürger über ein mögliches Zuviel an Steuerzahlungen die Debatte prägt, sondern die Klage des Staates über zu geringe Steuereinnahmen und über säumige Steuerzahler. Nur wer keinen Blick auf die Zahlen wirft, kann glauben, Deutschland leide unter akuter Steuernot, weil es einige Bürger des Landes gibt, die nicht bereit sind, die ihnen zugedachte Steuer zu zahlen. Erstaunlich auch, dass das Verhalten solcher Bürger so üppig die Schlagzeilen füllt.
Ist es da nicht höchste Zeit, einmal die Zusammenhänge zu bedenken und Fragen zu stellen?
1.    Gibt es vernünftige Gegenargumente gegen die bisherige deutsche Steuerpolitik?
2.    Wer hat ein Interesse daran, das Steuerthema in Deutschland zu einem Dauerthema zu machen und dabei nicht nur über diejenigen Deutschen zu sprechen, die den deutschen Steuergesetzen nicht vollständig nachkommen, sondern auch gleichzeitig andere Staaten zu attackieren?
Die erste Frage ist recht einfach zu beantworten. Ja, es gibt sehr viele Argumente gegen die deutsche Steuergesetzgebung, sie werden immer wieder vorgebracht, bleiben aber bislang weitgehend ohne Widerhall. Allein die Tatsache, dass die deutschen Steuereinnahmen in der Tendenz real immer weiter steigen und zugleich auch noch die öffentliche Verschuldung gestiegen ist (auf nunmehr rund 2,3 Billionen Euro – also fast 4mal so viel wie die derzeitige jährliche Steuerbelastung) erlaubt die Frage, was der Staat eigentlich mit so viel und immer mehr Geld gemacht hat und macht und ob man wirklich sagen kann, dass durch das Mehr an Steuereinnahmen die Lebensqualität der Menschen insgesamt gestiegen ist und der soziale Fortschritt gefördert wurde – oder ob nicht vielmehr von politischen Fehlern zu sprechen ist.
Die zweite Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Auf jeden Fall stösst es auf, wenn einzelne Personen herausgegriffen und mit dem Ziel der sozialen Demontage und der ­politischen Stimmungsmache an einen öffentlichen Pranger gestellt werden, schon bevor es rechtsstaatliche Urteile gibt. Und wie soll man die Worte eines deutschen Kanzlerkandidaten verstehen, der ganz auf solche politische Stimmungsmache setzt und sich mit den Worten «Manchmal ist Kavallerie besser als Diplomatie» erneut in Szene setzt? Will Herr Steinbrück allen Ernstes behaupten, es sei besser, Krieg zu führen als Verhandlungslösungen anzustreben? Und dies wohlverstanden gegenüber dem friedliebenden Nachbarland Schweiz!
Planen die Politiker im deutschen Staat etwa schon jetzt und mit allen Mitteln, wie sie Billionenbeträge für irgendwelche Schuldverpflichtungen wie den ESM, die faulen Anleihen der EZB oder die geplante EU-«Bankenunion» eintreiben können?
Und was wäre, wenn die Daten für europäische Kampagnen zum Steuerthema von US-Geheimdiensten stammen? Das jedenfalls muss man annehmen, wenn es stimmt, was der erfahrene deutsche Aussen- und Verteidigungspolitiker Willy Wimmer in einem Brief an die österreichische Finanzministerin geschrieben hat (siehe Kasten auf S. 3). Um die Öffentlichkeit aufzuklären, nachdem die Ministerin erklärt hatte, sie sei nicht bereit, der Forderung nach einer völligen Offenlegung aller Bankdaten ausländischer Bankkunden in Österreich, also nach einem sogenannten «automatischen Informationsaustausch», nachzukommen.
Liefern die US-Geheimdienste Daten, um zu einem gerechteren Steuersystem in Europa beizutragen? Oder gibt es US-Interessen daran, dass Geldvermögen eben nicht mehr in Europa und auf anderen Kontinenten angelegt wird, sondern nur noch dort, wo es andere «Steuerparadiese» gibt, nämlich in den USA selbst? Gibt es vielleicht sogar ein noch weitergehendes Interesse, nämlich daran, Unfrieden und Unordnung in Europa zu stiften, um Europa weiter beherrschen und doch noch «einzige Weltmacht» bleiben zu können?
Jedes Land, jede Regierung, jedes Parlament steht in der Verantwortung, seine Steuern so zu regeln, dass dies Ausdruck des Bürgerwillens ist. Wo die Bürger gezwungen werden, immer mehr Geld an den Staat abzuführen und dieses Geld nicht einmal dem Gemeinwohl dient, wo die Bürger keinen Einfluss auf die Höhe ihrer Abgaben haben, wo die Bürgerschaft mit Kampagnen und Feindbildern gespalten werden soll, wo Bürger gegen andere Länder und andere Völker mit dem Mittel des Steuerthemas aufgebracht werden sollen, da stimmt doch sehr vieles nicht.    •

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