Kindernothilfe – Hilfe zur Selbsthilfe auf ökumenischer Grundlage

Kindernothilfe – Hilfe zur Selbsthilfe auf ökumenischer Grundlage

Interview mit Mieke Eberhardt, Geschäftsführerin der Kindernothilfe Schweiz

Die Kindernothilfe, eine segensreiche Einrichtung, wurde 1959 in Duisburg gegründet. Die Schweizer Kindernothilfe gibt es seit 2004. Ihrem diesjährigen Versand zum Spendenaufruf liegt ein kleines Singbuch «Schlaflieder zum Vorsingen» bei.

Zeit-Fragen: Im Vorwort zu Ihrem Singbuch «Schlaflieder zum Vorsingen» setzen Sie sich dafür ein, dass es ein «Menschenrecht auf einen friedlichen Schlaf» für alle Kinder geben soll. Warum haben Sie Schlaflieder für dieses Liederbuch ausgesucht?

Mieke Eberhardt: Eltern hier bei uns möchten ihre Kinder behüten und können dies auch. Dazu gehört auch, sie in den Schlaf zu singen, so dass sie beruhigt und sicher einschlafen können. Das kennt jede Mutter, jeder Vater. In unseren Projekten haben wir die Kinder, die zu den Ärmsten der Armen gehören. Das sind Kinder, die unterhalb der Armutsgrenze leben müssen. Diese Kinder haben wirklich nur das Wesentlichste. Sie haben nicht jeden Tag ein oder zwei Mahlzeiten, sie können nicht zur Schule gehen, sie sind Gefahren ausgesetzt, sie leben auf der Strasse. Die Kinder in unseren Projekten sind weder umsorgt noch geschützt. Wir wollten da eine Verbindung machen: Uns geht es gut, wir können unseren Kindern viel bieten. Es gibt aber Kinder, die das nicht haben.
Bei der Liedauswahl haben wir Lieder ausgesucht, in denen sich die Menschen wiedererkennen: Schweizer Lieder, schöne Lieder.

Können Sie uns etwas zur Geschichte dieser Organisation erzählen?

Die Kindernothilfe wurde in Deutschland von reformierten Christen gegründet. Die ersten Projekte wurden in Indien gemacht, es war eine grosse Not. Ich kann mich erinnern, in den 60er Jahren hat es in der katholischen Kirche die Patenschaften für indische Kinder gegeben, mit den Bildchen. Das ist eigentlich der gleiche Gedanke, so hat die Kindernothilfe gearbeitet, aber eben über die reformierte Kirche. Man hat Patenschaften für Kinder angeboten und dann das Geld in Projekte investiert. Das sind die Anfänge der Kindernothilfe. Daraus hat sich in den letzten 50 Jahren die Kindernothilfe zu einem der grössten Kinderhilfswerke Europas entwickelt. Anfangs wurde der Schwerpunkt auf Indien gelegt. Mittlerweile realisieren wir Projekte in 30 Ländern, aktuell 945 Projekte. In den 90er Jahren hat sich unser Ansatz weiterentwickelt. Wir setzen einerseits stärker auf die Kinderrechte und die Uno-Kinderrechtskonvention als Basis für unsere Arbeit in den jeweiligen Ländern. Andererseits haben wir einen neuen Projektansatz gewählt. Früher hat man in Patenschaften prinzipiell ein Kind unterstützt. Dieses Kind kam dann vielleicht in ein Heim oder in eine Boarding school, was finanziell unterstützt wurde. Nach der Schule hat man dann vielleicht noch eine Ausbildung oder eine Weiterbildung finanziert.
Wir erfuhren mit der Zeit, dass so Abhängigkeiten produziert wurden. Ausserdem förderte man immer nur ein Kind, und wenn dann dieses Kind nicht wieder ins Dorf zurückging und irgend etwas anderes gemacht hat, hat man es zwar gefördert, aber zu wenig die Gemeinschaft gefördert. Diese Hilfe griff zu kurz, war zu punktuell.

Was beinhaltet dieser neue Projektansatz?

Wir haben dann einen neuen Projekttyp entwickelt: Selbsthilfegruppen auf verschiedenen Ebenen. Mit diesen Gruppen haben wir vor 15 Jahren in Indien angefangen. Die Selbsthilfegruppen funktionieren so wie andere Selbsthilfegruppen auch. Man sucht in den Dörfern zehn bis fünfzehn Erwachsene, meistens Frauen. Man nimmt sie zusammen, sie treffen sich einmal in der Woche, und sie sparen selber. Das ist der Unterschied. Sie bekommen keine Gelder von aussen, sondern sie sparen, auch die Ärmsten. Und wenn sie dann nach ein paar Wochen etwas Geld zusammenhaben, dann geben sie es als Mikrokredit innerhalb ihrer Gruppe weiter. Einerseits steigen die Ersparnisse, mit den Zinsen steigt aber auch das Kapital der Gruppe. Und nach weniger als einem Jahr sind in der Regel die Frauen, die vorher unter der Armutsgrenze waren, über der Armutsgrenze.

Das heisst, dass sie zuallererst aus ihren eigenen Mitteln etwas geben müssen. Also das Wenige, was sie selber haben, tragen sie zusammen.

Das ist vielleicht eine Zigarette weniger. Das ist vielleicht irgend etwas, was sie sich nicht geleistet hat. Das entspricht vielleicht etwa 5 Rappen bei uns. Aber wenn 15 Frauen oder 20 Frauen jede Woche 5 Rappen geben, dann haben sie auch einen Franken. Dann haben sie nach 6 bis 7 Wochen 7 Franken. Und 7 Franken sind natürlich viel. Damit kann man schon etwas machen.

Wie erreichen Sie die Frauen in diesen armen Ländern?

Die Kindernothilfe hat im Land immer einen Partner vor Ort, der die Dorfgemeinschaft kennt. Diese Leute gehen auf die Frauen zu, klopfen an und fragen: «Haben Sie Interesse, bei einer Selbsthilfegruppe mitzumachen?» So gründet man eine Gruppe von etwa 15–20 Frauen. Der Partner stellt eine/n sogenannte/n Facilitator/in; diese Person sitzt einmal in der Woche mit den Frauen zusammen und schult sie. Sie erklärt ihnen, wie man Buchhaltung macht, ein Konto eröffnet und wie man ein Treffen leitet. Jede Woche leitet eine andere der Frauen die Sitzung, das gibt Selbstvertrauen. Möglicherweise organisiert der Facilitator auch Unterricht im Lesen und Schreiben. Die Frauen entwickeln kleine Geschäftsideen, und der Facilitator unterstützt sie bei der Umsetzung. So kauft vielleicht eine Frau Zucker en gros ein und verkauft den Zucker wieder in kleinen Portionen. Damit erzielt sie einen kleinen Gewinn, kann den Kredit zurückzahlen und einen neuen Kredit aufnehmen. Vielleicht schafft sie Hühner an. Sie lernt in der Selbsthilfegruppe, wie sie die Hühner besser betreuen kann, so dass sie mehr Ertrag abwerfen. Oder jemand installiert eine solarbetriebene Aufladestation für Handys. Aber es sind die Frauen, die ihre Ideen einbringen und umsetzen. So fangen die Selbsthilfegruppen an. Der Nutzen liegt auf verschiedenen Ebenen: Auf der einen Seite gibt es die soziale Ebene: Die Frauen sind nicht mehr allein. Armut macht einsam, und die Frauen, die Familien sind sehr isoliert, wenn sie kein Geld haben. Sie erfahren in der Selbsthilfegruppe, dass sie nicht alleine sind, dass auch andere in der gleichen Situation sind. Sie lernen, sich auszutauschen und gegenseitig zu unterstützen. Der zweite Nutzen ist wirtschaftlicher Natur: Mit den Geldern, die die Frauen sparen, und der Vergabe von Mikrokrediten kommen die Frauen rasch über die nationale Armutsgrenze. So ist es eigentlich relativ klassisch auch mit anderen Selbsthilfegruppen. Was bei uns jetzt noch dazu kommt, ist, dass die Selbsthilfegruppen sich zu Verbänden zusammenschliessen. Wenn 10 oder 15 Selbsthilfegruppen existieren, dann sind schon so 150 bis 200 Frauen zusammen, und unser Partner gründet eine sogenannte Cluster-Association, einen Verband dieser Selbsthilfegruppen. Aus jeder einzelnen Selbsthilfegruppe schicken die Frauen zwei Delegierte in diese Cluster-Association. Dieser Verband spart nicht mehr selber, kann aber auch Geschäfte machen. Und vor allem schauen die Frauen, welche Themen sie auf Gemeindeebene angehen wollen. Möglicherweise brauchen sie eine Brücke über den Fluss, damit sie besser zum Wasserloch kommen. Damit sie nicht immer eine ganze Stunde, sondern nur noch eine halbe Stunde dorthin brauchen. Oder sie brauchen einen Kindergarten für ihre Gemeinschaft, da es nicht genug Plätze für die kleinen Kinder im Kindergarten gibt und sie einen Nachteil haben, wenn sie in die Schule kommen. Oder sie helfen einer Familie mit einem behinderten Kind, versorgen sie mit Lebensmitteln und sorgen für eine bessere Förderung für das Kind. Es gibt vielleicht auch elternlose Haushalte, in denen die Kinder arbeiten. Diese Kinder erhalten dann regelmässig Lebensmittel, damit sie in die Schule gehen können. Wichtig ist, dass die Selbsthilfegruppen immer selbst entscheiden, wo und wie sie sich engagieren möchten. Wenn man schon diesen Verband von Selbsthilfegruppen hat, dann repräsentiert er bereits eine gewisse Anzahl von Haushalten. Nun haben die Frauen so viel Gewicht, dass sie auch bei den Behörden oder beim Dorfvorsitzenden etwas erreichen für die eigene Gemeinschaft. Um beim Beispiel des Kindergartens zu bleiben: Die Frauen sind zur Dorfgemeinde gegangen, haben ein Stück Land bekommen und konnten darauf einen Kindergarten bauen. Die Gemeinde hat einen Teil finanziert, einen anderen Teil hat die Selbsthilfegruppe finanziert und in Fronarbeit aufgebaut. Der Betrieb des Kindergartens liegt in der Verantwortung der Mitglieder der Selbsthilfegruppe, aber die Gemeinde unterstützt bei Bedarf. Und ein weiteres Beispiel: Wenn die Selbsthilfegruppe z.B. für einen Kurs über Familienplanung, Aidsvorsorge oder über Hygiene durchführen möchte, so vermittelt der Verband eine Person, die den Kurs durchführt.
Nach etwa 4–5 Jahren, wenn es eine gewisse Anzahl Selbsthilfegruppenverbände gibt, wird eine Föderation gegründet. Auch hier nehmen wiederum Delegierte, diesmal der Verbände, Einsitz. Eine Föderation übernimmt noch mehr Verantwortung. Die Selbsthilfegruppen haben dann so viel Erfahrung und Wissen gesammelt und haben sich wirtschaftlich soweit hochgearbeitet, dass wir sie sich selbst überlassen können. Sie kümmern sich nun selbst um das kontinuierliche Wachsen und die Entwicklung der Selbsthilfegruppen und ihrer Gemeinschaften.
Zusammengefasst bedeutet der Ansatz der Selbsthilfegruppen, dass wir den Eltern nicht das Geld geben, damit sie die Kinder in die Schule geben können. Wir vermitteln ihnen das Know-how, damit sie selber Geld verdienen können, um die Schulgebühren, die Schuluniform und die Schulbücher zu zahlen. Sie werden dadurch nicht von finanzieller Hilfe abhängig, und sie werden selbstbewuss­ter. Es ist für ein Elternteil viel befriedigender, dem Kind etwas finanzieren zu können, als Geld von anderen zu bekommen, um das Kind in die Schule zu schicken.
Wir sind davon überzeugt, mit diesem Ansatz die Zivilgesellschaft stärken zu können. Mittlerweile gibt es in vielen unserer Projekte Selbsthilfegruppen, sei es im asiatischen Raum, in Afrika und neu auch in Mittelamerika. Die Folge davon ist, dass die Zahl der Kinder, die von unserer Arbeit profitieren, massiv ansteigt. Im Jahr 2012 haben 1,5 Mio. Kinder von unseren Projekten profitiert. In dieser Zahl sind nicht nur die Teilnehmer der Selbsthilfegruppen, sondern Kinder aller 945 Projekte enthalten.

Konnten Sie bei den Selbsthilfegruppen die Entwicklung über mehrere Jahre verfolgen? Haben Sie da ein konkretes Beispiel?

In Ruanda verfolgen wir diesen Ansatz seit rund 10 Jahren. Die Frauen verdienen in weniger als einem Jahr genügend, so dass sie nicht mehr unter der Armutsgrenze leben müssen. Innerhalb von 5 Jahren können sie ihr Jahreseinkommen verzehnfachen. Dazu kommt, dass Kinder als erstes profitieren. Sie haben 2 Mahlzeiten am Tag, haben besseren Zugang zur Basisgesundheitsversorgung, weil die Eltern eine Krankenversicherung bezahlen können, und sie gehen regelmässiger zur Schule.

Auch mit Hilfe von Selbstversorgung? Weil sie selber Land haben und etwas anbauen können …?

Ja, sie verkaufen das Überschüssige. Ruanda ist ein kleines Land, und es werden viele landwirtschaftliche Produkte produziert. Diese können sie gut verkaufen. Die Wege sind kürzer, und die Dörfer sind nicht so abgelegen wie z.B. in Sambia, wo man einen viel weiteren Weg hat, um die Sachen dann verkaufen zu können. In Ruanda haben wir übrigens auch Männer in den Selbsthilfegruppen, nicht nur Frauen. Aber es dürfen nicht mehr als ein Drittel Männer sein, sonst «kippt» es.

Wie meinen Sie das?

Die Dynamik in der Gruppe verändert sich. Es ist gut, dass die Männer in der Gruppe sind, die Frauen bestätigen das. Sie lernen, ihre Meinung auch vor Männern zu vertreten. Dies hilft ihnen, wenn sie später etwas vom Dorfältesten brauchen und vor Männern reden müssen. Und es gibt Arbeiten, die Männer besser erledigen können. Aber es sollten nicht zu viele Männer in einer Selbsthilfegruppe sein. Männer wollen eher den kurzfristigen finanziellen Erfolg, während Frauen ihren Verdienst in ihre Kinder investieren, sie zur Schule schicken.

In Ihren Grundsätzen steht, dass Sie ausschliesslich mit Partnern arbeiten, die mit den kulturellen Eigenheiten der Menschen vertraut sind und diese respektieren. Könnten Sie da ein Beispiel schildern?

Ein ganz kleines Beispiel: In einem Projekt in Sambia bekommt eine Familie ein Tier. Dieses Tier hat Nachwuchs, und es gibt Milch, die man verkaufen kann. Das Jungtier wird einer anderen Familie im Dorf weitergegeben. In Afrika werden Ziegen abgegeben.
Jetzt war ich in Honduras, wo wir ein ähnliches Projekt realisieren. Aber die Partner vor Ort haben immer von Kühen, nicht von Ziegen geredet. Dabei wäre die Ziegenhaltung günstiger.
Ich fragte dann, warum sie das Projekt nicht mit Ziegen machen wollen. Der Projektpartner hat gesagt, das geht nicht. Bis ich realisiert habe, dass man in Honduras kaum Ziegen sieht. In Honduras sieht man eher Schweine, Hühner oder Kühe. Diese Unterschiede wollen und müssen wir berücksichtigen. Wir beziehen die Menschen vor Ort in die Planung der Projekte mit ein. Und da ganz konkret auch Kinder. Wir fragen die Kinder, was sie brauchen und wie wir das Projekt umsetzen können. Es ist uns ganz wichtig, dass Kinder auch angehört werden, dass sie ihr Recht auf Teilnahme, auf Partizipation an der Gesellschaft leben können. Damit sie lernen, dass sie das auch dürfen. Ganz viele Kinder wissen gar nicht, dass sie Rechte haben.

Bei den Kindern ist das wahrscheinlich wie bei den Frauen. Sie fangen mit Ihrer Unterstützung an, eigene Kräfte zu entwickeln?

Ja, sie lernen Verantwortung und entwickeln Selbstbewusstsein. Nochmals das Beispiel der Selbsthilfegruppen: Wir machen je länger, je mehr innerhalb der Selbsthilfegruppen, die ja in der Regel auf der Eltern­ebene angesiedelt sind, auch Kindergruppen. Die Kinder treffen sich ebenfalls einmal in der Woche und diskutieren Dinge, die ihnen wichtig sind. Sie lernen aber auch, dass sie auch spielen dürfen. Ich habe ein Spiel beobachtet: Die Kinder stehen im Kreis, haben vorher untereinander etwas abgemacht. Einer gibt ein kleines Zeichen und dann machen alle z.B. die gleichen Handbewegungen, die ganze Gruppe reagiert auf den Befehl von einer Person. In der Mitte steht ein Kind, welches herausfinden muss, wer den Befehl gegeben hat.
Ein ganz einfaches Spiel. Ich habe sie dann gefragt: «Warum macht ihr das?» Ihre Antwort: «Wir lernen, aufmerksam zu sein, wir lernen, darauf zu achten, was wo passiert.» Und das ist etwas Wichtiges: Man lernt zu sehen, was der andere macht, aber auch die Gesellschaft in den Blickpunkt zu rücken.

Könnten Sie ein Projekt vorstellen, für welches Sie aktuell Spenden sammeln?

Vielleicht Honduras. Ich war jetzt in Honduras und habe mir das Land und das Projekt «Rechte für die Kinder in den Slums» angeschaut. Das Projekt läuft jetzt erst an. Honduras gehört zu den Ländern mit einer der höchsten Mordraten weltweit.
Der Rechtsstaat funktioniert dort nicht.
Mittelamerika ist der Drogenkorridor nach Nordamerika, ob das jetzt Guatemala ist oder Honduras oder Mexiko. Die Gewaltbereitschaft ist dort extrem hoch, und es gibt sehr viel Drogenkriminalität.
Unser Projekt ist in San Pedro Sula. San Pedro Sula ist eine Millionenstadt, ein Wirtschaftszentrum und liegt an verschiedenen Flüssen. Da die Flussgebiete Überschwemmungsgebiete sind, gibt es dort eigentlich ein Überbauungsverbot. Aber 1998, nach dem Hurrikan Mitch, haben sehr viele Leute ihren Lebensunterhalt auf dem Land verloren.
Honduras ist ein wunderschönes Land, grün, sehr hügelig, sehr bergig, wie die Schweiz. Die Leute bauen zum Teil an sehr steilen Hängen ihre Häuser und ihre Hütten. Wenn da mal ein kräftiger Regen kommt, dann kann alles ins Rutschen kommen. Viele Menschen sind in die Stadt gezogen und haben sich an den Flussufern niedergelassen. Es gibt in der Zwischenzeit 17 Bordos, also 17 Slums, an diesen Flussufern. Bei starkem Regen besteht immer wieder das Risiko einer Überschwemmung.
In diesen 17 Bordos leben etwa 30 000 Familien. Es wird ihnen schon lange versprochen, dass sie umgesiedelt werden. Sie werden aber nicht umgesiedelt – weil die Regierung einfach nicht will, nicht kann, aus welchen Gründen auch immer.
Unser Projektpartner macht jetzt ein Projekt in 5 dieser Bordos. Die Erwachsenen gehen ausserhalb arbeiten, wenn sie Arbeit haben, die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch in Honduras. Die Kinder gehen z.T. in die Schule ausserhalb von diesen Bordos, wenn die Eltern die Schuluniform und die Bücher zahlen können.
Die Kinder, die nicht in die Schule gehen, lungern den ganzen Tag auf der Strasse herum. Die Eltern gehen arbeiten und ­schliessen ihre Häuser ab, damit nichts gestohlen wird. Also sind die Kinder den ganzen Tag auf der Strasse.
Ich habe mit einem 11jährigen Jungen geredet. Die Mutter arbeitet in einer Konditorei ausserhalb des Bordos von 9.00 bis 16.00 Uhr, und sie schliesst am Morgen ihr Haus ab, wenn sie geht. Der Junge kann weder lesen noch schreiben. Er ist nie in die Schule gegangen, weil das Geld fehlt. Er lungert den ganzen Tag auf der Strasse herum, bis dann seine Mutter wieder nach Hause kommt.
Auf der Strasse trifft er sich mit Gleichaltrigen, dann schaut man irgendwo Fernsehen, es gibt Drogen, sie werden von Drogenhändlern für Botengänge angeworben. Viele werden ermordet.
Wir versuchen, den älteren Kindern, den Jugendlichen, ein «vocational training» zu geben, also eine Art Berufsausbildung, damit sie einen Beruf haben und auch selber Geld verdienen können. Wir wollen ihnen auch zeigen, dass es neben der Gewalt und den Drogen auch noch ein anderes Leben gibt. Sie gehen in Kurse, Jugendgruppen, wo wir ihnen «life skills» vermitteln. Wir unterstützen sie dabei, aus dieser Abwärtsspirale herauskommen.

Wie machen Sie das? Wie sprechen Sie die Jugendlichen an?

Interessanterweise haben diese Bordos durchaus eine Struktur. Es gibt einen Verein, der die Bordos nach aussen vertritt und Ansprechpartner ist für unsere Partner. Mit ihnen arbeiten wir zusammen. Wir bieten Kurse an, und die Kinder und Jugendlichen kommen. Es ist natürlich attraktiv, wenn etwas geboten wird. Man spielt z.B. mit ihnen. Spielen ist immer ein Zugang zu den Kindern.
Wir versuchen, den Jugendlichen Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen. Oder wir versuchen, sie wieder in die Schule zu integrieren. Darüber hinaus geht es dann um Themen wie Gewaltreduzierung, Machismo, Konfliktlösungsstrategien usw.

Ihre eigentliche Motivation und Mission ist es, den Kindern zu ermöglichen, ohne Angst aufzuwachsen, als Menschen ernst genommen zu werden. Sie leisten aber auch humanitäre Soforthilfe im Fall von Krisen und Katastrophen.

Humanitäre Hilfe ist ein gutes Stichwort. Natürlich geht es im Falle einer Katastrophe immer zuerst darum, Soforthilfe in Form von Lebensmittellieferungen zu leisten. Zudem eröffnen wir Kinderzentren. Die Eltern haben dann so viel damit zu tun, das Überleben zu sichern, dass sie keine Zeit haben für das Kind.
Dabei sind die Kinder durch die Katastrophe traumatisiert. Eine psychosoziale Betreuung fehlt. Und hier setzen wir mit den Kinderzentren an. Dabei handelt es sich um ganz einfache Konstruktionen, Zelte oder Hütten, die wir aufbauen. Die Kinder versammeln sich hier und können spielen. Gleichzeitig bekommen sie eine medizinische Versorgung und etwas zu essen. Aus dieser spontanen psychosozialen Betreuung entwickeln sich dann festere Strukturen. In Haiti z.B. entwickeln sich jetzt aus den Kinderzentren reguläre Schulen.

Würden Sie uns zum Schluss noch erklären, warum Sie ein blaues Kreuz als Emblem gewählt haben?

Die Kindernothilfe wurde ja von Christen in Deutschland gegründet. Das blaue Kreuz ist einerseits ein christliches Symbol, aber auch die Verbindung zum Roten Kreuz, der weltweit bekannten humanitären Organisation. Der christliche Hilfsgedanke im Sinne der Ökumene zum Schutze der Kinder in Not. Deshalb erscheint der Name «Kindernothilfe» als vierter Balken vom Kreuz.

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Ihre weitere Arbeit.    •

Weitere Informationen unter <link http: www.kindernothilfe.ch>www.kindernothilfe.ch
Spenden an: Kindernothilfe, Berner Kantonalbank, IBAN: CH 75 0079 0016 5327 0003 5

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