Im Dialog die beste und gangbarste Lösung finden

Im Dialog die beste und gangbarste Lösung finden

Lösung des Verkehrsproblems in Sta. Maria ohne Umfahrung

Interview mit Rico Saxer, Präsident der IG Pro Sta. Maria Val Müstair

thk. Das Val Müstair im östlichen Engadin, «eines der schönsten Täler der Schweiz», arbeitet an einer Lösung für das zumindest in der Ferienzeit hohe Verkehrsaufkommen. Im Zentrum steht das Dorf Sta. Maria, das schon seit Jahrzehnten um eine sinnvolle und allgemeinverträgliche Lösung ringt. Es gibt im Dorf einen Engpass, der zumindest in der Hochsaison immer wieder zu kleineren Verkehrsstaus führt und der mit einer (un-)möglichen Umfahrung entschärft werden soll. Rico Saxer führt die Metzgerei im Dorfkern von Sta. Maria, die direkt an der besagten Strasse liegt. Er ist also ein Direktbetroffener. Um etwas Bewegung im die verfahrene Situation in Sta. Maria zu bringen, hat er die Interessensgemeinschaft «IG pro Sta. Maria Val Müstair» gegründet. Ziel dieser Interessengemeinschaft ist es, mit allen Betroffenen gemeinsam nach eine einvernehmlichen Kompromisslösung zu suchen, die es nach der Auffassung von Rico Saxer gibt. Welche Überlegungen er sich dazu macht und was für verschiedene Lösungsmöglichkeiten diskutiert werden, legt er im folgenden Interview dar.

Seit 40 Jahren diskutiert man in Santa Maria, ob es eine Umfahrung geben soll oder nicht. Was spricht denn gegen eine Umfahrung?

Der Eingriff in die Natur ist zu gross. Wir sind der Überzeugung, dass es bessere Lösungen gibt, die mit der relativ geringen Frequenz an Autos, die durch das Dorf fahren, fertig würden, als eine Umfahrung. Wir sind der Meinung, dass es eine gute Lösung im Dorf gibt, damit das Dorf auch in Zukunft leben kann.

Wie hoch ist die Zahl der Autos, die durch das Dorf fahren?

Wir haben letztes Wochenende einen Spitzenwert von 4900 Autos pro Tag gehabt. Aber das sind Spitzenwerte, die wir an drei, vier Wochenenden pro Jahr haben. Sonst ist es weniger, der tiefste Wert liegt etwa bei 1000.

Wie viele Einwohner hat das Dorf?

Das Dorf hat 380 Einwohner. Die Tendenz ist eine zunehmende Verringerung, wenn das so weitergeht.

Was würde es für das Dorf bedeuten, wenn die Umfahrung gebaut würde?

Das Dorf würde sicher langsam aussterben, wenn die Umfahrung gebaut würde. Man sieht das an anderen Beispielen, wenn es eine Umfahrung gibt, fährt man nicht mehr in das Dorf hinein. Wir sind ein wirtschaftlich schwaches Dorf. Die Problematik im Dorf wird weiterhin bestehen. Der Engpass bleibt bestehen. Wir haben jede halbe Stunde ein Postauto, entweder vom Engadin her oder von der anderen Seite. Die Passanten haben immer noch zuwenig Platz, um als Fussgänger durch das Dorf zu gehen. Es wird mit der Umfahrung für das Dorf nichts verbessert. Man lässt hier alles so, und das Dorf wird verlottern.
Unsere Gemeinde Val Müstair hat zuwenig Geld, um gross etwas zu verändern. Deshalb ist die «Interessensgemeinschaft Umfahrung» der Meinung, dass wir den starken Partner, also den Kanton, hinter uns haben müssten. Wir könnten den Verkehr weiterhin durchs Dorf führen, wenn wir zwei Häuser opfern. Es geht um zwei Häuser, und wir hätten 75 Prozent des Problems gelöst.

Was würde das genau bedeuten? Was für Möglichkeiten gibt es, das Verkehrsproblem im Dorf zu entschärfen?

Ein Schritt wäre, die beiden Häuser abzubrechen, die für den Engpass verantwortlich sind. Eines der beiden Häuser ist in einem sehr schlechten Zustand. Das Fundament ist langsam am Verfaulen, und nach meinem Wissen investieren die Besitzer nichts mehr in das Haus. Das zweite Haus ist ein ehemaliges Hotel, das schon lange geschlossen ist, und das Schild «Zu verkaufen» hängt schon lange dort. Die Chancen, eine sinnvolle Lösung für unser Dorf zu finden, sind in den letzten 40 Jahren noch nie so gut gewesen wie heute. Wir könnten die zwei Häuser entfernen. Wir haben über 100 alte Häuser im Dorf. Wenn wir zwei wegnehmen würden, könnten wir einen schönen Dorfkern gestalten. Darüber wird niemand traurig sein, wenn man nachher mehr Platz zum Gehen und Fahren hat.

Wie sieht das von der Seite Heimatschutz aus?

Man könnte sie abreissen, weil sie nur unter sehr geringem Schutz stehen. Ich weiss aus verlässlicher Quelle, dass man einem Abbruch nicht ablehnend gegenübersteht. Aber hier haben wir auf der einen Seite den Landschaftsschutz und auf der anderen Seite den Heimatschutz. In dieser Situation ist für mich der Landschaftsschutz höher zu bewerten als zwei alte Häuser, die niemand kaufen will. Eine Win-win-Situation wird es kaum geben, irgendeiner muss nachgeben. Man muss abwägen, was wichtiger ist: Den Bauern das Land wegzunehmen oder die Häuser abzureissen. Meiner Meinung nach kann man auf die zwei Häuser eher verzichten, aber vielleicht gibt es auch eine Lösung, ohne die Häuser abzureissen. Es gibt eine Firma, die nichts anderes macht, als in der ganzen Schweiz Verkehrsprobleme zu lösen. Vielleicht lässt sich das mit einem frequenzgesteuerten Lichtsignal lösen. Wir müssen miteinander die beste und gangbarste Lösung finden, zusammen mit dem Heimatschutz, dem Landschaftsschutz, den Befürwortern und den Gegnern. Wir müssen zu einer Lösung kommen, hinter der alle stehen können.
Wenn der Verkehr ums Dorf geführt wird, was heisst das für das Gewerbe im Dorf?
Die Hauptsaison ist vor allem im Sommer und Herbst, konkret von Ende Juni bis Ende Oktober. Da ist unser Kleingewerbe sehr gut ausgelastet. Das Jahr hat aber nicht nur vier Monate. Auch wenn in den übrigen acht Monaten weniger Umsatz gemacht wird, hat es immer den einen oder anderen, der hier durchfährt und anhält. Wenn wir die Umfahrung haben, dann gehen uns diese Kunden verloren. Die fahren nach Zernez, wo sie wieder durch ein Dorf müssen, oder sie fahren direkt weiter nach Südtirol. Wenn Sie mich fragen, sind die Gäste für Santa Maria verloren. Wir sind im Winter sehr schwach. Um uns herum gibt es riesige Skigebiete, wir sind nahezu die einzigen, die nichts haben. Mit dem Weltmeister Dario Cologna konnten wir noch ein biss­chen Fuss fassen. Wir können in den nächsten Jahren mit dem Langlauf sicher noch ein paar Gäste gewinnen. Aber es ist sehr schwierig. Wenn man in Zürich sagt, dass man aus dem Münstertal kommt, dann weiss man schon, wo es liegt, nämlich sehr weit weg. Das ist zu weit weg, um nur für einen Tag hierherzukommen. Wenn die Umfahrung besteht, wird niemand mehr in das Dorf hineinfahren. Man sieht beim Vorbeifahren ein paar Dächer, aber nichts, was einen einladen würde. Es gibt keinen Grund, in das Dorf hineinzufahren. Der Verkehr wird daran vorbeigeführt, und das Gewerbe im Dorf wird das schmerzhaft erfahren. Wenn im Sommer Gäste da sind, dann gehen die am Morgen um 9 Uhr in die Höhe und kommen am Abend nach Hause. In dieser Zeit sind die Geschäfte und Hotels leer. In dieser Zeit gibt es aber immer wieder Urlauber, die eine Pause einlegen und auf der Sonnenterrasse der Restaurants oder Hotels zu Mittag essen. Die würden gänzlich verschwinden.

Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung?

Die Meinungen sind geteilt. Leider ist das passiert, was wir eigentlich nicht beabsichtigt hatten, als wir unsere IG gegründet haben. Ziel der IG war es, möglichst schnell eine vernünftige Lösung zu erreichen. Jetzt hat es eine Gegen-IG gegeben, die für die Umfahrung ist. Das ist nicht das Ziel gewesen. Diese Situation haben wir schon seit Jahren. Wir haben jetzt eine Gruppe gegründet mit Gegnern, Befürwortern, dem Landschaftsschutz, dem Heimatschutz, unserer Vertreterin aus der Gemeinde, damit wir so auf einen Nenner und zu einem gemeinsamen Ziel kommen, das der grösste Teil unserer Bevölkerung mittragen kann.

Das wäre dann ein echt schweizerischer Kompromiss und ein Signal zum Dialog …

… ja, genau, alles andere hat gar keinen Sinn und führt zu nichts. Deshalb machen wir von der IG aus den Schritt, dass ein Vertreter dieser Firma «Metron» einmal zu uns kommt und verschiedene Verkehrsvarianten durchs Dorf prüft. Wenn sich hier eine gangbare Lösung finden lässt, können wir sehr viele Kosten einsparen. Aber leider hat der Kanton nicht sehr viel Interesse daran, Kosten zu sparen. Bei einer Variante durchs Dorf könnte man sicher mehr als die Hälfte der Kosten sparen.
Man könnte mit dem Geld die Häuser kaufen und sie dann abreissen. Das wäre sicher günstiger als 20 Millionen Franken für eine Umfahrung, mit der am Schluss niemand glücklich ist.
Was man auch noch wissen muss, die Planung der Umfahrung ist aus den 70er Jahren. Heute sind wir 40 Jahre weiter, da gibt es ganz andere Ideen und Überlegungen.

Herr Saxer, vielen Dank für das Gespräch.    •

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