«Bei den notleidenden Menschen präsent zu sein ist für uns eine Verpflichtung»

Verpflichtung der neutralen Schweiz in der Welt

mw. Im Interview mit Botschafter Dahinden und Mirko Manzani kommt zum Ausdruck, welch unverzichtbare Arbeit die Deza (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit) in den vielen Ländern der Welt leistet, wo sie zum Überleben und zum menschenwürdigeren Dasein vieler Menschen beitragen kann.
Die beiden Deza-Mitarbeiter bestätigen, dass die Schweiz gerade auf der Grundlage ihres Neutralitätsstatus mannigfaltige Möglichkeiten hat, mit zivilen Mitteln humanitäre Hilfe zu leisten und auf diplomatischem Wege zu wirken. Bei der Lektüre des Berichts aus Mali erinnern wir uns daran, dass Bundesrat Didier Burk­halter, Chef des EDA (Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten), im Frühling 2013 einen Einsatz der Schweizer Armee im Kriegsland Mali unter dem Kommando der EU geplant hatte. Glücklicherweise kam dieser Einsatz nicht zustande, gerade auch wegen des Widerstandes von Parlamentariern und Bürgern gegen dieses klar neutralitätswidrige Projekt. Der Schweiz kommt in dieser von Kriegen und Not gebeutelten Welt eine andere Aufgabe zu als die Beteiligung an Kriegseinsätzen.
Gemäss Art. 54 Abs. 2 der Bundesverfassung hat sich die Schweizer Aussenpolitik auf die Neutralitäts- und Friedenspolitik zu beschränken:
Der Bund setzt sich ein «für die Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz und für ihre Wohlfahrt; er trägt namentlich bei zur Linderung von Not und Armut in der Welt, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.»
Diese verfassungsmässige Verpflichtung erfüllt die neutrale Schweiz mit den mannigfaltigen Beiträgen der Deza und des IKRK, aber auch als Sitz des IKRK und Wahrerin der Genfer Konventionen, als Gastgeberin zahlreicher Uno-Organisationen und anderer internationaler Organisationen, die sich der Friedensarbeit widmen. Auch die Guten Dienste, die auf Schweizer Boden und durch Schweizer Diplomaten seit Jahrhunderten zur Verfügung stehen, sind allein auf Grund der Neutralität der Eidgenossenschaft möglich.
Die Entsendung von Schweizer Truppen in Kriegsgebiete kann aus Artikel 54 Abs. 2 BV eindeutig nicht abgeleitet werden. Deshalb hat der Nationalrat am 24. September 2009 die Beteiligung der Schweizer Armee an der EU-Operation Atalanta klar abgelehnt (mit 102 Stimmen, aus fast allen Fraktionen, gegen 81). Deshalb durfte auch der von EDA-Chef Burkhalter geplante Militäreinsatz nicht stattfinden.

«Bei den notleidenden Menschen präsent zu sein ist für uns eine Verpflichtung»

Interview mit Mirko Manzoni, Leiter der Schweizer Kooperationsbüros in Mali*

Zeit-Fragen: In Mali ist eine ganz fragile Situation, wie ist es möglich, dort verlässliche Partner zu finden? Herr Dahinden hat erklärt, dass man die Sicherheitslage mit den Menschen, die dort leben, einschätzen muss. Wie kann man so viel Vertrauen aufbauen, dass man sich auf die Einschätzungen der Menschen verlassen kann?
Mirko Manzoni: Einer der grossen Vorteile, die wir als Schweizer Kooperationsbüro haben, ist, dass wir direkt im Gebiet arbeiten, vor allem im Vergleich mit anderen Entwicklungsagenturen. Der Vorteil der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit ist, dass sie immer präsent ist. Konkret bedeutet dies, wir in Bamako, sogar ich mit meiner Krawatte, ich fahre nach Sikasso und auch nach Timbuktu. Ich treffe die Leute, es sind Vertrauensbeziehungen.

Warum gehen Sie so vor?
Es ist viel wichtiger, als in Bamako zu bleiben und Minister zu treffen. Nur so entstehen wirkliche Vertrauensbeziehungen, gegenüber den zuständigen Amtspersonen wie auch gegenüber den Partnern nachher. Das heisst, trotz der Fragilität des Kontextes liegt das Entscheidende darin, in der Nähe des Partners zu sein. Dies macht unser Engagement möglich, und es entsteht Vertrauen. Ein anderer Vorteil ist, dass die Leute in unserem Büro alle immer vor Ort arbeiten. Wenn wir das verlieren würden, wäre das sehr schade, weil wir auch durch diese Form der Zusammenarbeit bei den anderen Organisationen bekannt sind.

Wie sieht das bei den anderen Organisationen aus?
Es gibt grosse Agenturen, die die Dinge nicht selbst bewältigen. Wenn man aber nur Geld gibt, dann geht man (normalerweise) in die Hauptstadt. Ich habe Kollegen, die noch nie aus Bamako herausgekommen sind. Sie verlassen Bamako nie, sie arbeiten 3–4 Jahre nur in Bamako. Vor Ort bei den notleidenden Menschen präsent zu sein ist jedoch für uns eine Verpflichtung.

Ich möchte nochmals auf den Aspekt zurückkommen, den Botschafter Dahinden erwähnt hat, und zwar wie die Schweiz wahrgenommen wird. Ist das in Mali auch so, dass man die Schweiz als neutrales Land wahrnimmt und deshalb mehr Vertrauen hat?
Die Frage der Neutralität, das muss man betonen, ist eine Frage der direkten Beziehung. Es braucht eine offene Gesprächskultur, um den anderen zeigen zu können, dass man neutral ist. Manchmal ist dies nicht leicht.

Vor welchen Schwierigkeiten stehen Sie damit?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn Sie in Mali sind, wo die Lage schwierig ist, und Sie sagen, dass Sie im Norden arbeiten, ohne es dem Süden zu erklären, warum, wie und mit wem, laufen Sie Gefahr, dass Sie im Süden als nicht neutral betrachtet werden. Die Situation der Schweizer war in bestimmten Momenten sehr heikel. Doch vor allem dank der guten Kommunikation und unserer Beziehungen ist es gelungen, dass wir als neutral betrachtet wurden. Die Neutralität gewinnt man nicht einfach, weil man neutral ist, sondern weil wir die Neutralität vermitteln, leben müssen. Ein Missverständnis passiert schnell, und dies vor allem in fragilen Kontexten.

Das scheint eine grosse Herausforderung zu sein. Wie machen Sie das?
Eine Sache ist sehr speziell: Wenn wir sagen, dass wir in einem Konfliktgebiet arbeiten wollen, laufen wir Gefahr, dass man uns misstraut oder gar kritisiert, weil die Menschen aus dem Konfliktgebiet uns zur anderen Seite zählen. Wenn Sie die Strategie der Schweiz in Mali anschauen, wird deutlich, dass wir als Schweizer dort arbeiten wollen, wo es die meisten Probleme gibt. Und je mehr wir dort arbeiten, wo es Probleme gibt, um so grösser ist das Risiko, auf Kritik zu stossen. Das direkte Gespräch mit den Menschen vor Ort ist fundamental. Sonst kann man wirklich in Schwierigkeiten kommen und grosse Probleme haben. Wir in Bamako haben eine eigentliche Kommunikationsstrategie entwickelt, die der Vermeidung von Missverständnissen dient. Jede Aktivität ist so angelegt, dass sie nicht falsch interpretiert werden kann – von der einen oder der anderen Seite. Das direkte Gespräch ist die Basis, sonst verlassen Sie sehr schnell das Land.

Herr Manzoni, vielen Dank für das Gespräch.    •
(Interview Thomas Kaiser)

*Mirko Manzoni ist seit 2012 Leiter des Schweizer Kooperationsbüros in Mali (49 Mitarbeiter, 20 Millionen CHF Jahresbudget, eines der grössten Länderprogramme der Deza)

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