Wenn Öl und Gas nicht mehr fliessen, der Strom ausfällt – was dann?

Wenn Öl und Gas nicht mehr fliessen, der Strom ausfällt – was dann?

Lehren aus der Schweizer Energiegeschichte: Plädoyer für eine kleinräumige, nachhaltige Energiepolitik und erneuerbare Ressourcen – ein möglicher Beitrag des Kleinstaates zum Frieden

von Tobias Salander, Historiker

In Krisensituationen wie der jetzigen um die Ukraine erlangt die Frage der Energieversorgung wieder höchste Priorität. Sei es ein flächendeckender Stromausfall, die Drosselung oder Kappung des Nachschubs von Öl oder Gas: Was in einer solchen Situation tun? Insbesondere als Kleinstaat, der nicht immer nur von Freunden umgeben ist und wo man weiss, dass zwischen Staaten nie Freundschaft, sondern nur Interessen bestehen? Wo einem schon mal mit der Kavallerie gedroht wurde? Wo man schneller, als man denkt, von einem einseitig Partei ergreifenden Kriegsbündnis umgeben ist? Sollte der Artikel 5 Nato-Vertrag in Kraft treten, sei es durch eine False-flag-Operation, wie in der Türkei derzeit andiskutiert (vgl. «Neue Zürcher Zeitung» vom 29. März 2014: Wie man einen Krieg mit Syrien provoziert – irrwitzige Planspiele in Ankara, von Inga Rogg), sei es durch einen effektiven Angriff auf ein Nato-Mitglied, und sei es ein Terroranschlag wie bei 9/11, wo zum ersten Mal in der Geschichte der Nato der Bündnisfall eintrat – in dem Fall wäre ein Kleinstaat wie die Schweiz, der alle Rechten und Pflichten eines neutralen Staates zu tragen hat, in einer inkommoden Situation. Gewährt man Überflugsrechte? Und was, wenn die Flieger an einem völkerrechstwidrigen Angriffskrieg beteiligt sind? So wie dies nun der ehemalige deutsche Bundeskanzler Schröder für den Kosovo-Krieg 1999 freimütig zugegeben hat? (Vgl. «St. Galler Tagblatt» vom 1. Mai 2014, S. 6, «Als Kanzler habe er auch einmal so [völkerrechtswidrig] gehandelt. Im Jugos­lawienkonflikt habe Deutschland – ohne Sicherheitsrats-Beschluss und also völkerrechtswidrig – Flugzeuge nach Serbien geschickt.») Stellt man eigene Flugplätze zur Verfügung? Könnte man diese überhaupt schützen, ohne eine starke Flugwaffe, ohne den Gripen? Wie käme dann die benötigte Energie ins Land? Könnte die Durchleitung von Öl und Gas von Bedingungen abhängig gemacht werden?
Im Ersten und Zweiten Weltkrieg verlor die Schweiz schnell die Energiesouveränität und die Wirtschaftsfreiheit und musste sich von den Alliierten und den Nazis so manches diktieren lassen. Im Kalten Krieg wurde unter anderem der Sturz von Mossadegh in Iran im Jahre 1953 hierzulande mit grosser Besorgnis verfolgt: Offensichtlich schreckte die westliche Sieger- und Supermacht nicht mehr davor zurück, auch vom Volk gewählte Ministerpräsidenten zu stürzen, wenn es um den Zugriff ihrer Grosskonzerne auf die Ölfelder ging. Manch einer war hierzulande froh, dass die Schweiz nicht auf einem Ölsee schwimmt. Dass wir aber über das zweitgrösste Wasserschloss auf diesem Planeten verfügen, lässt für das 21. Jahrhundert Ungutes erahnen: Es bleibt der Leserschaft überlassen, als Staatsbürger die Konsequenzen zu ziehen und die politische Diskussion darüber zu suchen, wie ein Kleinstaat sein Überleben sichert in einer Zeit, in welcher einmal mehr Macht wieder vor Recht zu gehen scheint – wenn man nicht energisch und alle Lebensbereiche einbeziehend dagegen antritt!
Diese kleine Schweizer Geschichte unter Einbezug der Energiefrage knüpft an den Artikel in Zeit-Fragen Nr. 9 vom 25.2.2013 (www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1361) an. Gestützt auf das ausgezeichnet recherchierte Werk des Basler Historikers Daniele Ganser «Europa im Erdölrausch» werden die SuezKrise von 1956, die Ölkrisen von 1973 und 1979 sowie die Golf-Kriege unter besonderer Fokussierung auf die Ressourcengeschichte nachgezeichnet. Greift der Leser selber zum Buch von Ganser, wird er sich noch vertiefter ein Bild machen können, ob und warum eine Energiewende dringend nötig sein könnte.

Suez-Krise enthüllte fatale Abhängigkeit der Schweiz vom Öl

Die Suez-Krise im Herbst 1956 mit einer vorübergehenden Sperrung des Suezkanals führte zwar zu keiner realen Knappheit an Öl in Europa oder der Schweiz, dennoch zeigte sie in aller Deutlichkeit, wie schlecht man auch in der Schweiz auf effektive Blockaden vorbereitet war. So stellte die «Neue Zürcher Zeitung» fest, dass drei Viertel des in der Schweiz benötigten Öls aus dem Nahen Osten stammte. Vor allem die Armee hätte im Ernstfall schnell kein Benzin mehr zur Verfügung gehabt. Da man selber keine Raffinerie besass, wäre man zusätzlich auch noch von jenen in Italien, Belgien und Holland abhängig gewesen. Die vier Sonntagsfahrverbote, die der Bundesrat erliess, allerdings erst am Ende der Suez-Krise, hatten mehr symbolischen Charakter und sollten auf die Problematik hinweisen.

Swisspetrol ohne grosse Ölfunde – ein Glück für die Schweiz

Obwohl die Schweizer Presse Erdöl als gefährlichen Saft beschrieb, weil er Begehrlichkeiten wecke und Landschaften beeinträchtige, versuchte Swisspetrol dennoch Öl zu finden. Dies vor allem deshalb, um die bestehende Abhängigkeit zu vermindern, die in der Suez-Krise augenfällig geworden war. Man erinnere sich: Swisspetrol war die 1959 als Dachgesellschaft mit Schweizer Aktienmehrheit gegründete Holding, welche die Erdölforschung und -förderung in der Schweiz kontrollieren sollte.
Professor Werner Niederer, Präsident von AVIA, dem Verband Schweizer Importeure von Erdöl, begleitete diese Ölsuche von Swisspetrol mit dem besorgten Hinweis, dass man immer dabei haben müsse, dass Erdöl äusserst gefährlich sei und seit dem Zweiten Weltkrieg fast hinter jedem internationalen Konflikt stecke. Er konnte dies sagen, ohne deswegen als Verschwörungstheoretiker diffamiert zu werden – anders, als es den Kritikern der Bush-Kriege ums Öl seit 2003 widerfuhr …
Im Sommer 1957 war es dann soweit: Eine Tochterfirma von Swisspetrol, die Schweizerische Erdöl AG (SEAG), begann, seismische Messungen des Untergrundes des Mittellandes durchzuführen. Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung zeigte sich aber gar nicht begeistert von der Erdölsuche. Als die Tiefenbohrungen erfolglos blieben, freuten sich deshalb viele, da sie wie Werner Niederer davon ausgingen, dass Öl immer Kriege anzog.
Zwischen 1960 und 1970 fanden 17 Tiefenbohrungen in der Schweiz statt, wobei man durchaus Gas und auch etwas Öl fand: So stiess man 1964 auf 300 000 m3 Erdgas beim Kloster St. Urban (LU), die allerdings nicht genutzt werden könnten und deswegen abgefackelt werden mussten. 1980 wurde man in Finsterwald im Entlebuch fündig: 74 Mio m3 Erdgas konnten in der Folge gefördert werden. Zum Vergleich: Dies entspricht 2,5% des Schweizer Jahresverbrauchs von 2004. 1994 wurde das Bohrloch von Finsterwald geschlossen, da es sich nicht mehr als ergiebig erwies. Die Swisspetrol Holding wurde aufgelöst. Finsterwald erbrachte unter dem Strich einen Verlust von 27 Millionen Franken.

Billiges Erdöl fördert die Verschwendung

Bis 1973 war das Erdöl billig, ein Fass kostete weniger als 2 Dollar. Dies löste einen wahren Rausch aus. Bis ins Jahr 2000 musste immer noch weniger als 20 Dollar pro Fass aufgewendet werden. Die Schweiz erlebte in diesen Jahren, von 1950 bis 1970, ein eigentliches Wirtschaftswunder. Das Wirtschaftswachstum betrug zumeist mehr als 4 Prozent, das Benzin wurde zwischen 1950 und 1990 fünfmal billiger, gemessen an den Löhnen. Überall begann «Plastik», also ein Erdölderivat, Holz und Metall zu ersetzen.
Weil das Erdöl billig war, musste man sich auch nicht mit Alternativen befassen, sondern lebte im Überfluss und mit der Verschwendung. Probleme wie Import­abhängigkeit, Ressourcenkriege, Umweltverschmutzung, Treibhausgase waren kein Thema in den Medien: Die Bevölkerung sah die Dinge positiv. Dies änderte sich erst mit dem Bericht des Club of Rome in den 1970er Jahren, einer Fundamentalkritik des Wachstumsdenkens, welche auf die Endlichkeit der Erdölressourcen hinwies – mit welchen allfälligen Hintergedanken auch immer.

Dollarkrise war die wahre Ursache der Erdölkrise von 1973

Im Winter 1973 – ältere Leser mögen sich noch gut daran erinnern – stieg der Ölpreis um 400 Prozent, von 3 auf 12 Dollar pro Fass. Preise, die einen heute lächeln lassen, damals aber löste dies einen Schock aus. In vielen Industrieländern wurden deshalb Sonntagsfahrverbote erlassen. Auch in der Schweiz ging an drei Sonntagen auf den Strassen fast nichts mehr.
Heute weiss man: Es war keine Mengenkrise, sondern eine Preiskrise! Denn die Lager waren randvoll, es gab nirgends eine Knappheit – subjektiv erlebten es die Menschen damals aber anders. Die Folge? 1974 stürzte die Weltwirtschaft in eine Rezession, die Aktien verloren 50 Prozent an Wert. Es handelte sich um die grösste Krise der Nachkriegszeit. In der Schweiz gingen 10 Prozent aller Arbeitsplätze verloren, das waren damals 300 000 Stellen. Nun war Sparen angesagt, nach dem Motto: weniger heizen, weniger beleuchten, weniger Auto fahren.
Dass aber die zentrale Ursache der Erdölkrise die vorausgegangene Dollarkrise gewesen war, weist Daniele Ganser in seinem Buch akribisch nach! (Vgl. auch Zeit-Fragen Nr. 1/2 vom 7. Januar 2013)

Keine Versorgungsengpässe – dennoch Preiserhöhungen

Mitten in der Ölpreiskrise, im November 1973, forderte der Bundesrat die Schweizer Bevölkerung zum Energiesparen auf, empfahl das Autofahren einzuschränken, die Häuser besser zu isolieren, Räume nicht über 20 Grad zu heizen, weniger zu baden und die Schlafzimmer mit mehreren zu teilen. Der November 1973 war in ganz Europa der Energiesparmonat schlechthin.
Am 13. November wies Bundesrat Ernst Brugger dann darauf hin, dass die Versorgung bisher keine Engpässe aufweise. Auch der Delegierte des Bundesrates für wirtschaftliche Kriegsvorsorge, Otto Niederhauser, sagte, es gebe keine Verknappung, die Pflichtlager würden für ein halbes Jahr reichen. Dennoch musste der Preisüberwacher hart mit den Konzernen feilschen, sonst wären die Benzin-Preise noch viel mehr gestiegen.
Am 14. November 1973 verfügte der Bundesrat dann eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h auf Autobahnen. Und am 21. November 1973 wurden autofreie Sonntage für den restlichen November und die darauffolgenden zwei Sonntage angeordnet – dies, obschon kein Mangel an Treibstoffen bestand. Zusätzlich wurde das Öl kontingentiert, um Einsparungen von bis zu 20 Prozent zu erreichen.

Bundesrat: «Dieser internationale Ölmarkt ist wenig transparent»

Dass der Bundesrat dies tat, erstaunt heute, zeigt doch die Forschung, dass im November 1973 mehr Öl importiert wurde als je die zwei Jahre zuvor. Und zwar 8% mehr: Es gab also keine Knappheiten! Bundesrat Brugger gestand denn die Fehleinschätzung auch ein und betonte, er sei selber erstaunt und könne die Entwicklung am globalen Erdölmarkt nicht gut verstehen.
Gansers Fazit: Der internationale Erdölhandel sei in der Tat undurchsichtig. So sei auch fraglich, ob das Embargo gegen die USA wirklich durchgeführt worden sei, wurden doch US-Tanker in Saudi-Arabien betankt, so die britische Zeitung The Economist im November 1973.
Aber auch die Niederlande, das zweite Land, welches einem offiziellen Ölembargo der OPEC, der Organisation der Erdölexportierenden Staaten, ausgesetzt war, hatte nicht zu leiden, in Rotterdam wickelte sich der Ölhandel ab wie immer.
Auch die Schweizer Zeitungen äusserten ihr Misstrauen: Die internationalen Konzerne und die USA seien doch an einer Ölpreiserhöhung selber stark interessiert! Die Verknappung sei künstlich geschürt worden. Eine Auffassung, die in den USA auch von Gewerkschaftsführer Charles Levinson vertreten wurde. Werner Flachs hingegen, seines Zeichens Generaldirektor von Shell Switzerland und Präsident der Erdölvereinigung, hielt diese These für absurd. Nicht so aber einige Schweizer Parlamentarier. Der PdA-Nationalrat Jean Vincent war sich sicher, dass es überhaupt keine Erdölkrise gebe, um so mehr aber «kriminelle Praktiken der Erdölmonopole». CVP-Nationalrat Edgar Oehler sprach von einer doppelten Erpressung durch die arabischen Scheichtümer und die Konzerne. Und SP-Nationalrat Otto Nauer konstatierte, die Souveränität eines Landes werde zur Farce angesichts des Preisdiktats der Konzerne.
Aber auch der Bundesrat zog selbstkritisch Bilanz: Im Dezember 1973 gestand Ernst Brugger die Fehleinschätzung ein und gab zu bedenken: «Dieser internationale Ölmarkt ist wenig transparent, das ist tatsächlich eine Wissenschaft für sich». Selbst die USA würden das nicht durchschauen, meinte der Magistrat.

Resultat der 1973er Krise: Energieversorgung diversifizieren …

Was man der Krise von 1973 trotz aller Ungereimtheiten zugute halten kann: Sie hatte auf das Problem der begrenzten Ressourcen aufmerksam gemacht. Dies betonten auch die vom Bundesrat eingesetzten Experten in der Gesamtenergiekonzeption (GEK).
Der Sachverhalt war folgender: 1973 deckte Öl 80 Prozent des Energiebedarfes der Schweiz – 2012 waren es immer noch 57 Prozent. Vom Gesichtspunkt der Energieautarkie wurde die Situation noch schlechter als im Zweiten Weltkrieg eingeschätzt, denn Öl komme von ausserhalb Europas, im Gegensatz zur Kohle damals. Der Bundesrat zog aus der 1973er Krise nun folgende Schlüsse: Nötig sei, so Bundesrat Willy Ritschard im Jahre 1974, eine diversifizierte Energieversorgung, sowohl bezüglich der diversen Rohstoffe als auch verschiedener Bezugsländer.

… und vermehrt auf Atomkraft setzen

Da Uran leichter zu importieren sei als Öl, müsse von nun an unter anderem der Ausbau der Atomkraftwerke vorangetrieben werden. Zur Zeit der Ölkrise verfügte die Schweiz über drei AKW: Beznau I, erbaut 1969, war das erste AKW in der Schweiz. Ihm folgten 1972 Beznau II und Mühleberg. Nun, 1973, war ein viertes im Bau: Gösgen.
Doch weite Teile der Bevölkerung waren mit dieser Alternative zum Öl nicht einverstanden. So kam es 1974 zur Gross-Demonstration gegen den Bau des AKW-Kaiseraugst. Nicht nur in Kaiseraugst, sondern auch in Rüthi, Graben, Inwil und Verbois wurden daraufhin die geplanten AKW nicht gebaut. Heute sind in der Schweiz fünf AKW in Betrieb; dank Lieferverträgen mit französischen AKW verfügt unser Land aber über ausreichend Strom – eben Atomstrom.

GEK fordert 1978 unter anderem den Ausbau der erneuerbaren Energien

Auch der Verband der schweizerischen Elektrizitätswerke zog seine Schlussfolgerungen aus der Ölkrise. Sein Befund: Öl sei im Wärmesegment durch Strom aus AKW und Wasserkraft zu ersetzen.
Nebst Uran und Wasser setzte der Bundesrat aber auch auf den Import von Erdgas. Heute ist denn auch Gas hinter Öl und Wasserkraft die drittwichtigste Energiequelle in der Schweiz, noch vor der Atomkraft.
Um die ganzen Bemühungen zur Energiesicherung zu bündeln, setzte der Bundesrat am 23. Oktober 1974 die Eidgenössische Kommission für die Gesamtenergiekonzeption (GEK) in Funktion. Bundesrat Ritschard ernannte Michael Kohn zum Präsidenten der Kommission – mithin einen bekannten Befürworter der Atomenergie. Da zwei Drittel der Mitglieder aus der Elektrizitätswirtschaft stammten, zeigte sich die Erdölvereinigung gar nicht erfreut. Sie wandte sich vor allem gegen eine Ölsteuer zur Subventionierung anderer Energieträger.
Nach vier Jahren Arbeit legte die Kommission dann im Jahre 1978 ihren Schlussbericht, «Das Schweizer-Energiekonzept», vor. Darin listete sie folgende Forderungen auf:
–    Erdöl sei durch andere Energiequellen zu ersetzen,
–    Erdölbezugsquellen seien zu diversifizieren,
–    der öffentliche Verkehr sei zu fördern,
–    es seien grössere Lager von Erdölprodukten anzulegen,
–    die erneuerbaren Energien seien auszubauen,
–    vor allem aber müsse der Ausbau der Atomenergie vorangetrieben werden
–    und: Der Bund solle in die Energiepolitik der Kantone eingreifen können.
Bis einzelne dieser Forderungen vom Volk angenommen wurden, dauerte es aber noch eine geraume Weile. So lehnte der Souverän 1983 den Energieartikel, der umfangreiche Kompetenzen des Bundes und die Förderung alternativer Energien vorgesehen hätte, mit dem Stände-Nein ab. Nur ein Jahr später, 1984, wurde auch die Volksinitiative der Schweizerischen-Energie-Stiftung «für eine sichere, sparsame und umweltgerechte Energieversorgung» bachab geschickt. 1990 dann lehnten die Stimmbürger den Ausstieg aus der Atomenergie ab, befürworteten aber ein zehnjähriges Moratorium für den Bau von AKW. Und jetzt wurde auch der Energieartikel angenommen, womit der Bund die Kompetenzen erhielt, die der Schlussbericht der GEK von 1978 gefordert hatte.

Zweite Ölkrise: Ölkonzerne machen exorbitante Gewinne …

Die zwölf Jahre, die zwischen dem Schlussbericht der GEK und der Annahme eines Teils ihrer Empfehlungen durch das Volk im Jahre 1990 verstrichen, hatten weitere Verwerfungen im ressourcenreichen Mittleren Osten mit sich gebracht: Auf den Sturz des Schahs durch Ayatollah Khomeini folgte der erste Golf-Krieg, das heisst der achtjährige Krieg zwischen Iran und Irak von 1980 bis 1988. Dass die USA beide Seiten unterstützten, entsprach ihrem geostrategischen Machtpoker, der auf Schwächung der erdölproduzierenden Länder hinauslief, mit dem leicht durchschaubaren Ziel, das schwarze Gold möglichst gratis für sich selber in Anspruch nehmen zu können.
Auf den Preis des Erdöls wirkten sich der Sturz des Schahs und die kriegerischen Ereignisse massiv aus: Von 1979 bis 1980 sprang der Betrag, den man für ein Fass Öl hinzublättern hatte, von 13 auf 34 Dollar: Mag die Zahl heute läppisch tief erscheinen, damals war dies ein Schock für die Weltwirtschaft.
Es entstand aber auch in dieser zweiten Erdölkrise keine reale Knappheit, denn Saudi-Arabien, der zentrale strategische Partner der USA, hatte schon 1978 auf Bitte des Imperiums seine Produktion von 8,5 auf 10,5 Millionen Fass pro Tag erhöht, womit die Hälfte des wegfallenden iranischen Öls ersetzt werden konnte.

… und werden von CVP- und PdA-Parlamentariern als «Gangster» tituliert

Was die Schweiz betrifft, erkannte hierzulande der Bundesrat schnell, dass nur eine Preiskrise, nicht aber eine Mengenkrise herrsche. Obwohl die Landesregierung die Versorgungslage noch als gut einstufte, empfahl sie doch am 6. März 1979, Energie zu sparen, indem zum Beispiel wiederum die Raumtemperatur 20 Grad nicht überschritten, auf Autobahnen nicht schneller als 80 km/h gefahren werden solle usw.
Schon im März 1979 konnte aber eine Teilentwarnung gegeben werden, da der starke Mann in Iran, Khomeini, den Öl-Export wieder ankurbelte, auf 3,5 Millionen Fass pro Tag – dies war nur eine Million weniger als zuvor. Damit galt die Krise als überwunden.
Interessanterweise war aber in der Schweiz das Misstrauen gegen die internationalen Ölkonzerne noch stärker als gegen Khomeini. Vielen war klar, dass die Konzerne ein Oligopol besassen, und da sie nach wie vor keinen Einblick in ihre Preisgestaltung gewährten, musste davon ausgegangen werden, dass sie jede Gelegenheit nutzten, ihre Profite zu maximieren. Dies verstärkte den Ruf nach Abbau der Ölabhängigkeit und Förderung der erneuerbaren Energien.
CVP- und PdA-Parlamentarier titulierten die Konzerne gar als «Gauner» und «Gangster», die von der Iran-Krise profitiert hätten.

Im Notfall kriegswirtschaftliche Massnahmen wie Rationierungen, Fahrverbote usw.

Im September 1980 wies Bundesrat Fritz Honegger darauf hin, dass eine Schliessung der Strasse von Hormuz für Europa und die Schweiz gefährlich wäre, denn so würde ein Viertel des vom Westen nachgefragten Öls wegbrechen. Die Schweiz sei zwar auf einen solchen Fall vorbereitet, man müsste aber dann kriegswirtschaftliche Instrumente einsetzen, das heisst Rationierungen, Fahrverbote usw. erlassen. Und Werner Flachs, der Delegierte für wirtschaftliche Landesversorgung, äusserte, die Iraner seien nicht so irrational, dass sie die Ölroute kappen würden. Andernfalls könne sich die Schweiz wohl auf die westlichen Vormächte verlassen, welche die Strasse von Hormuz sicher wieder öffnen würden – eine neutralitätspolitisch zumindest diskutable Aussage!
Die Mahnung der Landesregierung vom März 1981, es sei nun wirklich an der Zeit, ernsthafte Schritte einzuleiten, die einseitige Abhängigkeit vom Öl zu reduzieren, verpuffte ins Leere, da der Ölpreis im November 1985 drastisch einbrach, von 32 auf 10 Dollar. Dies deswegen, weil der US-Alliierte Saudi-Arabien die Märkte zu fluten begann – ein Ablauf, der einmal mehr zeigte, dass die Preisentwicklung des Öls in dieser Phase der Geschichte weiterhin vom Imperium nach Belieben manipuliert wurde –, das Nachsehen hatten all jene, die sich schon lange für nachhaltige und erneuerbare Ressourcen einsetzten.
Recht muss vor Macht gehen – nicht nur zum Wohl der Kleinstaaten, sondern aller Menschen auf diesem Planeten
Am 20. März 2003 verurteilte Bundesrat Pascal Couchepin den US-geführten Krieg gegen den Irak in aller Schärfe: Der Angriff sei vom Sicherheitsrat der Uno nicht bewilligt worden und stelle einen gefährlichen Präzedenzfall dar, die USA und die Koalition hätten sich über die Uno-Charta hinweggesetzt. Es sei aber von enormer Bedeutung, dass die Uno-Charta mehr respektiert werde. Die Schweiz erkläre sich solidarisch mit der irakischen Zivilbevölkerung, die seit den Sanktionen von 1990 leide. Die Schweiz fand Unterstützung in dieser klaren Verurteilung der USA durch den Uno-Generalsekretär Kofi Annan, der am 16. September 2004 den Irak-Krieg in aller Deutlichkeit gemäss Völkerrecht für illegal erklärte. Dass die Verantwortlichen deswegen nicht vor den ICC gebracht wurden, zeigt nur, dass noch immer Macht vor Recht geht – ein Tatbestand, von dem man sich erhofft, dass er sich künftig in einer multipolaren Welt ändern dürfte.
Dieser Weg in eine Welt des (Völker-)Rechts, wo die Uno-Charta wieder ernst genommen wird, könnte ganz entscheidend unterstützt werden durch eine ernstgemeinte Energiewende, weg von den fossilen Energieträgern und hin zu den erneuerbaren. Damit könnte ein Weg des Zusammenlebens beschritten werden, bei dem Konflikte im Dialog gelöst werden sollten, ohne Krieg, Gewalt und (Staats-)Terror.
Mit diesem Anliegen ist der Leiter von SIPER, des Swiss Institute vor Peace and Energy Studies, Daniele Ganser, zum Glück nicht alleine. Seinem Grundlagenwerk «Europa im Erdölrausch», welches die Grundlage für diese Artikel bot, ist eine weite Verbreitung zu wünschen, schärft es doch die Wahrnehmung und stärkt den Willen, sich gemeinsam mit allen friedenswilligen Erdenbürgern für eine gerechtere Welt einzusetzen. In der schlichten Einsicht, dass wir nur ein Leben und nur einen Planeten haben. Und es wäre wohl gelacht, wenn der Homo sapiens sapiens im 21. Jahrhundert nicht endlich in der Lage wäre, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen und die Umkehr zu beschliessen: Bei der Energiewende zu beginnen, wäre nicht das Schlechteste, ja vielmehr ein essentieller Schritt Richtung Frieden.     •

Literatur: Daniele Ganser. Europa im Erdölrausch. Die Folgen einer gefährlichen Abhängigkeit. Zürich 2012. ISBN 978-3-280-05474-1

Erdölkonzerne mit widerrechtlichem Preisdiktat?

ts. Seit 2000 stiegen die Erdölpreise enorm an, was grosse Summen an Dollars in die Kassen der Grosskonzerne spülte. So wies ExxonMobil 2005 einen Gewinn von 36 Milliarden Dollar aus – laut CNN war dies der grösste Gewinn eines US-Unternehmens überhaupt. 2008 waren es dann bereits 42 Milliarden! Aber auch BP und Shell bewegten sich im zweistelligen Milliarden-Gewinn-Bereich. 2008 verbuchte Shell einen Gewinn von 31 Milliarden Dollar.
Diese Zahlen weckten Misstrauen, nicht nur in Europa, sondern auch in der Schweiz. Shell Switzerland, Esso Switzerland und BP Switzerland gerieten unter Kartellverdacht, ohne dass ihnen das nachgewiesen werden konnte. Auch frühere Untersuchungen, die der Bundesrat veranlasst hatte, und zwar in den Jahren 1968, 1975 und 1985, ­mussten von der Kartellkommission ergebnislos wieder eingestellt werden. Branchenvertreter selber sprachen von Oligopolen, die aber ihre marktbeherrschende Stellung nicht ausnutzen würden.
Schon früh hatten es die Konzerne für nötig befunden, diesem Misstrauen mit der Gründung einer Branchenorganisation für PR zu begegnen. So entstand 1961 die «Erdöl-Vereinigung», welche 27 Firmen vertrat, darunter die Tochtergesellschaften der Grosskonzerne. Diese Erdöl-Vereinigung hatte zwar einen Schweizer Vorsitz, war aber ganz klar das Sprachrohr der ausländischen Konzerne. Ein weiterer Schachzug, die Dominanz der Grosskonzerne auf dem Schweizer Markt nicht zu offensichtlich werden zu lassen, bestand darin, dass die Grossen die Schweizer Firmen wie Migrol und AVIA aus politischen Gründen auf dem Markt duldeten …

«Schweiz hat vor den Erdölmultis kapituliert»

Steuern bezahlten die Grosskonzerne in der Schweiz kaum, da sie die Gewinne ins Ausland abführen konnten. Trotz wiederholter Aufforderung legten sie ihre Rechnungen vom Bohrturm bis zur Tankstelle nicht offen. Die Preiskalkulation der Konzerne musste so absolut intransparent bleiben – nur, dass sie in den 70er Jahren erst Millionen und noch nicht Milliardengewinne wie heute realisierten. Dabei lagen die Eigenkapitalrenditen gemäss Beat Kappeler schon damals über 20%! Ein Sachverhalt, der stark nach Kartellen riecht!
Nationalrat Walter Biel (LdU) forderte deswegen schon 1975 in der «NZZ», die Kartellkommission müsste im Ausland am Stammsitz der Firmen Untersuchungen durchführen dürfen – was aber damals rechtlich nicht möglich war und es bis heute nicht ist. Die linke Presse nannte den Sachverhalt beim Namen: Die Schweiz habe vor den Erdölmultis kapituliert.
Als dann im Jahre 1978 die drei Konzerne Esso Switzerland, Shell Switzerland und BP Switzerland in der Schweiz keinen roten Rappen Gewinn auswiesen und demzufolge auch keine Steuern bezahlten, hagelte es landauf, landab Protest, so auch von Monika Weber, der damaligen Präsidentin des Konsumentinnenforums. Denn in ihren Heimatländern versteuerten die Konzerne gleichzeitig Milliardengewinne! (Vgl. Ganser, S. 156ff.)

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