Neutralität und Souveränität sind oberstes Gebot

Neutralität und Souveränität sind oberstes Gebot

«Die Nato, das ist keine Option»

Interview mit Nationalrat Jakob Büchler, Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission

Zeit-Fragen: Wie können wir nach der Ablehnung des Gripen weiterhin unabhängig unsere Sicherheit gewährleisten?

Jakob Büchler: Das erste, was jetzt definitiv festgelegt werden muss, ist das Budget für die Armee. Die bereits vom Parlament gesprochenen 5 Milliarden für das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) müssen weiterhin zur Verfügung stehen. Da müssen wir dem Gesamtbundesrat klar die Stirne bieten und sagen: 5 Milliarden müssen für die Armee verfügbar sein. Das Geld darf jetzt wegen des Neins zum Gripen-Fondsgesetz nicht gestrichen werden, das wäre ein ganz falsches Signal auch für die Armee. Wir haben aus verschiedenen Gründen die Abstimmung nicht gewonnen, aber was ganz klar ist, der Armee müssen weiterhin die 5 Milliarden zur Verfügung stehen.

Bei der Abstimmung zur Milizarmee ist offensichtlich geworden, dass zwei Drittel der Bevölkerung klar hinter der Armee stehen. Das war eine so klare Aussage, und um so mehr erstaunt es, dass der Gripen als ein wichtiger Bestandteil der Armee doch verworfen wurde.

Das hat verschiedene Gründe. Zum einen haben die Bürgerlichen zu lange im Parlament hin und her diskutiert, ob der Gripen wohl der richtige Flieger ist oder ob man einen anderen kaufen sollte. Das hat das Volk schon mitverfolgt, und das hat sicher eine Verunsicherung hinterlassen. Wenn ich daran denke, dass es Parlamentarier gab, die zunächst gegen den Gripen waren und sich nachher dafür eingesetzt haben, das hinterlässt bei der Bevölkerung viele Fragezeichen. Tatsache ist, dass Flugzeugbeschaffungen immer emotional sind. Das hat sich bei der Mirage gezeigt, aber auch beim F/A-18. Es ist auch so gewesen, dass das Argument, wir haben ja noch 32 F/A-18, der Gripen-Abstimmung nicht dienlich war. Dabei denke ich an den Kanton St. Gallen, der nur 52 Ja-Stimmen zusammengebracht hat oder an den Kanton Bern, der einen grossen Anteil ländlicher Bevölkerung besitzt und ein Nein in die Urne gelegt hat. Noch deutlicher war es in der Westschweiz. Das hat schon dazu beigetragen, dass es kein Ja gegeben hat. Nach dem deutlichen Ja zur Wehrpflicht bin ich in der Konsequenz schon davon ausgegangen, dass es auch ein Ja für den Gripen gibt. Leider hat sich das nicht bewahrheitet.

Wo sehen Sie jetzt dringenden Handlungsbedarf für die Armee, nachdem wir den Flieger nicht haben? Womit könnte man die Lücke füllen?

Im Bereich der Luftwaffe müssen wir jetzt ganz klar den Volksentscheid akzeptieren. Die Frage von der Erneuerung der Luftwaffe kommt aber wieder auf uns zu, man schiebt jetzt den Felsblock einfach vor sich her, der spätestens in 10 Jahren wieder vor uns steht. Dann geht es aber um die Gesamterneuerung der Luftwaffe. Das wird noch ein viel grösserer Brocken. Im Moment müssen wir uns auf eine sinnvolle Weiterentwicklung der Armee konzentrieren. Wir müssen die Armee so ausrüsten können, dass sie einsatzfähig ist. Auch müssen wir die Weiterentwicklung der Armee so in Angriff nehmen, dass das Ganze für die Bevölkerung auch glaubwürdig ist.

Woran denken Sie dabei?

Ein Aspekt ist zum Beispiel die Dauer der militärischen Wiederholungskurse (WK). Die Reduktion auf 14 Tage, wie dies auch vom Chef der Armee vertreten wird, stellen sehr viele Truppenkommandanten in Frage. Zwei Wochen sind zu wenig Zeit, darunter leidet die Ausbildung. Wenn man mit schweren Einsatzmitteln einrücken muss, braucht das sehr viel Zeit, bis diese gefasst und zum Standort des WKs transportiert sind. Nach dem Kurs muss alles wieder zurücktransportiert, gereinigt und ordnungsgemäss übergeben werden. Das kostet alles sehr viel Zeit, die für die direkte Ausbildung verlorengeht. Natürlich sagen auch Kommandanten, dass es zum Beispiel bei der Flugabwehr möglich ist, aber wenn schwere Mittel zum Einsatz kommen, bleibt schlichtweg zu wenig Zeit. Im Moment spricht man bei der Armee von einer Pilotphase, während der man die 14tägigen WKs testen will. Ich bin gespannt, was hier für Ergebnisse zurückkommen.

Sie haben die Budgetfrage angesprochen. Was für einen Anschaffungsbedarf hat unsere Armee?

Was wir unbedingt vermeiden müssen, sind die Kreditreste, dass das VBS jedes Jahr Geld zurückgeben kann in die allgemeine Bundeskasse, das eigentlich für die Armee gesprochen wurde. Die Gegner der Armee greifen das natürlich immer sofort auf und sagen, dass die Armee gar nicht so viel braucht, also könnte man auch das Budget kürzen. Das führt wieder zu Auseinandersetzungen im Parlament, was aufwendig und unerfreulich ist. Das sollten wir in Zukunft vermeiden. Das muss vom VBS aus ganz klar ins Auge gefasst werden. Dieses Jahr wird es nicht möglich sein, noch alle Gelder sinnvoll einzusetzen. Es kann auch nicht darum gehen, einfach Gelder auszugeben, aber in Zukunft sollten wir das Geld für sinnvolle Anschaffungen einsetzen.

Was brauchen wir dringend, damit die Armee ihren Verfassungsauftrag erfüllen kann?

Wir brauchen Transportfahrzeuge, wir müssen unsere Luftabwehr verstärken. Das steht schon lange auf der Liste. Wir müssen hier dringend eine Erneuerung vornehmen. Auch haben wir längst noch nicht alle Immobilien saniert. Es gibt verschiedene Aufgaben und Anschaffungen, die wir vorziehen müssten, damit die finanziellen Mittel, die zur Verfügung stehen, auch sinnvoll eingesetzt werden können. Die Beschaffung neuer Fahrzeuge ist ein aufwendiger Vorgang und braucht seine Zeit, aber wir müssen das in Angriff nehmen, damit wir in allen Lagen genügend Fahrzeuge zur Verfügung haben.

Die Unabhängigkeit der Schweiz und die Möglichkeit, die Neutralität zu verteidigen, müssen doch auch ein Argumentationsgrund sein. Müsste man diesen Aspekt nicht noch mehr in die Diskussion einbringen?

Das ist ganz klar. Die Neutralität ist in unserer Verfassung festgeschrieben und enorm wichtig. Ich meine auch, das Schweizervolk sieht das ebenfalls so. Die Neutralität ist unser oberstes Gebot. Was ich jedoch feststellen kann, ist, dass ein grosser Teil des Volkes die Gefahren anders sieht oder beurteilt. Ich habe immer wieder versucht, zu erklären, dass wir die Flugzeuge für Krisenzeiten brauchen, für ausserordentliche Lagen, bei gestörter Situation, nicht bei schönem Wetter. Dafür reichen unsere 32 F/A-18 knapp aus. Auch hiess es immer wieder, der Cyberwar ist die viel grössere Gefahr, da könnten wir keine Flugzeuge einsetzen. Das stimmt natürlich, aber auf diesem Gebiet wird sehr viel getan. Mit der zukünftigen Strategie, der Weiterentwicklung der Armee, die auch nicht so einfach sein wird, muss man dem Volk offen darlegen, wo wir mit der Armee hinwollen und welchen Weg wir beschreiten möchten. Erfreulich ist nach wie vor, dass die allgemeine Wehrpflicht unbestritten ist.

Nationalrätin Allemann hat nach der Abstimmung gesagt, dass sich die Schweiz bei einer grösseren Krise auch unter den Schutzschild der Nato stellen könne. Kann das eine Option für unser Land sein?

Nein, auf keinen Fall. Sich mit der Nato ins gleiche Bett zu legen, das kommt überhaupt nicht in Frage. Das geht schon allein aus Neutralitätsgründen nicht. Wir haben zwar völkerrechtliche Verträge, aber das betrifft nur die luftpolizeilichen Aufgaben und gilt nur in Friedenszeiten. Ein Nato-Vertrag für Krisenzeiten ist völlig unmöglich. Das ist völlig ausgeschlossen. Abgesehen davon gibt es keine Hilfe ohne Gegenleistung. Wir können nicht sagen, Nato hilf, und dann kommt sie. Nein, dafür müssen wir sehr viel bezahlen, mehr als uns unsere eigenen Flieger kosten würden. Die Nato ist keine Armee, die Nato ist ein Militärbündnis und jedes Mitglied bringt sich mit seinem Waffenarsenal ein. Ich bin in Litauen gewesen. Die drei baltischen Staaten haben keine Armee. Sie haben die Nato und mussten sich dafür einkaufen. Das ist doch in der Schweiz unvorstellbar. Neben dem Budget für das VBS müssten wir uns dann noch für Krisenzeiten in die Nato einkaufen, das ist doch völlig absurd. Die Nato – nein, das ist keine Option, daran verliere ich keinen Gedanken.

Herr Büchler, vielen Dank für das Gespräch.
(Interview Thomas Kaiser)

Die Neutralität ist ein Wesenszug der Eidgenossenschaft

von Wolfgang von Wartburg

Die schweizerische Neutralität ist weder von aussen auferlegt noch ein blosses Mittel zur Selbstbehauptung. Sie ist ein Ausdruck, ein Wesenszug der Eidgenossenschaft selbst. Die primäre Aufgabe des Staates ist es, Recht und Frieden zu handhaben. Alles, was darüber hinausgeht, ist problematisch. Wird dieses Prinzip auch nach aussen gewendet, dann ergibt sich daraus mit Notwendigkeit der Verzicht auf Machtpolitik und damit auch der Verzicht auf Bündnisse mit machtpolitischem Zweck.
Die Aussenpolitik eines Staates, der grundsätzlich nichts anderes als Rechtsstaat sein will, ist die der Neutralität. Dies schliesst nicht aus, dass der neutrale Staat für Erhaltung oder Herstellung des Friedens in der Welt tut, was in seiner Macht steht, soweit er dadurch nicht in den Strudel der Machtpolitik hineingerissen wird. Das bedeutendste Beispiel für die Schweiz ist die Beherbergung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, dessen Mitglieder ausschliesslich Schweizer sind. Zahlreich sind die Beauftragungen von Schweizern durch die Uno (…) für schwierige Vermittlungsaktionen, bei denen Unparteilichkeit erfordert wird.
Nur der Neutrale kann die Menschenrechte ohne machtpolitische Rücksichten vertreten. Die schweizerische Neutralität ist in demselben Sinne «ewig» wie die Bünde selbst. Die Berechenbarkeit ihrer Aussenpolitik ist der beste Beitrag der Schweiz zum allgemeinen Frieden. Neutralität ist die Alternative zur Kollektivsicherheit. In einer Kollektivorganisation (Uno, EU, Nato, Partnerschaft für den Frieden) geschieht entweder gar nichts, da niemand verantwortlich ist, oder sie wird zum Werkzeug der mächtigsten Partner. Der Beitritt zu einem Sicherheitskollektiv würde die Schweiz auf jeden Fall zum Komplizen der Machtpolitik machen, sie wäre für jeden Schritt mitverantwortlich, ohne doch an den Machtverhältnissen etwas ändern zu können. Die Glaubwürdigkeit der Neutralität dagegen wäre aufgehoben. Der Schweiz entsprechen allein der Verzicht auf Machtpolitik und die freiwillige Beschränkung auf eine reine Verteidigungsarmee, die angesichts der «Arglist der Zeit» – jeder Zeit – zur Selbstbehauptung notwendig ist.
Zusätzliche Bemerkung: Heute wird das Projekt erwogen, die schweizerische Armee in eine Berufsarmee umzuwandeln. Der Schweizer Gemeinschaft entspricht allein die Volksarmee, der anzugehören allgemeine Pflicht ist. Sie darf und kann nur eingesetzt werden, wenn die Schweiz selbst gefährdet ist. Eine Berufsarmee könnte ein Macht­instrument des Bundesrates werden, das sogar zu unerwünschten Abenteuern verleiten könnte.

aus: Wolfgang von Wartburg. Die europäische Dimension der Schweiz.
Zur Geschichte der Schweiz und ihrer Stellung in Europa, 1996, S. 125f

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