Rhodos Forum 2015 – Die Welt jenseits des globalen Chaos

Rhodos Forum 2015 – Die Welt jenseits des globalen Chaos

Eindrücke von der Konferenz

von Dr. Eva-Maria Föllmer-Müller und Erika Vögeli

Der folgende Beitrag gibt einen ersten Eindruck wieder. Die einzelnen Podien und Beiträge können auf der Webseite des World Public Forum als Lifestream unter www. wpfdc.org nachgesehen werden.
Vom 8. bis 11. Oktober fand der 13. Jahreskongress des Forums der Weltöffentlichkeit «Dialog der Zivilisationen» auf Rhodos statt. Dies zu einem Zeitpunkt von sich täglich überstürzenden Katastrophenmeldungen über Flüchtlingsströme, Wirtschaftskrisen, andauernde kriegerische Auseinandersetzungen in der Ukraine, in Syrien, auf dem afrikanischen Kontinent – und nicht zuletzt die elende Situation der Menschen in Griechenland.
Auf der Fahrt vom Flughafen zum Kongressort erzählt uns der Taxifahrer in gutem Deutsch (seine Grosseltern haben in Deutschland gearbeitet), dass Griechenland ohne die Einnahmen der Inseln aus dem Tourismus nicht mehr leben könnte. Rhodos hat ausser dem Anbau von Olivenbäumen keinerlei Landwirtschaft, nur den Tourismus. Seine Frau arbeite heute 12 Stunden, er selbst 14, manchmal 16 Stunden, um die kleine Familie mit zwei Kindern ernähren zu können. Am schlimmsten stehe es um die Gesundheitsversorgung in Griechenland: Kaum jemand könne sich die teuren Krankenversicherungen leisten, und wer ins Krankenhaus muss, muss selbst bezahlen, was die wenigsten können. Wir fahren an Bauruinen vorbei, und er erzählt, in den Jahren 2000 bis 2005 hätten die Banken Bürger angerufen und sie gefragt, ob sie nicht einen Kredit haben wollen. Sie könnten sofort 250 000 Euro haben, sie müss­ten nur zur Bank kommen und unterschreiben. Er kenne viele, die das dann gemacht und sich damit elend verschuldet haben.
Der Empfang in unserem Hotel ist ausgesprochen bemüht und gastfreundlich.
Traditionellerweise fand die Eröffnungsveranstaltung in Rhodos im Innenhof der Burg des ehemaligen Grossmeisters des Johanniterordens statt. Die bislang eingetroffenen etwa 300 Teilnehmer wurden von Bürgermeister Chatzidiakos von Rhodos begrüsst, der den Kogress würdigte, den er nunmehr zum 13. Mal auf Rhodos beherbergen dürfe. Im Anschluss hielten der Metropolit von Rhodos sowie der Präsident des WPF, Wladimir Jakunin, Begrüssungsansprachen.
Es war wohltuend, dass hier etwa 400 Teilnehmer und Delegierte aus mehr als 50 Ländern weltweit zusammengekommen waren, um sich mit den drängenden Fragen, Ursachen und Lösungsmöglichkeiten unserer derzeitigen Weltlage an sechs hochkarätig besetzten ­Podien und fünf Workshops auseinanderzusetzen.
Die Konferenz wurde eröffnet mit Beiträgen des Präsidenten des World Public Forum Wladimir Jakunin, der ehemaligen US-Kongressabgeordneten Cynthia McKinney, des ehemaligen indischen Aussenministers Kanwal Sibal, des stellvertretenden Aussenministers Griechenlands Ioannis Amanatidis und des stellvertretenden Aussenministers für EU-Angelegenheiten Nikos Xydakis sowie des ehemaligen österreichischen Bundeskanzlers Alfred Gusenbauer.
Wladimir Jakunin machte zu Beginn seiner Rede die ethische Position des Weltforums deutlich: Es gehe um den weltweiten Pluralismus. Dem «Kampf der Kulturen» Huntingtons und dem, was der Westen geopolitisch mit seinen Kriegen daraus gemacht hat, stellt das Weltforum den «Dialog der Zivilisationen» entgegen. Die Betonung liegt dabei auf den Gemeinsamkeiten und der Gleichwertigkeit der Zivilisationen, weniger auf den Unterschieden. «Die Ziele, Mittel und Instrumentarien eines Dialogs der Zivilisationen gehen weit über den Rahmen des Wissenschafts- und Forschungsinteresses hinaus. Dies deshalb, weil der Erhalt des Friedens zwischen den Ländern und Völkern davon abhängt, wie wirksam und präzise die Mechanismen darauf ausgerichtet sind, gegenseitiges Verstehen herzustellen und ebenso eine vertrauensvolle Atmosphäre zwischen den Dialogpartnern zu schaffen – seien dies zwischenstaatliche Institutionen, NGOs, transnationale Körperschaften oder individuelle Persönlichkeiten. Die Bedingungen eines offenen, von gegenseitigem Respekt getragenen, gleichwertigen Dialogs sind die Hauptfaktoren, welche die Wirksamkeit von Kooperation und Partnerschaft zwischen den Zivilisationen bestimmen.» Diesen Ansatz des Dialogs der Zivilisationen sieht das World Public Forum als einzige Alternative, um dem bestehenden weltweiten Chaos in Form von Konflikten und Krisen aller Art etwas entgegenzusetzen und zu tragfähigen und nachhaltigen Lösungen zu gelangen.
Jakunin sieht einen grundlegenden Unterschied zwischen Ost und West: So verfolge der Westen (die Nato-Staaten) eine Theorie der Unvermeidbarkeit von Konflikten, die häufig zu militärischen Interventionen führen, während im Osten Kriege als Ergebnis einer fehlerhaften Politik gesehen werden. Als ein Beispiel nennt er die Äusserung des britschen Premierministers Cameron auf einer Tagung in Manchester: Es sei durchaus legitim, Atomwaffen zu gebrauchen.
Es ist falsch, zu denken, es gebe keine Alternative, es gibt etwas anderes. Es gehe darum, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Dialog zwischen den Staaten zu schaffen. Es gibt auch einen dritten Weg der Weltentwicklung, jenseits von Neoliberalismus und Kollektivismus/Autoritarismus. In einer Welt mit hegemonialem Streben, hybriden Kriegen und neoliberaler Oligarchie gehe es darum, den Dialog durchzusetzen, den berechtigten Dialog zwischen gleichwertigen Kulturen und Staaten.
Jakunin übte deutliche Kritik an der westlichen interventionistischen Politik: «Wir haben gesehen, dass eine Welt, die von einer einzigen Zivilisation dominiert wird, nicht funktioniert. Die jüngsten Konflikte in Afghanistan, im Irak, in Libyen und in Syrien haben die Misserfolge der westlichen interventionistischen Aussenpolitik bewiesen. Der gegenwärtige Stand der weltweiten Konflikte macht deutlich, dass der interkulturelle Dialog unverzichtbar ist.»
Den Postmodernismus, der keinerlei historische Kontinuität kennt, der zur Vereinzelung des Menschen, nur noch auf Konsum gerichtet, führt, verglich er mit der Terrormiliz. Hiergegen brauche es eine deutliche Opposition.
Er hob demgegenüber die Bedeutung der Familie als Vereinigung von Menschen hervor. Alles in der Welt ist fest miteinander verbunden: Die Krise einer Zivilisation ist auch eine Krise für die anderen Zivilisationen.

Grosse Themenvielfalt

Wie gross die Themenvielfalt der Konferenz war, zeigt der folgende blitzlichtartige Blick auf einige der zahlreichen weiteren Vorträge.
Der stellvertretende Aussenminister Griechenlands zeigte auf, dass durch die Weiterentwicklung der Demokratie eine Verbesserung des Friedens möglich sei. Die Religionen müssten zu ihren Kernaufgaben zurückkehren. Ziel sei ein Zusammenleben in Wohlstand und Frieden.
Die ehemalige US-amerikanische Kongressabgeordnete Cynthia McKinney gab ein engagiertes Plädoyer für die Werte, die für sie auf ihrem steinigen Weg in der politischen Auseinandersetzung mit der Friedensfrage leitend sind: Wahrheit, gerechte Wirklichkeit, Frieden und Würde. Jeder sollte versuchen, nicht ein Teil des Problems, sondern ein Teil der Lösung zu sein.
Der ehemalige österreichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer übte deutliche Kritik am Umgang mit Griechenland: Einerseits habe man Griechenland gezwungen, den öffentlichen Haushalt zu reduzieren, dann aber soll Griechenland alles Administrative tun, um die Flüchtlinge zu registrieren.
Früher wurden ökonomische Entscheidungen sorgfältig vorbereitet, heute geht alles sehr schnell, sagte Wladimir Jakunin, die digitale Welt mit ihrem E-Banking sei nur dazu da, sich über andere zu erheben.
Jayati Ghosh, Wirtschaftsprofessorin von der Universität Neu-Dehli, brachte ihre Verwunderung über die grosse Aufregung in Deutschland wegen des Flüchtlingsproblems zum Ausdruck: Migration gebe es in vielen Ländern der Welt und schon seit Jahren. Sie vermisst bei der Auseinandersetzung die Frage nach den Ursachen: Die Globalisierung der Wirtschaft verhindert die Entwicklung; sie sprach von einer regelrechten «Finanz-Artillerie» (financial artillery). Auch der bisherige Umgang mit geistigem Eigentums (intellectual property) verhindere die Entwicklung. Nachdem über Jahre eine Kolonialisierung der Denkweisen stattgefunden hat, brauche es nun eine Entkolonialisierung der Denkweisen. Man könne nicht länger das Kapital über den Menschen stellen, wir brauchen eine Demokratisierung des geistigen Eigentums und Kontrolle über das Finanzsystem und insgesamt eine deutliche Dezentralisierung. Hierbei hätten die Gemeinden eine wichtige Aufgabe.  
Wie kann es den Menschen gelingen, den Volkswillen zu mobilisieren, fragte der bekannte Völkerrechtler und ehemalige UN-Sondergesandte des Menschenrechtsrats Richard Falk und fügte hinzu, davon hänge alles ab. Die Militarisierung müsse aufhören, militärische Macht habe noch nie Kriege gewonnen.
Der namhafte Rechtsphilosoph und Präsident der International Progress Organization Hans Köchler betonte mit Blick auf die «Hybrid-Kriege», dass Fragen nach der Sittlichkeit und Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht nicht vernachlässigt werden dürfen, wenn man einer gerechten und stabilen Weltordnung verpflichtet ist.
Der stellvertretende Direktor des Departements für Sicherheitspolitik vom Österreichischen Verteidigungsministerium, Gustav Gustenau, äusserte sich zum Beitrag Österreichs hinsichtlich der Vergangenheit und Zukunft der europäischen Sicherheit: Österreich sei lange Zeit einfach der EU gefolgt und habe keine eigene Analyse gemacht. Nach aussen habe sich Österreich Deutschland angeschlossen. Im Hintergrund baute Österreich jedoch eine strategische Partnerschaft mit Russland auf; so gebe es einen guten Dialog und regelmässige Treffen. Gustenau plädierte dafür, dass die europäischen Länder wieder eigene Positionen erarbeiten.
Dem Genderismus in der heutigen Welt erteilte die Direktorin der Stiftung für das kulturelle Erbe Afrikas (Foundation for African Cultural Heritage), Theresa Okafir aus Nigeria, eine klare Absage: Was die Eltern Tag und Nacht wirklich beschäftigt, ist nicht «gender», sondern die Frage, wie es ihren Kindern geht.
Die Teilnehmer der dreitägigen Konferenz waren sich einig, dass man dem Chaos und der Anarchie entgegenwirken kann, und auch darin, dass im Umgang mit Konflikten eine andere Vorgehensweise, die danach sucht, die Wurzeln der Destabilisierung zu beheben, den Weg zu einer besseren Welt aufzeigen kann.     •

Die Podien:

-    Eröffnung
-    Eine gedeihliche gemeinsame Zukunft: Finanz- und Wirtschaftspolitik für eine inklusive und gleichwertige Entwicklung
-     WANA (West Asien und Nord Afrika) wohin?
-     Die neue Bedrohung: Hybrid-Kriege als ein Instrument des Umsturzes
-     Familienwerte als Grundlage für die nachhaltige Entwicklung der menschlichen Zivilisation
-     Die Zukunft internationaler Entwicklungsinstitutionen: Herausforderungen und Chancen
Die Workshops:

-     Vergangenheit und Gegenwart der europäischen Sicherheit unter dem Aspekt des Dialogs der Zivilisationen
-    Digitale Medien, digitaler Übergang und das Internet der Dinge
-     Auf dem Weg zum Netzwerk der Schulen des Dialogs der Kulturen
-     China und Russland: Geschichte und Zukunft
-     Die gegenwärtige Migrationskrise: Ursachen und Lösungen in Europa und darüber hinaus

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