100 Jahre «Christnacht»

100 Jahre «Christnacht»

von Hedwig Schär

Jedes Jahr zu Weihnachten schickte die Gotte meiner Schwester, wohnhaft in Wilderswil im Berner Oberland, neben dem Tafelsilber ein paar Figuren der Krippe Christnacht von der Bildhauerei Huggler in Brienz. Angefangen hatte es mit Maria, Josef und dem Christkind. Danach erweiterte sich die Krippe Jahr um Jahr. Die Freude und Spannung waren jedes Mal gross – welche Figur würde es dieses Jahr sein? Ein Hirte, ein heiliger König, eine Schaf-Familie, eine Frau oder ein Kind, das das Jesuskind besuchte? Gut erinnere ich mich noch an das schöne Kamel von den heiligen drei Königen, als wir es auspacken durften. Es hatte eine rote Decke über dem Rücken und einen stolzen Gesichtsausdruck – alles geschnitzt aus Holz.

Seit hundert Jahren wird die Krippe Christnacht hergestellt, und die Figuren wirken immer noch zeitgemäss. 1915 entwarf Hans Huggler-Wyss die ersten Weihnachtsfiguren. Er studierte in München und entwickelte dort den typischen Hugglerstil, den Flachschnitt, bei dem den Körperteilen durch den Schnitt die Form gegeben wird. Die Figuren werden nach dem Schnitzen nicht geschliffen. So erhalten sie die typische Form. An den Holzschnitzer stellt das grosse Anforderungen, muss doch jeder Schnitt genau sitzen. Bis heute werden die Figuren von Hand nach Hugglers Modellen geschnitzt. Der Stil wurde von Generation zu Generation mit grosser Sorgfalt weitergegeben. Vorbilder seiner Modelle waren die Schweizer Volks- und Charaktertypen des Berner Oberlandes, wo sich das Unternehmen auch befindet. Im Laufe der Jahre wurden neue Figuren, immer im typischen Stil, kreiert. Eine neue Figur wird zunächst skizziert, davon eine Schablone erstellt und an der Bandsäge ein Modell hergestellt. Daraus wird dann nach der Skizze die Figur geschnitzt.

Nach alten Modellen hergestellt

Das zum Schnitzen am besten geeignete Lindenholz stammt aus den heimischen Wäldern. Es wird als ganzer Stamm angeschafft und dann, in kleinere Teile zersägt, vor Ort luftgetrocknet. So wird es etwa drei bis fünf Jahre gelagert und ab und zu umgeschichtet, damit die Trocknung gleichmässig erfolgt. Vierzehn Tage vor der Verarbeitung wird das Holz ins Haus geholt zur Akklimatisation.
An der handgeführten Fräse werden in einem Arbeitsgang acht Modelle hergestellt. Diese werden von Handschnitzern zu den wunderschönen Figuren weiterverarbeitet. Das Holz wird bei dieser Arbeitsweise in der Hand gehalten und nicht in einen Schraubstock eingespannt.
Der Betrieb beschäftigt sechs Bildhauer, welche schön verteilt zwischen 3 und 43 Dienstjahre aufweisen, und zwei Lehrlinge.
Jeder Bildhauer kann alle Figuren schnitzen, hat jedoch seine Spezialgebiete und Favoriten, die er gerne schnitzt. Hanspeter Stähli ist mit 43 Dienstjahren der älteste. In dieser langen Zeit hat er die beeindruckende Anzahl von 95 289 Stück geschnitzt. Sein Spezialgebiet sind Menschenfiguren, und sein Favorit ist der König Melchior. Hampi Schild hat 3 Dienstjahre, und sein Spezialgebiet ist das Fräsen. Sein Favorit ist der Hirte mit dem Schaf auf der Schulter.
Alle Holzbildhauer entwerfen auch regelmässig neue Figuren, die dann in die Produktion aufgenommen werden. So sind im Lauf der Jahre für die Krippe Christnacht über 120 verschiedene Figuren entstanden. Josef und Maria gibt es in sechs verschiedenen Ausführungen: stehend, kniend, betend oder reitend, und auch bei den drei Königen kann zwischen je zwei Ausführungen gewählt werden. So wird jede Krippe zu einem Unikat. Überhaupt sollten die Figuren unbedingt vor Ort ausgewählt werden, da durch das Handschnitzen jede Figur und auch jeder Gesichtsausdruck unterschiedlich ist, obwohl nach der gleichen Vorlage gearbeitet wird.
Die Ausbildung der Lehrlinge dauert vier Jahre. Sie umfasst Menschen- und Tierfiguren und Ornamentik. Die Lehrlinge helfen bei der Produktion im Betrieb mit. Die etwa hundert persönlichen Werkzeuge, die ein Holzschnitzer braucht, werden ihm etwa zur Hälfte vom Betrieb geschenkt, den Rest muss er selber anschaffen. Der Arbeitsplatz des Holzschnitzers braucht gutes Licht, Platz für die vielen Werkzeuge und die Vorlage des Werkstückes.
Die meisten Figuren werden nach dem Schnitzen noch mit Holzbeize angemalt. Diese Arbeit macht Franziska Venrath, sie ist Dekorationsgestalterin. Die Mischverhältnisse der Farben, immer dieselben, sind in einem Ordner von Hand aufgeschrieben. Es gibt neun Grundfarben, neben rot, blau, gelb, schwarz und weiss sind es einige Brauntöne. Die gemischten Farben werden in Konfitüregläsern aufbewahrt und erst bei Bedarf nach den Angaben aus dem Ordner wieder neu gemischt. Dazu braucht es neben diesen Vorgaben ein gutes Farbgefühl. Die weisse Farbe ist etwas lackiert, da sie das Holz sonst nicht decken würde. Über all die Jahre wurden die Farben vom gleichen Lieferanten in gleich bleibender Qualität bezogen. Nun ist diese Firma Konkurs gegangen, ein neuer Lieferant muss­te gesucht werden. Die Farben müssen nun nach und nach geprüft und die Mischverhältnisse kontrolliert werden, damit keine Einbusse passiert.
Alle Schnitz- und Farbvorlagen sind schön übersichtlich einzeln in Kartonschachteln auf einem riesigen Gestell oder in Schubladen gelagert. So sind sie jederzeit für die Produktion bereit.

Alles Handarbeit

Die Figuren werden immer in einer kleinen Serie gearbeitet, da die Fräsmaschine in einem Arbeitsgang acht Vorlagen herstellen kann. Das Fräsen braucht für die acht Stück etwa zwei Stunden, das Schnitzen einer einfachen Figur 1,5 bis 3 Stunden; grosse Stücke können zwei bis drei Tage beanspruchen.
Das Malen braucht 10 bis 30 Minuten. Man kann sich ausrechnen, dass die Figuren auch einen angemessenen Preis haben, da alles Handarbeit ist. Der Verkauf erfolgt vor allem in der Schweiz, es wurden aber auch schon Krippen in die ganze Welt verschickt.

Der Verkaufsladen liegt in Brienz, direkt am See im Berner Oberland

Die Produktion, das heisst die Fräsmaschine, das Schnitzen und das Malatelier, liegt etwa 300 Meter entfernt im Dorf. Im Hinterzimmer des Ladens sind jedoch zwei Arbeitsplätze zum Schnitzen eingerichtet, wo meistens eine Holzschnitzerin und ein Lehrling arbeiten, damit die Kundschaft Gelegenheit hat, bei der Herstellung zuzuschauen.
Die Firma Huggler stellt mehrere Krippen her: Die Krippe Christnacht, etwa 14 cm hoch, ist die älteste und beliebteste, da sie eine ideale Grösse für ein Wohnzimmer hat. Palästina ist mit 12 cm etwas kleiner, die Krippe Weihnacht mit 22 cm ist etwas grösser. Die Krippe Noel ist schlicht, die Gesichter sind nicht ausgearbeitet und nicht bemalt. Die Krippe Kerzenlicht ist moderner, und die Krippe Navidad ist mit ihren 41 cm Grösse für Kirchen gut geeignet.
In einer schönen Holzschachtel können Maria, Josef und das Christkind erworben werden. Jedes Jahr wird die Krippe dann um eine oder ein paar Figuren erweitert.
Das Sortiment der Bildhauerei Huggler beinhaltet auch noch Schweizer Trachtenfiguren, Alpaufzüge, Tierfiguren, Ornamente und sakrale Skulpturen.
Es lohnt sich auf jeden Fall, einmal eine Reise ins Berner Oberland an den Brienzersee und in den Laden der Firma Huggler zu unternehmen oder, zur Not, einen Blick auf ihre Webseite www.huggler-woodcarvings.ch zu werfen.
Die traditionsreiche Firma Huggler existiert seit 1900. Dass sie bis heute besteht, zeigt, dass sie qualitativ hochwertig und solide arbeitet.
Das Hauptabsatzgebiet ist nicht, wie man vermuten könnte, der ausländische Tourismus, sondern die Schweiz. Die Liebe zum Handwerk und die sorgfältige Arbeit sprechen eben aus jeder Figur.    •

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