von Hermann Ploppa*, Deutschland
Die Bundesregierung entsendet Bundeswehr-Flugzeuge in den Syrien-Krieg. Nach Expertenmeinung handelt es sich dabei um blinden Aktionismus. Trotzdem ist dieser Aktionismus Teil einer Langzeitstrategie.
Nun haben also unsere Bundestagsabgeordneten mit überwältigender Mehrheit dem Bundeswehr-Einsatz in Syrien zugestimmt. Solche Tatkraft und Entschlossenheit im Kampf gegen das Böse in Form der Terrorschwadronen des Islamischen Staates beeindruckt. Wir Demokraten lassen uns von bärtigen Sandalen tragenden Kopfjägern nicht einschüchtern. Wir tun was.
Vier deutsche Tornado-Kampfjets sollen die Steinzeitmuslime das Fürchten lehren. Ausserdem schützen wir französische Flugzeugträger, und wir leihen auch Personal für die Hauptquartiere der französischen Einsatzstäbe aus. Wir tun was.
Peinlich nur, dass gleich zwei erfahrene Spitzenmilitärs im Ruhestand die deutsche Beteiligung für «blinden Aktionismus» halten. Harald Kujat war früher General der deutschen Luftwaffe. Kujat qualifiziert das deutsche Militär-Debüt in Nahost als rein symbolische Geste gegenüber unserem Verbündeten Frankreich.1 Die Bundeswehr-Aktion sei nicht eingebettet in irgendeine Gesamtstrategie, die es im übrigen sowieso gar nicht gäbe. Es habe nämlich gar keinen militärischen Sinn, aus grosser Flughöhe Ziele auf dem Boden zu bombardieren. Die IS-Kämpfer bewegen sich in Zivilfahrzeugen zum Kampfplatz und wohnen ansonsten inmitten unter Zivilisten. Sie anzugreifen führt also unweigerlich zu sogenannten Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung. Luftoperationen hätten also überhaupt keinen Sinn, wenn sie nicht in Zusammenarbeit mit Bodentruppen erfolgen. Und das, so Kujat, träfe nur auf den Einsatz der russischen Luftwaffe in Syrien zu. Die arbeite nämlich mit den Bodentruppen der syrischen Regierung eng zusammen. Und da ausser den Russen niemand in Syrien über eine gemeinsame Kommandostruktur verfüge, verderben viele aktionistische Köche den Brei. Und das lässt Kujat zu der Schlussfolgerung gelangen: «Jede Luftmacht, die dazu kommt, kompliziert die Situation zusätzlich.» Helfen könnten nur politische und humanitäre Lösungen.
Noch schärfer attackiert der sichtlich erschütterte ehemalige Oberstleutnant und Nato-Einsatzplaner Ulrich Scholz in einem Interview der Tagesschau das deutsche militärische Engagement in Syrien.2 Die Aktion sei «strategisch sinnlos … nur eine Geste gegenüber Frankreich». Auch Scholz moniert das Fehlen einer Zusammenarbeit zwischen Bodentruppen und Luftwaffe. Zudem seien die Tornados schlicht und ergreifend vollkommen veraltet: «… das ist Vietnam-Technologie, die wir da haben … Drohnen und F-16, die jetzt vor Ort sind, können das wesentlich besser.» Da trotteln also jetzt bundesdeutsche Flugsaurier neben oder hinter den zeitgenössischen Kampffliegern herum und werden aus Mitleid auch mal mit einem Auftrag beglückt, damit sie nicht nur dumm im Weg rumstehen? Haben wir das so zu verstehen?
Dass ranghohe Militärs im Ruhestand das Wort erheben, um offensichtlichen strategischen Unsinn anzuprangern, hat in Deutschland Tradition. Es ist mit Gewissheit davon auszugehen, dass die Veteranen im Namen ihrer aktiven Kameraden innerhalb der Bundeswehr sprechen, die sich auf Grund politischer Loyalität zur Bundesregierung nicht so deutlich äussern dürfen. Es ist weiterhin davon auszugehen, dass es mit dem Berufsethos eines Soldaten nicht zu vereinbaren ist, irgendwelchen offenkundigen Unfug im Ausland zu treiben.
Aber: Ist es auch Schwachsinn, so hat es doch Methode. Warum fliegen in Syrien lauter Bomber herum und zielen auf die Erdoberfläche, ohne übergreifende Strategie, mit Ausnahme der russischen Luftwaffe? Die Tagesschau zitiert einen Experten der USA-nahen Denkfabrik Stiftung Wissenschaft und Politik3, einem offiziellen Beratungsinstitut der Bundesregierung, Guido Steinberg, der offen sagt: «Mit Syrien hat das wenig zu tun.»4 Vielmehr wolle Bundeskanzlerin Merkel ihren französischen Amtskollegen François Hollande den Rücken stärken gegen den Vormarsch der Rechtspopulisten unter Le Pen bei den Wahlen – in Frankreich! Steinberg sagt im übrigen eine weitere Stärkung der IS durch den deutschen militaristischen Aktionismus voraus.
Wenn dem so wäre, wie Guido Steinberg es sagt, müsste man umgehend ein Amtsenthebungsverfahren gegen die jetzige Bundesregierung in die Wege leiten: Deutsche Soldaten operieren im Ausland und riskieren Leib und Leben als Wahlkampfhelfer für die Sozialisten in Frankreich? Allerdings leidet Steinbergs Erklärung an einem Mangel an Plausibilität. Keine Bundesregierung hat jemals Soldaten ins Ausland geschickt, um einem befreundeten ausländischen Staatschef kurzfristig aus dessen innenpolitischer Bredouille zu helfen. Vielmehr hat die Steinberg-Hypothese die Funktion einer ideologischen Nebelkerze.
Der Don-Quichotte-Ausritt der Bundeswehr in Syrien ist nämlich nur Teil einer langfristigen Militärpräsenz im Nahen und Mittleren Osten.
Das ist mit dem Wort «Syrien-Engagement» wunderbar verdeckt. Wer sich nämlich das vom Parlament mehrheitlich gebilligte Mandat genau anschaut, stellt folgendes fest: Mit dem Mandat sind Bundeswehr-Einsätze nicht nur in Syrien genehmigt worden, sondern in allen Ländern, wo der IS sein Unwesen treibt.5 Das Mandat stellt folglich den Freibrief für Bundeswehr-Einsätze im Irak, dem östlichen Mittelmeer, dem Roten Meer, dem Persischen Golf und für alle angrenzenden Seegebiete bereit. Einziger Vorbehalt: Die betroffenen Staaten müssen einem solchen Einsatz zustimmen. Die Regierungen vor Ort sind schwach, die Infrastruktur und die Sicherheitsarchitektur sind mürbe, und so werden die betroffenen Regierungen im Bedarfsfalle ihre Genehmigung für die Demontage ihrer nationalen Souveränität gerne erteilen. Oder man schert sich sowieso im Post-9/11-Zeitalter nicht mehr um solche Empfindlichkeiten. Türkische Truppen haben Teile des Irak besetzt, ohne die irakische Regierung um Erlaubnis zu fragen. Die Türkei ist Mitglied der Nato. Bislang hat die Nato die Türkei nicht aufgefordert, diese Invasion sofort rückgängig zu machen. Von Nato-Sanktionen gegen die Türkei ganz zu schweigen.
Die Bundeswehr ist jetzt fest im Spinnennetz nahöstlicher Verstrickungen gefangen. Offiziell ist das Mandat nur bis zum 31.12.2016 begrenzt. Das kennen wir schon. Wie viele Jahre wurde das Engagement in Afghanistan stets vor dem Fristenende erneuert? Aus diesem Abenteuer kommen wir so schnell nicht wieder raus. So viel ist sicher. Die deutschen Steuerzahler beteiligen sich jetzt erst einmal mit 134 Millionen Euro am Syrien-und-Umgebung-Abenteuer. Das dürfte sich allerdings verhalten wie mit dem Kostenvoranschlag für einen Hausneubau: Der wird in der Regel nach Vollendung weit überschritten. Und wir bräuchten diese 134 Millionen-plus Euro so dringend, um die Länder und Kommunen in ihrem Krisenmanagement bei der Flüchtlingskatastrophe zu unterstützen.
Kommen wir wieder zu den beiden ehemaligen Spitzenoffizieren der Bundeswehr, General Kujat und Oberstleutnant Scholz zurück. Beide betonen in den genannten Interviews die Gefahr, dass nun auch Deutschland in weit grösserem Masse als bisher das Ziel terroristischer Anschläge sein wird. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Nach Paris wird nun über kurz oder lang Berlin brennen. Und es wird Blut fliessen. Und dann wird auch Deutschland zum Hochsicherheitstrakt. So wie es Frankreich jetzt schon ist. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wurden in einem Pariser Vorort die Bewohner unter kollektiven Hausarrest gestellt. «Sicherheits»kräfte beherrschen in voller Montur die Strasse. Die Menschen sind schockstarr und lassen alles über sich ergehen.
Frankreich wird zu einem Militärstaat umgebaut. Und jeder Terrorakt lässt die sowieso schon lange geplante Aufrüstung unseres westlichen Nachbarlandes weiter anschwellen. Bereits nach dem Attentat auf die Redaktion der Zeitschrift Charlie Hebdo im Frühjahr dieses Jahres 2015 ergab sich für die Grande Nation die Gelegenheit, ihre Steuerzahler mit einer monströsen Erhöhung des Wehretats um sage und schreibe vier Milliarden Euro zur Ader zu lassen.6 Die Massaker in Paris im Herbst desselben Jahres schaffen die atmosphärischen Voraussetzungen, den französischen Bürgern noch einmal eine Milliarde Euro für die Rüstung abzupressen.7 Geschockt geben die Bürger Frankreichs bereitwillig ihr Geld, ihre zivilen Grundrechte und ihren Anspruch auf sozialen Fortschritt an der Garderobe ab.
All das wird uns jetzt auch blühen. Die Bundesrepublik Deutschland und insbesondere die Hauptstadt Berlin sind augenblicklich noch sehr offen und entspannt, verglichen mit den hochgradig kontrollierten und in Sektoren abgeschlossenen öffentlichen Räumen in Frankreich, England oder den USA. Wenn wir jetzt die Köpfe in den Sand stecken und hoffen, dass schon alles gutgehen wird; wenn wir uns nicht sofort ernsthaft auf die Situation vorbereiten, die in Form terroristischer Anschläge als Vergeltung für unsere militärische Einmischung in bereits jetzt schon hoffnungslos verfahrene Kampfsituationen eintreten werden; dann haben wir bereits jetzt unsere Zivilgesellschaft aufgegeben. Für den krebsgeschwürartig wachsenden globalen Militär-Industriellen-Komplex ist Deutschland mit seinem Reichtum nämlich ein äusserst interessanter Wachstumsmarkt.
Nach dem grässlichen Massaker in Paris am Freitag, dem 13. November 2015, knallten bei den Rüstungskonzernen die Sektkorken. Am darauffolgenden Montag schossen die Rüstungsaktien an der New Yorker Börse durch die Decke.8 Die Aktien für Lockheed Martin stiegen um 3,5% im Wert und Northrop Grumman um 4,4%. Natürlich hat auch die Rüstungsindustrie ihre eigenen Analyse-Büros, zum Beispiel die Firma Stifel in Missouri in den USA. Stifel prophezeit für das Jahr 2016 goldene Zeiten für die Rüstungsindustrie: «Wir sehen als wahrscheinlichstes Ergebnis die politische Unterstützung für Verteidigungsausgaben, und dass im Jahre 2016 ein grösseres Augenmerk in den Debatten anlässlich der Wahlen auf nationale Sicherheit und Terrorismus gelegt wird, was mit hoher Wahrscheinlichkeit positive Schlagzeilen für Militärkonzerne bringen wird.»9 •
* Hermann Ploppa ist Politologe und Publizist. Neben zahlreichen Beiträgen für Telepolis, junge Welt, Deutschlandfunk, Nachdenkseiten, Crashkurs oder Zeit-Fragen hat Ploppa auch zwei Bücher zur Zeitgeschichte veröffentlicht: «Hitlers amerikanische Lehrer – Die Eliten der USA als Geburtshelfer des Nationalsozialismus» (2008), sowie «Die Macher hinter den Kulissen – wie transatlantische Netzwerke die Demokratie unterwandern» (2014).
1 Ex-Nato-General Harald Kujat. Interview in Streitkräfte und Strategien, NDR, 28.11.2015, 19.20 h
<link http: www.ndr.de info sendungen streitkraefte_und_strategien>www.ndr.de/info/sendungen/streitkraefte_und_strategien/Anti-Terror-Kampf-Gesamtstategie-nicht-in-Sicht,streitkraefte366.html
2 Interview mit Oberstleutnant a.D. Ulrich Scholz in der Tagesschau vom 26.11.2015 <link http: www.tagesschau.de multimedia video video-136135.html>www.tagesschau.de/multimedia/video/video-136135.html
3 zur SWP: Hermann Ploppa, Die Macher hinter den Kulissen – Wie transatlantische Netzwerke heimlich die Demokratie unterwandern; Frankfurt 2014. S. 92f.
4 Tagesschau vom 6.12.2015, Bericht von Michael Stempfle, der Steinberg <link http: zitiertwww.tagesschau.de inland bundeswehr-syrien-111.html>zitiertwww.tagesschau.de/inland/bundeswehr-syrien-111.html
5 Tagesschau, Hintergrund, 1.12.2015
<link http: www.tagesschau.de ausland>www.tagesschau.de/ausland/syrien-einsatz-bundeswehr-101~_origin-57931567-6f5a-4dcc-b7cd-a5ac1b8b2c88.html
6 Grande Nation, Charles Liebherr, 29.4.2015 <link http: www.chli.paris frankreich-erhoeht-militaerbudget-um-10-prozent-nach-den-attentaten>www.chli.paris/2015/04/29/frankreich-erhoeht-militaerbudget-um-10-prozent-nach-den-attentaten/
7 Manager Magazin, 17.11.2015, Frankreich bittet EU-Länder formell um Beistand. <link http: www.manager-magazin.de politik europa eu-frankreich-bittet-formell-um-beistand-a-1063231.html>www.manager-magazin.de/politik/europa/eu-frankreich-bittet-formell-um-beistand-a-1063231.html
8 Mother Jones, 18.11.2015, Weapons Companies’ Stock Surge after Paris Attacks. <link http: www.motherjones.com politics weapons-company-stock-rally-paris-attacks-isis>www.motherjones.com/politics/2015/11/weapons-company-stock-rally-paris-attacks-isis sowie CNN Money, 18.11.2015, ‹War on ISIS› stocks rise after Paris attacks. <link http: money.cnn.com investing paris-attacks-defense-stocks-isis>money.cnn.com/2015/11/16/investing/paris-attacks-defense-stocks-isis/
9 Mother Jones, a.a.O.
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