Die Krise der USA ist Ausdruck des Niedergangs

Die Krise der USA ist Ausdruck des Niedergangs

Eine innere Geschichte der heutigen USA

von Prof. Dr. Klaus Hornung

Wie stabil ist die «Führungsmacht der Welt» (Präsident George Bush 1992), «die unerlässliche Nation für Frieden, Freiheit und Demokratie in der Welt» (Präsident Bill Clinton 1997)? Damals konnten die Vereinigten Staaten nach dem Sieg im kalten Krieg sich auf einem Höhepunkt ihrer Geschichte fühlen. Zwei Jahrzehnte später, nach den Militärinterventionen im Irak und in Afghanistan, die zu Desastern wurden, rutschten sie in ihre schwere Finanz- und Wirtschaftskrise und sitzen auf einem astronomischen Staatsschuldenberg von fast 15 Billionen Dollar.
Für den US-Journalisten George Packer ist die Krise Ausdruck eines Niedergangs, der Auflösung der gesellschaftlichen Solidarität in extremen Individualismus, nicht zuletzt in eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Sein Buch zeichnet diese innere Geschichte der heutigen Vereinigten Staaten, und der Verfasser ortet die Wurzeln: Die Mächtigen der Finanzwelt haben ihren Pakt mit der Gesellschaft in einer Orgie von Überfluss und Zynismus aufgekündigt. Es hat sich ein System der «Drehtürpolitik» zwischen Wall Street und Capitol Hill, Finanzoligarchie, Kongress und Repräsentantenhaus entwickelt, das alle Symptome des Niedergangs aufweist.
Packer lässt die Aussen- und Militärpolitik aussen vor. Er will die innere Geschichte des Szenarios der USA in einer langen Reihe ausführlicher Sozialbiographien von Zeitgenossen in Politik und Wirtschaft, auch von Menschen aus den breiten Schichten, darstellen. Da ist etwa Jeff Connaughton, der sein Leben zwischen dem Finanzsektor und der Politik verbringt und aus der Wahlkampfmannschaft des heutigen Vizepräsidenten Joe Biden bis in die hohe Ministerialbürokratie Washingtons aufsteigt, dabei ein beträchtliches Vermögen erwirbt und Zeuge der erbarmungslosen Machtkämpfe in den Eliten und ihren Netzwerken um Einfluss und finanziellen Gewinn wird.
Das Handeln einer grossen Zahl von Bankern, Anwälten und Finanzprüfern ist oft weit entfernt von Recht und Gesetz, geprägt von der Gier nach Boni in Millionenhöhe und dem Streben nach weiterem Aufstieg in ertragreiche politische Ämter und Positionen. Es ist das Panorama eines Politikstils, in dem die Bedenkenlosen gewinnen, das Bild der Machtpraxis einer Elite, die sich von den klassischen demokratischen und rechtsstaatlichen Normen weit entfernt hat. In diesem Rahmen tauchen dann auch bekannte Figuren der Zeitgeschichte auf, etwa Präsident Bill Clinton mit seinen bekannten Sexgeschichten und feierlichen Eiden, durch die er sich dem Gesetz zu entziehen verstand.
Und da ist auch die tragische Gestalt Colin Powells, Einwandererkind aus Jamaika, der als Soldat lange Jahre in Vietnam kämpfte und es bis zum angesehenen Generalstabschef und Aussenminister brachte, um schliess­lich von seinem Präsidenten Bush junior zu der bekannten Rede vor dem UN-Sicherheitsrat missbraucht zu werden, zu der Lüge über die angeblichen Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins, die die amerikanische Militärintervention im Irak begründen sollte und den guten Ruf des integeren Staatsdieners zerstörte.
Der Autor wechselt hinüber ins Silicon Valley, diesem Symbol unerschöpflicher amerikanischer Erneuerungskraft. Hier ist sein biographischer Zeuge ein gewisser Peter Thiel, Sohn aus einer «wiedergeborenen» christlichen Familie, begabter Stanford-Student, entschiedener Kommunisten- und Homogegner, der sich eines Tages selbst outen muss. Später gründet er mehrere Hedgefonds, durch die er zum Titan eines Milliardenvermögens wird und seine Tage als einflussreicher Grosssponsor in seiner Luxus-Villa an der Marina in Stanford verbringt.
Es waren die Jahre, in denen Kalifornien durch die Rüstungs- und Weltraumtechnologie und dann durch Internet und Facebook zu einer Art Himmel auf Erden zu werden schien, aber durch die aufbrechende Internet-Blase und die anschliessende Krise seit 2008 doch dem Niedergang nicht entging. So wächst bei dem nachdenklich werdenden Libertären Thiel die Einsicht in die intellektuellen und politischen Grenzen des amerikanischen Traumtanzes um das Goldene Kalb und seine Folgen.
Packers Buch ist eine eigenwillige Mischung von Dokumentation und Literatur. Mit Engagement zeichnet er die jüngere innere Geschichte der USA. Die Forderung des Autors nach entschiedenen Korrekturen des heutigen politischen Systems seines Landes und seiner gesellschaftlichen Erneuerung ist überall im Text zu erkennen. Packers Panorama dieses Niedergangs erinnert an das Buch des Sozialwissenschaftlers Christopher Lasch «Die blinde Elite – Macht ohne Verantwortung» (deutsche Übersetzung 1995), der den Kern der amerikanischen Krise ebenfalls in einer «demokratischen Malaise» erkennt.
Es ist die Geschichte der Entfremdung der privilegierten Eliten von ihrer Gesellschaft, jener, die den internationalen Fluss des Geldes und der Informationen kontrollieren, mit ihrem multikulturellen Lebensstil der Arbeit und Freizeit in ihren abgeschotteten, gut beschützten Enklaven, und sich ihren staatsbürgerlichen Pflichten längst entzogen haben. Diese Welt erscheint wie die Verwirklichung der berühmten Vision Max Webers einer Gesellschaft von «Fachmenschen ohne Geist, Genussmenschen ohne Herz».    •
George Packer: Die Abwicklung. Eine innere Geschichte des neuen Amerika. Frankfurt am Main 2014, ISBN 978-3-10-000157-3

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