Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:
Art. 104a Ernährungssicherheit
1 Der Bund stärkt die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln aus vielfältiger und nachhaltiger einheimischer Produktion; dazu trifft er wirksame Massnahmen insbesondere gegen den Verlust von Kulturland einschliesslich der Sömmerungsfläche und zur Umsetzung einer Qualitätsstrategie.
2 Er sorgt dafür, dass der administrative Aufwand in der Landwirtschaft gering ist und die Rechtssicherheit und eine angemessene Investitionssicherheit gewährleistet sind.
Art. 197 Ziff. 11 11. Übergangsbestimmung zu Art. 104a (Ernährungssicherheit) Der Bundesrat beantragt der Bundesversammlung spätestens zwei Jahre nach Annahme von Artikel 104a durch Volk und Stände entsprechende Gesetzesbestimmungen.
Interview mit Nationalrat Rudolf Joder, SVP/BE
Zeit-Fragen: Wie muss man den Gegenvorschlag des Bundesrates zur Ernährungssicherheitsinitiative beurteilen? Ist das wirklich ein Gegenvorschlag?
Nationalrat Rudolf Joder: Der Gegenvorschlag des Bundesrates zur Ernährungssicherheitsinitiative ist sehr gefährlich, weil er die verfassungsrechtliche Grundlage schafft, die den Zugang zu allen internationalen Agrarmärkten neben dem der EU ermöglichen will. Das bedeutet konkret, dass der Bundesrat unverändert den Grenzschutz reduzieren und möglichst Agrarfreihandelsabkommen mit vielen Staaten abschliessen will. Eigentlich ist es gar kein Gegenvorschlag zur Ernährungssicherheitsinitiative.
Was für eine Sichtweise verbirgt sich hinter der Haltung des Bundesrates?
Für den Bundesrat ist die Nahrungsmittelversorgung der schweizerischen Bevölkerung ein arbeitsteiliger Prozess, in dem die schweizerischen Produzenten in der Landwirtschaft nur noch eine kleine Rolle spielen. Deshalb muss der Gegenvorschlag klar bekämpft werden.
Sind neben dieser neoliberalen Sichtweise des Bundesrates noch andere Aspekte problematisch?
Der zweite gefährliche Punkt im Gegenvorschlag des Bundesrates ist die Forderung, dass die Schweizer Landwirtschaft wettbewerbsfähig gemacht werden soll, damit sie auf den internationalen Märkten bestehen kann. Dies ist eine Illusion und absolut fern der Realität. Wir haben in der Schweiz viel höhere Kosten, kleinräumige Verhältnisse, schwierigere topographische Bedingungen, so dass kein Agrarprodukt der Schweiz international wettbewerbsfähig sein wird.
Ist das mit unserem Käse nicht gelungen, der Bundesrat hat doch hier ein grosses Potential gesehen?
Der beste Beweis für das Scheitern ist die Öffnung des Käsemarktes im Jahre 2007. Dies hat dazu geführt, dass seit Juni 2014 die Schweiz kein «Käseland» mehr ist, sondern mehr Käse importiert als exportiert wird. Dabei handelt es sich um ein Schweizer Premiumprodukt.
Das ist kaum zu glauben. Das muss man sich einmal vorstellen. Warum verspricht sich der Bundesrat mit Export-/Importabkommen eine Verbesserung der Ernährungssicherheit, obwohl die Abhängigkeit viel grösser wird, als wenn man das Ganze im eigenen Land produzieren würde?
Der Bundesrat blendet die Abhängigkeit aus und will im Interesse der Exportwirtschaft möglichst Zugang zu allen internationalen Märkten, damit die Schweizer Volkswirtschaft wachsen kann. Der Bundesrat spricht im Zusammenhang mit der Agrarmarktöffnung von einem jährlichen Wachstum von 0,5 % des Bruttoinlandproduktes oder konkret von zwei Milliarden Franken. Dieser Betrag ist geringer als die Direktzahlungen, die Bauern ausgerichtet werden. Also kann von Wachstum keine Rede sein.
Was hat das längerfristig für Auswirkungen, wenn wir der bundesrätlichen Agrarpolitik folgen würden?
Diese würde die Abhängigkeit vom Ausland stark erhöhen. Die Landwirtschaft würde weiterhin massiv schrumpfen, was wir schon länger feststellen. Seit dem Jahr 2000 sind über 15 000 Bauernbetriebe mit über 40 000 Arbeitsplätzen verschwunden. Die Widersprüchlichkeit in der Schweizer Landwirtschaftspolitik wird mit dem bundesrätlichen Gegenvorschlag weitergeführt. Es wäre viel besser und billiger, wenn der Bundesrat vernünftige Rahmenbedingungen für die einheimische produzierende Landwirtschaft schaffen und dafür weniger Direktzahlungen in Form von Landschaftsqualitätsbeiträgen bezahlen würde. Damit könnte die Leistungsfähigkeit der einheimischen Bauern als Versorger der Bevölkerung mit guten und qualitativ hochstehenden Nahrungsmitteln gesteigert und öffentliche Mittel in Form von Direktzahlungen eingespart werden.
Die Landwirtschaft betrifft vor allem die Bevölkerung, denn wir sind diejenigen, die diese landwirtschaftlichen Produkte geniessen. Inwieweit ist in dieser Frage der Bürger aufgefordert, sich zu Wort zu melden und zu sagen, was er will und nicht will?
Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Der Bürger soll bei der Abstimmung Gelegenheit haben, über die Ernährungssicherheitsinitiative beziehungsweise über den Gegenvorschlag abzustimmen. Es ist unser Ziel, Allianzen zu bilden, denn es geht hier nicht nur um die Zukunft der Landwirtschaft. Es geht auch um die Versorgungsicherheit der Bevölkerung. Es geht um die Lebensmittelsicherheit gegenüber den Konsumenten. Es geht darum zu verhindern, dass die hiesigen Tierschutzbestimmungen und die Tierwohlvorschriften ausgehebelt werden und ausländisches Fleisch, das mit Tierquälerei hergestellt wurde, eingeführt wird. Es geht auch darum, die Umweltbelastung zu reduzieren, welche durch die langen Transporte von Lebensmitteln entstehen, die genauso gut bei uns produziert werden könnten. Es geht aber auch um die Souveränität und Unabhängigkeit unseres Landes und damit um das Fundament der Schweiz.
Was ist zu tun?
Mit den interessierten Gruppen muss die Landwirtschaft eine Allianz bilden. Wenn dies gelingt, werden die Anliegen für eine gesunde und unabhängige Landwirtschaft mehrheitsfähig. Mit den Umweltverbänden, mit den Tierschützern, mit den Konsumenten, kurz gesagt mit allen Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes.
Muss man nicht bei den Bürgern ein Bewusstsein für die Folgen schaffen, wenn wir nicht mehr unsere eigenen Lebensmittel herstellen können?
Das ist richtig. Genau aus diesem Grund haben wir die Form der Volksinitiative gewählt. Im Vorfeld der Abstimmung wird sich jeder eine Meinung bilden und seine Überlegungen machen müssen, was es ihm bedeutet, qualitativ gute Lebensmittel, die hier nach unseren gesetzlichen Standards hergestellt worden sind, zu konsumieren. Der Preis spielt dabei kaum noch eine Rolle, weil der durchschnittliche Schweizer Haushalt heute ungefähr 6,8 % seines Budgets für Lebensmittel ausgibt. Das ist ein sehr kleiner Betrag, und deshalb ist das Argument des Preises der Lebensmittel in der Schweiz kein echtes Argument …
… zumal die Qualität bei tieferen Preisen auch noch gewaltig leidet …
Ja, das ist sicher so. Die Lebensmittelsicherheit wird hier tangiert. Ein Beispiel: In der Schweiz ist die Verwendung von Hormonen in der Tiermast verboten. Hormonbehandeltes Fleisch aus dem Ausland darf aber eingeführt werden. Durch den grenzüberschreitenden Fleischhandel sind solche Gefahren vermehrt gegeben. Das bemerkte sogar das Bundesamt für Gesundheit und warnte vor weiteren Lebensmittelkrisen. Schon heute werden 20 Prozent des konsumierten Fleisches aus dem Ausland importiert.
Sie haben neben der Volksinitiative noch eine parlamentarische Initiative auf den Weg gebracht. Was möchten Sie damit noch erreichen?
Ich habe die parlamentarische Initiative lanciert, weil der Bauernverband es leider abgelehnt hat, im Text der Ernährungssicherheitsinitiative die Einfuhr von Lebensmitteln aus dem Ausland in die Schweiz zu beschränken. Ich habe dies damals in den Verhandlungen mit dem Bauernverband verlangt, mit der Absicht, die einheimische produzierende Landwirtschaft und den hiesigen Konsumenten zu schützen. Weil diese Bestimmung aber nicht in die Ernährungssicherheitsinitiative aufgenommen worden ist, habe ich mit einer parlamentarischen Initiative verlangt, dass im Landwirtschaftsgesetz die Einfuhr von Lebensmitteln im Rahmen von Freihandelsabkommen beschränkt wird.
Was würde das bewirken?
Dadurch wird die einheimische produzierende Landwirtschaft geschützt. Die Diskussion über die parlamentarische Initiative läuft. Aber wenn der Gegenvorschlag des Bundesrates angenommen wird, haben wir in der Verfassung eine Bestimmung, dass die Märkte erschlossen und der Grenzschutz abgebaut werden soll. Dann ist Tür und Tor geöffnet, unsere einheimische Produktion gerät massiv unter Druck und könnte wahrscheinlich auch den hohen Qualitätsstandard nicht mehr halten.
Würde diese Initiative auch Auswirkungen haben, wenn der Gegenvorschlag angenommen würde?
Wenn die parlamentarische Initiative angenommen wird und in das Landwirtschaftsgesetz Eingang findet und gleichzeitig in die Verfassung der Gegenvorschlag des Bundesrates aufgenommen wird, dann ist die Situation so, dass die Verfassung dem Gesetz vorgeht und die Agrarmärkte geöffnet werden, mit allen katastrophalen Auswirkungen für unser Land und unsere Landwirtschaft.
Also muss das Streben sein, die weitere Öffnung des Agrarmarktes mit allen politischen Mitteln zu verhindern.
Wir diskutieren im Verein für produzierende Landwirtschaft ebenfalls, zur Ergänzung der Ernährungssicherheitsinitiative nochmals eine Volksinitiative zu lancieren, damit die Einfuhr von Lebensmitteln auch auf Stufe Verfassung verankert wird. Es geht auch darum, damit den Druck gegen den bundesrätlichen Gegenvorschlag aufrechtzuerhalten. Nur so haben wir die Chance, auch weiterhin über eine souveräne und auf hohe Ernährungssicherheit ausgerichtete landwirtschaftliche Produktion zu verfügen. Mit einer eigenständigen landwirtschaftlichen Produktion kann dem Bauernsterben entgegengewirkt werden, und wir könnten einen Teil unseres kulturellen und staatlichen Erbes aufrechterhalten.
Herr Nationalrat Joder, vielen Dank für das Gespräch. •
(Interview Thomas Kaiser)
Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 139 Absatz 5 der Bundesverfassung, nach Prüfung der am 8. Juli 2014 eingereichten Volksinitiative «Für Ernährungssicherheit», nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom ..., beschliesst:
I Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:
Art. 102a Ernährungssicherheit
Zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln schafft der Bund Rahmenbedingungen, welche die Nachhaltigkeit unterstützen und günstig sind für:
II
a. die Sicherung der Grundlagen für die landwirtschaftliche Produktion, insbe- sondere des Kulturlandes;
b. eine standortangepasste und ressourceneffiziente Produktion von Lebensmit- teln;
c. eine wettbewerbsfähige Land- und Ernährungswirtschaft;
d. den Zugang zu den internationalen Agrarmärkten;
e. einen ressourcenschonenden Konsum von Lebensmitteln.
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