10 Gründe für ein Nein zum revidierten FMedG

10 Gründe für ein Nein zum revidierten FMedG

zf. Nachdem vor 11 Monaten Artikel 119 Abs. 2c der Bundesverfassung geändert und die «Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie im Humanbereich» innerhalb der Bundesverfassung neu geregelt wurde, werden die Schweizer Stimmbürger am 5. Juni 2016 über das dieser Verfassungsänderung folgende Gesetz (Fortpflanzungsmedizingesetz FMedG) abstimmen. Allerdings geht die jetzige Vorlage weit über den ursprünglichen Vorschlag des Bundesrates zur Umsetzung der Verfassungsbestimmung hinaus.
Die Gegner dieses Gesetzes thematisieren mit ihrem Kampagnensujet den bedenklichen globalen Trend hin zu einer Fortpflanzungsmedizin ohne jegliche ethischen Grenzen. Um nur ein Beispiel zu nennen: In Grossbritannien werden menschliche Embryonen bereits gentechnisch verändert, und es werden Embryonen mit dem Erbgut dreier Elternteile hergestellt.
Noch sind wir in der Schweiz nicht so weit. Doch würde die Annahme des FMedG zur Etablierung einer gefährlichen Selektions-Mentalität führen, die sukzessive ausgeweitet werden wird. Dazu kommt, dass sich die korrekte Anwendung der PID-Technik in der Praxis kaum kontrollieren lässt. Die Annahme der Gesetzesrevision würde zu einer grundsätzlichen Änderung im Umgang mit dem Leben führen.
Es hat sich deshalb eine breite Front der Ablehnung gegen das revidierte FMedG gebildet. Ein überparteiliches Komitee mit über 50 Parlamentsmitgliedern aus BDP, CVP, EDU, EVP, Grünen, SP und SVP hat sich zu einem nationalen überparteilichen Komitee «NEIN zu diesem FMedG» vereint. Dieses Komitee beurteilt das neue FMedG als extrem, gefährlich und unkontrollierbar. Zudem haben sich 19 sozial engagierte Organisationen und mit ihnen praktisch alle Behindertenorganisationen im Komitee «Vielfalt statt Selektion – Nein zum Gesetz» und weitere Gegner im Komitee «PID stoppen» zusammengeschlossen. Auch die Schweizer Bischofskonferenz («Im Namen der Menschenwürde nein zur Präimplantationsdiagnostik» vom 26. April) und der Schweizerische Evangelische Kirchenbund («Fortpflanzungsmedizin um der Kinder willen» vom 26. April) lehnen das Gesetz klar ab. Im folgenden veröffentlichen wir das Kurzargumentarium «10 Gründe für ein NEIN zum revidierten FMedG» (Quelle: <link http: www.fmedg-nein.ch>www.fmedg-nein.ch).

1. Das FMedG führt zu schrankenloser Selektion

Ein Gentest stellt alle erdenklichen Informationen über einen Embryo zur Verfügung (unter anderem auch das Geschlecht). Es liegen also auch Testergebnisse vor, die nicht zur Selektion verwendet werden dürften. Daher kann und wird diese Technik mit der Zeit zur missbräuchlichen Selektion führen. Dies bestätigt auch der Bundesrat: Es kann «aus verfahrensinhärenten Gründen nicht mehr gewährleistet werden, dass nur Embryonen mit Merkmalen für schwere Erbkrankheiten ausgesondert werden».1 Für FortpflanzungsmedizinerInnen, die mit zahlreichen Begehrlichkeiten konfrontiert sind, wird der Handlungsspielraum gefährlich gross. Das neue FMedG ist zudem so angelegt, dass kaum unabhängige Kontrollen vorgesehen sind und die FortpflanzungsmedizinerInnen sich sogar gegen Bezahlung vom Bund selber «kontrollieren» können (Art. 12,4). Soll dieser unkontrollierbaren Technologie wirklich Tür und Tor geöffnet werden?

2. Das FMedG ist extrem weit und ungenau formuliert

Es erlaubt nicht nur die seltene Anwendung der PID für Paare mit einer schweren Erbkrankheit. Es geht sehr viel weiter, denn das PID-Verfahren wäre allen Paaren zugänglich, die eine In-Vitro-Fertilisation (IVF) in Anspruch nehmen. Dies kann zu einem pauschalen Normalitätstest führen! Nirgendwo ist definiert, was unter «Erkennung chromosomaler Eigenschaften, die die Entwicklungsfähigkeit des Embryos beeinträchtigen können» (Art. 5a), gemeint ist. Wer entscheidet hier, welche Eigenschaften für eine Selektion relevant sein werden? Zudem ist nirgends festgelegt, welche Erbkrankheiten genau «selektionswürdig» sind?

3. Gefährliche Entwicklung

Die globalen Trends auf dem Gebiet der Fortpflanzungsmedizin lassen nichts Gutes erahnen. In Grossbritannien zum Beispiel hat die Behörde für menschliche Befruchtung und Embryologie (HFEA) bereits die gentechnische Manipulation überzähliger Embryos gutgeheissen. Auch werden dort Embryos mit dem Erbgut von 3 Elternteilen hergestellt und eingepflanzt. Dazu kommt, dass die Liste mit den erlaubten Selektionskriterien jedes Jahr um Dutzende Gendefekte erweitert wird – auch um solche, deren Träger eine gute Lebensqualität hätten … Dem Machbarkeitswahn müssen klare ethische und rechtliche Grenzen gesetzt werden. Denn was heute noch als Tabu gilt, wird morgen eine Möglichkeit sein und übermorgen als selbstverständlich propagiert werden.

4. Ethischer und rechtsstaatlicher Dammbruch

Das FMedG führt zu einer grundsätzlichen Änderung im Umgang mit dem menschlichen Leben. Erstmals würde menschliches Leben im Anfangsstadium bewertbar und kommerzialisierbar. Darum ist die Ablehnung des FMedG nicht nur eine Sache der Menschenwürde, sondern auch eine Frage der Gerechtigkeit. Wer hat das Recht zu sagen: «Weil du kein ‹Top-Embryo› bist, darfst du nicht weiterleben?» Selbst Bundesrat Alain Berset gibt zu bedenken, dass das Gesetz eine eugenische Tendenz hat. Wollen wir als Gesellschaft wirklich diesen Pfad beschreiten und uns auf solch eine Selektionsmentalität einlassen?

5. Solidarität mit behinderten Menschen gefährdet

Wenn man anfängt, Embryos systematisch auszusortieren, gefährdet das die Solidarität mit behinderten Menschen oder solchen, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen. Es darf nicht sein, dass Eltern zunehmend einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt werden, alles technisch Machbare zu unternehmen, um ein Kind mit einer Behinderung oder Krankheit zu «verhindern». Denn werden Menschen mit Behinderung erst einmal als «vermeidbare Last» der Gesellschaft wahrgenommen, können Leistungsverweigerungen der Sozialwerke eine logische Konsequenz sein.

6. Zahllose überzählige Embryos und Risiken für die Frau

Damit mittels PID-Verfahren ein einziges Kind geboren werden kann, müssen laut der aktuellsten Statistik im Schnitt über 30 Embryos hergestellt werden.2 Doch nicht nur das: Für die Herstellung der über 30 Embryos braucht es wiederum über 50 Eizellen. Um so viele Eizellen gewinnen zu können, müssen Frauen mehrere Behandlungen auf sich nehmen und besonders stark hormonell stimuliert werden (Hyperstimulation). Eine Hyperstimulation kann jedoch zu beträchtlichen gesundheitlichen Risiken führen. Folge des neuen Gesetzes wäre auch eine Ansammlung Tausender überzähliger Embryos. Gemäss Gesetz müssten die Embryos nach spätestens 10 Jahren weggeworfen oder der Forschungs- und Pharmaindustrie zum Gebrauch zur Verfügung gestellt werden.

7. Geschäft mit der Hoffnung auf ein gesundes Kind

Verschiedene Studien belegen, dass die Erfolgsaussichten auf ein gesundes Kind bei einer künstlichen Befruchtung signifikant niedriger ausfallen, wenn am Embryo vorab eine Chromosomenuntersuchung durchgeführt wurde.3 Die European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) hält fest, dass der positive Effekt der PID mit Aneuploidie-Screening (Chromosomenuntersuchung) noch nicht bewiesen ist. Mit dieser zweifelhaften Methode werden falsche Hoffnungen bei unfruchtbaren Paaren geweckt.

8. Pränataltests: Keine Grundlage für die schrankenlose Selektion von Embryos

Die Befürworter des neuen FMedG argumentieren, dass es besser sei, Embryos früh mittels PID zu testen und auszusortieren, statt später (nach einem Pränataltest, PND) einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. Doch das PID-Verfahren ist alles andere als sicher und risikofrei. Folgeuntersuchungen an IVF-Kindern zeigen, dass diese anfälliger für vorzeitige Arteriosklerose, erhöhten Blutdruck, gestörte Herzfunktion und seltene Krebsformen im Kindesalter sind.4 Über diese Risiken haben die FortpflanzungsmedizinerInnen bisher kaum informiert. Das PID-Verfahren verschärft diese Risiken zusätzlich.
Auch ist es falsch, Pränataltests als Begründung für die schrankenlose Selektion von Embryos anzuführen. Während bei einem auffälligen Testresultat während der Schwangerschaft durchaus ein Schwangerschaftskonflikt entstehen kann, werden mittels PID allzu leichtfertige Entscheidungen möglich. Bei der PID handelt es sich um ein technisiertes Selektionsverfahren, bei dem im Labor zwischen «lebenswert» und «lebensunwert» entschieden wird. Nur der Embryo wird ausgewählt, der den Ansprüchen genügt und der «Norm» entspricht.

9. Heilen statt aussortieren

Die ärztliche Aufgabe umfasst vornehmlich die Prävention und Heilung von Krankheiten und die Linderung von Leid, wo keine Heilung möglich ist. Durch das FMedG wird die Kreativität der Wissenschaft gehemmt, denn anstatt nach neuen Therapien zu forschen, würden allfällige Behinderte und Kranke aussortiert. Nicht das Leid würde gelindert, sondern der potentiell Leidende verhindert.
10. Verantwortbare Grenzen ziehen
Auch wenn mancherorts im Ausland bereits weitgehend selektioniert wird, heisst dies nicht, dass wir in unserem Land die gleichen Fehler machen müssen. Ein Nein ermöglicht eine breite gesellschaftliche Debatte über ein restriktiveres Gesetz.

Am 5. Juni Nein zu diesem FMedG!

1    13.051 Botschaft zur Änderung der Verfassungsbestimmung zur Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie im Humanbereich (Art. 119 BV) sowie des Fortpflanzungsmedizingesetzes (Präimplanta­tionsdiagnostik) vom 7. Juni 2013, Seite 5904
2    De Rycke M., Belva F., Goossens V., Moutou C., SenGupta SB, Traeger-Synodinos J., Coonen E., ESHRE PGD Consortium data collection XIII: cycles from January to December 2010 with pregnancy follow-up to October 2011. Hum Reprod 30 (2015) 1763–1789
3    Harton G., Braude P., Lashwood A., Schmutzler A., Traeger, Synodinos J., Wilton L., Harper J.C: ESHRE PGD consortium best practice guidelines for organization of a PGD centre for PGD/preimplantation genetic screening. Hum Reprod 26 (2011) 14–24, Zitat: «Current evidence suggests that PGS at cleavage stages is ineffective, but whether PGS at the blastocyst stage or on polar bodies might show improved delivery rates is still unclear.» Scott KL, Hong KH, Scott RT Jr., Selecting the optimal time to perform biopsy for preimplantation genetic testing. Fertil Steril 100 (2013) 608–614, Zitat: «Two of every five that have day-3 blastomere biopsy will be harmed to a sufficient extent to yield them incapable of implanting and progressing to term.»
4    Rexhaj E. et al., Assisted reproduction: a novel cardiovascular risk factor. Cardiovasc Med 18 (2015) 115-119. «Fertility treatment and childhood cancer risk: a systematic meta-analysis.» Hargreave, Marie et al.; Fertility and Sterility, Volume 100, Issue 1, 150–161, July 2013
Vgl. www.srf.ch/sendungen/puls/sendungen (15.2.2016)
Weitere Informationen: www.vielfalt-statt-selektion.ch und www.pid-stoppen.ch

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