Die Person wieder in den Mittelpunkt der Medizin stellen

Die Person wieder in den Mittelpunkt der Medizin stellen

von Nicole Duprat, Lehrerin, Frankreich

Die Präimplantationsdiagnostik (PID) wurde vom Engländer Alan Handyside entwickelt, um zukünftigen Eltern mit einer genetischen Erkrankung zu ermöglichen, diese nicht auf ihre Kinder zu übertragen. An diesem Anliegen und am Wunsch der Eltern, ihre genetische Erkrankung dank dem Fortschritt der Wissenschaft nicht ihren Kindern weitergeben zu müssen, ist nichts auszusetzen. Was sich jedoch bei der PID verheerend auswirkt, ist der Hochmut der Wissenschaftsgläubigkeit, alles kontrollieren zu wollen und keinerlei Grenzen anzuerkennen.
Denken wir in diesem Zusammenhang doch an die Aktivitäten des Forschers Jacques Testart, wissenschaftlicher Vater von Amandine – dem ersten 1982 in Frankreich künstlich erzeugten Baby –, der 1987 die «Forschung um der Forschung willen» beenden wollte und ein Recht auf «Nicht-Forschung» und eine «ethische Pause» ­postulierte. Er war überzeugt, dass die Wissenschaft nicht auf alles antworten könne. 1990 wurde Jacques Testart aus seinem Spitallabor entlassen, weil er sich weigerte, Embryonen zu selektionieren, da ihm damit die Gefahr der Eugenik zu gross erschien. Er hatte realisiert, dass man damit den Fuss in den Steigbügel eines Pferdes setzt, das nicht zu beherrschen ist!
Wir leben in einer hochsexualisierten Gesellschaft, in der das Geld die Wahrheit ersetzt hat. Die Medizin spricht mit gespaltener Zunge, wenn sie einerseits vorgibt, volle Aufmerksamkeit auf die Geburt «gesunder» Kinder zu legen und den Paaren dabei zu helfen, ihre Fruchtbarkeit zu kontrollieren, ohne von der Übermedikalisierung des menschlichen Körpers zu sprechen. In Wirklichkeit geht es jedoch sehr oft um technische Effizienz verbunden mit der Macht des Geldes der Pharmafirmen.
In dieser obskuren Vermischung von finanzieller Macht und Wissenschaft und deren Interaktionen dient die Medizin nicht mehr dem Menschen, sondern als Terrain für gefährliche Begierden und perverse Ideologien, wie auch immer man sie nennen will: Eugenik oder Transhumanismus. Vergessen wir nicht, dass man auch Träger eines Gens sein kann, ohne es zu entwickeln und es zu übertragen. Nach einer prometheischen Phase (Pro­metheus holte das Feuer vom Himmel) nähert sich die aktuelle Wissenschaft dem Bild von Faust an und spielt den Halbgott.
Man darf eine Person nie auf ein krankes Organ oder auf ihr körperliches Aussehen reduzieren. Eugenik ist die Verneinung jeglicher Behinderung oder Krankheit. Gesundheitsnormen und Kriterien für «Normalität» dürfen nie durch die Anmassung einiger weniger bestimmt werden, die im übrigen mit ihren kranken Gedanken nicht in der Lage sind, die Bedeutung der menschlichen Existenz zu erfassen.
Es gibt niemanden auf Erden, der nicht eines Tages von Krankheit, Missbildung oder physischer Schwäche betroffen sein wird. Viele Lehrpersonen, zu denen auch ich gehöre, haben in ihren Klassen behinderte Kinder erlebt, die viel Güte, Freundlichkeit, Herzlichkeit und Verständnis ausgestrahlt haben. Ich bedanke mich bei Emilie, Alexandre, Guillaume für ihre fröhliche und lebhafte Anwesenheit, wie auch bei Stéphanie, einer wahren Herzensfreundin. Es ist auch offensichtlich, dass das Entscheidende nicht die körperliche Gesundheit, sondern die seelische Gesundheit ist. Zahlreiche sogenannt gesunde Menschen, die über einen funktionierenden Körper verfügen, stürzen sich auf die Banalitäten der materialistischen Welt, in der es einzig darum geht, den Normen von Gesundheit, Reichtum, sozialem Erfolg, Jugendlichkeit, Intelligenz und den ganzen ästhetischen Vorgaben der Mode zu genügen. Sie tun dies, als ob alle Menschen, die von Krankheit oder Behinderung betroffen sind, diesem gleichförmigen «Glück» nicht entsprechen können, und deshalb abgelehnt, zurückgewiesen und als Ausgestossene der Gesellschaft betrachtet werden, denen man die Gleichwertigkeit verweigert. Leben wir nicht bereits in einer Gesellschaft, in der das Altern verboten ist mit all diesen vielen Antifalten-Cremen?
Das Geschenk, die Erfahrung des Lebens machen zu können, steht ohne Ausnahme jedem Menschen zu. Damit ist nicht gemeint, nur zu geniessen, sondern würdig und solidarisch gemeinsam mit seinen Mitmenschen die Aufgaben zu lösen, die das Leben uns stellt. Jedes Individuum ist einzigartig. Warum den Eltern ein Problem anhängen, wenn sie ein behindertes Kind empfangen wollen, als ob dies aus medizinischer Sicht eine Schande wäre?
Wenn die Herstellung von Kindern nach Mass im Labor und die Konstruktion von menschlichen Robotern unser Gewissen verletzen, so deshalb, weil beides eine offenkundige Verunglimpfung des «Mensch-Seins», unser aller Humanität, bedeutet.
Die PID ist nicht krank wegen der Krankheiten und der Behinderungen, die sie ausmerzen will, sondern wegen ihres Götzendienstes an der technischen Effizienz, entstanden aus dem rasenden Aufschwung der Medizin seit dem 19. Jahrhundert und der Verherrlichung der Wissenschaft. Und ihr Sinn ist letztlich ein Unsinn, der die Tore zu jeglicher Entartung öffnet.
Erinnern wir uns an die Worte von Robert Oppenheimer, einem der Erfinder der Atombombe:
«Wenn wir Ermutigung aus dem wohltuenden Einfluss der Wissenschaft auf die aktuellen Ideen schöpfen wollen, müssen wir dies mit Vorsicht tun und ohne auch nur einen Moment aus den Augen zu verlieren, dass diese Beziehungen nicht unvermeidlich und unbedingt glücklich sind.»
Es ist höchste Zeit, die «Person» wieder ins Zentrum der Medizin zu stellen.    •
(Übersetzung Zeit-Fragen)

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