Gedanken zum gemeinsamen Klassenunterricht

Gedanken zum gemeinsamen Klassenunterricht

von Hedwig Schär

Was passiert während des gemeinsamen Unterrichts mit der Klasse? Zu dieser Frage habe ich mir ein paar Gedanken gemacht.
In meiner Unterstufenklasse habe ich das Glück, während einigen Stunden in der Woche nur die halbe Klasse zu unterrichten. Dann nehme ich oft die Kinder in einen Stuhlkreis und erarbeite den Unterrichtsstoff gemeinsam im kleinen Rahmen. So habe ich alle Kinder gut in der Übersicht. Rechts und links von mir kann ich Kinder setzten, die etwas mehr Nähe brauchen, um sich konzentrieren zu können. Gemeinsam behandeln wir das anstehende Thema mit Materialien oder auf einem grossen Blatt. Jedes Kind kann mitdenken und sich in seiner Art beteiligen: aktiv oder eher ruhig mitdenkend.
Unabdingbare Voraussetzung ist die genaue didaktische Aufbereitung des Unterrichtsstoffes. Gezielt wird unter meiner Anleitung der Stoff in kleinen Schritten erarbeitet, damit alle folgen können. Erst wenn der vorhergehende Schritt verstanden ist, folgt der nächste. Versteht ein Kind einen Schritt lange nicht, merke ich mir das, beobachte es nachher, wenn die Kinder ihr Blatt lösen und gebe ihm wenn nötig noch Hilfestellung.
Die Kinder müssen bei diesen Vorgängen auf mich als Lehrerin ausgerichtet sein; ich wiederum kenne sie gut. Dabei ist es die grosse Kunst, dass ich zwar anleite, jedes Kind aber aktiv mitdenkt und mitmacht. Durch den gemeinsamen Unterricht merke ich schnell, wer was schon verstanden hat oder wo die Stolpersteine sind. Schon ein Gesichtsausdruck kann mir zeigen, dass ein Kind abgehängt hat und nicht mehr mitdenkt. Gezielt rufe ich Kinder auf, die nur dasitzen und sich nicht melden. Laufend ermuntere, bestätige oder korrigiere ich die Lernschritte der Schüler, ohne grosses Aufheben. Die Kinder bekommen dadurch eine Orientierung und können selber zu Erkenntnissen gelangen. Strengstens verboten sind das Auslachen oder Bemerkungen über einen Fehler eines Mitschülers. Das verunmöglicht jegliches ruhige Lernen.
Jeweils ein Kind löst eine Teilaufgabe, und die anderen Kinder denken mit. Dabei ist es nicht nötig, dass jedes Kind alles selber machen kann. Durch das Zuschauen und Mitdenken erfolgt genauso ein Lernprozess wie beim eigenen Tun. Manchmal können die Kinder sogar ruhiger denken, wenn sie nicht so im Mittelpunkt stehen. Der Mensch lernt am Modell, sei es von den Mitschülern oder von der Lehrerin. Dabei ist die Vorbildwirkung von mir als Lehrerin sehr wichtig. Was ich tue, wie ich es tue, wird von den Kindern genaustens wahr- und aufgenommen.
Einzelne Lernschritte können auch von Schülern, die die Aufgabe schon verstanden haben, erklärt werden. Mit ihren Worten erreichen sie manchmal die anderen Kinder besser als die Lehrerin. Durch dieses Mitdenken und Miterleben im gemeinsamen Teil der Lektion ist das Kind nachher in der Lage, selber diese Art von Aufgabe zu lösen.
Dieses gemeinsame Arbeiten gibt eine vertraute Stimmung unter den Kindern und mit mir. Die Kinder lernen voneinander, aufeinander zu hören, und freuen sich auch am Erfolg der Kollegen. Diese Art von Arbeit mit den Kindern zusammen am gemeinsamen Stoff ist soziales Lernen.
Dieses Arbeiten mit den Kindern erfordert höchste Konzentration von mir als Lehrerin. Ich muss mich mit meinem ganzen Gefühl in die Situation eingeben. Dabei sind die eigenen Einstellungen zum Lernen von allergröss­ter Bedeutung. Geht die Lehrerin von der Annahme aus, dass jedes Kind alles lernen kann, ist dies grundlegend anders, als wenn sie denkt, das Limit eines bestimmten Schülers sei erreicht. Im zweiten Fall gibt sie auf und fordert den Schüler nicht mehr. Hat sie die Einstellung, alles ist lernbar, dann gibt sie nicht auf, bis das Kind seine eigenen Lernschritte macht. Das ist eben die Verantwortung, Genugtuung und Herausforderung auch nach vielen Dienstjahren, jedes einzelne Kind zu fördern und ihm zu helfen, allfällige Schwierigkeiten und Defizite zu überwinden. Ist eine Hürde genommen, etwas geschafft, kann das ein Kind beflügeln. Es steht in seiner ganzen Persönlichkeit anders im Leben. Das ist dann auch für mich als Lehrerin sehr schön.    •

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