Illegale Kriege – Wie Nato-Länder die Uno sabotieren

Illegale Kriege – Wie Nato-Länder die Uno sabotieren

Eine Chronik von Daniele Ganser

von Johannes Irsiegler

Daniele Ganser ist Historiker und Friedensforscher, spezialisiert auf Internationale Politik und Zeitgeschichte seit 1945, sowie Gründer des «Swiss Insitute for Peace and Energy Research» (SIPER) in Basel. Mit seinen bisherigen Publikationen hat er bereits viel zu der dringend nötigen Aufarbeitung der Geschichte des Westens seit 1945 beigetragen. Sein neues Buch «Illegale Kriege – Wie Nato-Länder die Uno sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien» leistet hierzu einen weiteren wesentlichen Beitrag.
Daniele Ganser stellt einige persönliche Bemerkungen an den Anfang: Prägend für sein politisches Engagement waren für ihn neben dem Vorbild seiner Eltern die grossen weltweiten Antikriegskundgebungen 2003 vor dem Überfall der USA und ihrer Verbündeten auf den Irak sowie der folgende Irak-Krieg mit seinen schrecklichen Folgen bis heute. Daniele Ganser schildert seine damalige Betroffenheit und stimmt damit den Leser auch emotional auf die Thematik ein. Manch einer wird sich ebenfalls genau an diese Zeit der Lügen und der Arroganz von Kriegstreibern wie Tony Blair und George Bush erinnern.
Als Einstieg greift Daniele Ganser ein aktuelles Problem auf: die Flüchtlingskrise. Klar bringt er das Problem auf den Punkt: Hauptauslöser für die Flüchtlingswelle sind die Kriege, die allen voran die Nato-Staaten und ihre Verbündeten im Nahen Osten angezettelt haben und die sie immer noch führen. Dieser naheliegende Gedanke geht in der täglichen Berichterstattung unserer Leitmedien unter, wenn er nicht gar verschwiegen wird. Diese Kriege, so Ganser, sind allesamt illegal: «Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Gründung der Uno-Friedensorganisation gilt ein weltweites Kriegsverbot.» Es hat in den letzten fünfzig Jahren auch andere kriegführende Staaten gegeben, aber es ist eine Tatsache, dass die Nato-Staaten, angeführt von den USA, «in den letzten 70 Jahren am meisten illegale Kriege vom Zaun gebrochen haben, aber immer völlig straflos davongekommen sind».
Daniele Ganser hingegen fühlt sich der Uno verpflichtet und ihrem einfachen und klaren Grundgedanken: Kriege sind illegal. Von dem weltweit geltenden Kriegsverbot gibt es nur zwei Ausnahmen: das Recht eines Landes, sich selbst gegen einen Angriff zu verteidigen, sowie Krieg gegen ein Land mit ausdrücklichem Mandat des Uno-Sicherheitsrats. Das ist die Grundlage für ein zivilisiertes Zusammenleben auf diesem Planeten. Dieses Gewaltverbot der Uno ist zu achten und zu stärken. Dieser Grundgedanke muss heute mehr denn je in die allgemeine Diskussion über Krieg und Frieden eingebracht werden. Er wird von den Nato-Medien unserer westlichen Staaten allzu gerne unter den Tisch gekehrt. Den in diesem Zusammenhang vermehrt vorgebrachten Vorwurf an die Uno, sie sei ineffizient und nicht mehr zeitgemäss, entgegnet Ganser bravourös: «Dieses Buch zeigt, dass die Ineffizienz der Uno nicht in ihrem System begründet liegt, sondern dem individuellen Versagen ihrer Mitglieder geschuldet ist, die zeitweilig unfair agierten und die Uno mit Lügen im Sicherheitsrat und in der Generalversammlung sabotierten.» Jede Reform der Uno, die das Problem der Lügen nicht einbeziehe, so Ganser, müsse längerfristig scheitern.
Nach seinen grundlegenden Ausführungen zur Uno folgen Gedanken zur Nato und zu den USA. Daniele Ganser spricht dabei unverblümt aus, was die Spatzen schon längst von den Dächern pfeifen: Die Nato ist ein Instrument der US-Oligarchen, um ihre hegemonialen Ansprüche auf unserem Planeten durchsetzen zu können.
Der nun folgende Hauptteil des Buches ist eine detaillierte Chronik der illegalen Kriege und Putsche gegen demokratisch gewählte Regierungen von seiten der Nato-Staaten. Sie beginnt mit dem Sturz des iranischen Premierministers Mossadegh 1953. Sein einziges «Verbrechen» war es, von den Briten, die damals noch die Einnahmen aus dem Erdöl des Landes für sich einsackten, einen grösseren Anteil dieser Einnahmen einzufordern, um sie der armen Bevölkerung zugute kommen zu lassen. Der Putsch gegen ihn kann mit Michael Lüders als «Sündenfall des Westens» betrachtet werden. Die Folgen dieser moralisch niederträchtigen Politik spüren wir bis heute.
Es folgen Kapitel über die Kriege gegen Guatemala 1954, Ägypten 1956, Kuba 1961, Vietnam 1964, Nicaragua 1981, Serbien 1999, Afghanistan 2001, den Irak 2003, Libyen 2011, die Ukraine 2014, Jemen 2015 und Syrien seit 2011 bis heute. Jedes Kapitel ist abschliessend und kann auch einzeln gelesen werden. Es würde sich dadurch auch hervorragend für den Geschichtsunterricht an Schulen und für grundlegende zeitgenössische Geschichtsvorlesungen an Universitäten eignen.
Es klebt viel Blut an den Händen der Nato-Verantwortlichen in den USA und in Europa. Um die Bevölkerung einzulullen, werden nach alter imperialistischer Manier sogenannte humanitäre Gründe vorgeschoben. Dabei ging es in diesen Kriegen, wie auch heute im sogenannten «Krieg gegen den Terror», immer um Rohstoffe und globale Vorherrschaft. Für diesen Krieg zieht Ganser eine verheerende Bilanz: Ganze Regionen sind destabilisiert, Flüchtlingsströme wurden ausgelöst, es gibt nicht weniger, sondern mehr Terroranschläge, die Bürgerrechte wurden abgebaut und der Überwachungsstaat aufgebaut. Fazit: Der «Krieg gegen den Terror» ist gescheitert und muss beendet werden.
Die bestechende Analyse von Daniele Ganser kann mit folgendem Zitat zusammengefasst werden: «Die Nato ist keine Kraft für Sicherheit und Stabilität, sondern eine Gefahr für den Weltfrieden.»
Daniele Ganser zeigt jedoch auch auf, was jeder von uns tun kann, um dem Grundprinzip der Uno wieder mehr Geltung zu verschaffen und ein Zusammenleben der Völker in Frieden zu fördern.
Für die Schweiz und Österreich zum Beispiel fordert er, dass diese Länder zu ihrer Neutralität zurückkehren und der Partnership for Peace – oder besser gesagt der «Partnership for War» – den Rücken kehren. In der Schweiz könnte die Bevölkerung eine Volksabstimmung über einen Austritt aus der PfP erwirken.
Aber in allen Ländern hat die friedliebende Bevölkerung etwas in der Hand. So regt Ganser eine stärkere Vernetzung der amerikanischen und europäischen Friedensbewegungen an. «Gerade die Zusammenarbeit der europäischen Friedensbewegung mit der Friedensbewegung in den USA ist sehr wichtig, da nur sie das US-Imperium friedlich von innen heraus reformieren kann.» Der einzelne Bürger kann unabhängige Quellen und Bücher lesen und sich eine eigene Meinung bilden. Eine Segnung des Internet ist es ja, dass wir uns nicht mehr nur auf die Nato-Hofberichterstattung unserer Leitmedien abstützen müssen.
Auch in der Förderung erneuerbarer Energiequellen sieht Daniele Ganser einen Beitrag für den Frieden, da die meisten Kriege um Erdöl und Erdgas geführt werden und wir durch erneuerbare Energien unabhängiger von diesen Produkten werden. Ein wichtiges Anliegen Gansers ist es schliesslich, das in der Uno-Charta verankerte Gewaltverbot und das Völkerrecht zu stärken: «Die Uno-Charta und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gehören zu den wertvollsten historischen Dokumenten, sie sollten uns allen als Orientierung im 21. Jahrhundert dienen.» Der global verbindende Impuls «Wir, die Völker der Vereinten Nationen» muss wiederbelebt werden, da er den wertvollen Gedanken der Menschheitsfamilie ausdrückt.
Nach der Lektüre bleibt trotz der Niedertracht und des Leides keine Resignation zurück. Daniele Ganser bringt nämlich einen essentiellen Gedanken auf den Punkt: Die blutigen Kriege widersprechen zutiefst der sozialen Natur des Menschen, denn: «[…] tief im Herzen mögen die Menschen einander». Danke, Daniele Ganser, für das vortreffliche Buch, das wir jedem politisch Interessierten wärmstens empfehlen. Dass es auf Schweizer Bestsellerlisten für Sachbücher bereits den ersten Platz einnimmt, ist ein ermutigendes Signal.    •
Ganser, Daniele. Illegale Kriege – Wie Nato-Länder die Uno sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien. Zürich 2016, ISBN 978-3-280-05631-8

Die Uno-Charta und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gehören zu den wertvollsten historischen Dokumenten, sie sollten uns allen als Orientierung im 21. Jahrhundert dienen. Ich kann jedem nur raten, diese beiden Dokumente durchzulesen und darüber nachzudenken. Schon als Student habe ich damals bei der Uno die Deklaration der Menschenrechte bestellt und als Poster in meinem Zimmer aufgehängt. «Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen», betont die Deklaration der Menschenrechte, die von der Uno-Generalversammlung am 10. Dezember 1948 einstimmig angenommen wurde. «Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person» (Artikel 3) und «Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schliesst die Freiheit ein, seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln» (Artikel 18).
Natürlich ist es wahr, dass die Uno-Charta und die Menschenrechte täglich verletzt werden. In einigen Fällen, wie oben dargelegt, wurden diese zwei Dokumente sogar gegeneinander ausgespielt, indem man mit Verweis auf die Menschenrechte zum Beispiel in Libyen 2011 hinterhältig einen Krieg begonnen hat und damit die Uno-Charta verletzte. Diese Probleme werden auch in Zukunft bestehen und dürfen nicht ignoriert werden. Aber es muss gleichzeitig auch darauf hingewiesen werden, dass in ganz vielen Ländern die Menschenrechte und auch die Uno-Charta eingehalten wurden, was immer zu einem Aufblühen der entsprechenden Gesellschaft geführt hat. Zudem wurden die Ziele der Uno immer wieder bestärkt. So auch am 25. September 2015, als bei einem Uno-Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs die 17 Sustainable Development Goals (SDG) verabschiedet wurden. Darin verpflichten sich die Uno-Mitgliedsstaaten, Armut, Hunger und die Diskriminierung von Frauen zu reduzieren und die erneuerbaren Energien zu fördern. Vor allem aber verpflichteten sich die Staaten erneut, alle Formen der Gewalt zu verhindern, weil Frieden und Stabilität Grundvoraussetzungen sind, damit eine nachhaltige Entwicklung überhaupt möglich ist.
«Die Schweiz hat ein vitales Interesse daran, dass sich in den internationalen Beziehungen das Recht gegenüber der Gewalt durchsetzt und nicht umgekehrt», hat die frühere Schweizer Bundesrätin Micheline Calmy-Rey gesagt. Damit lag sie völlig richtig, denn kleine Länder wie die Schweiz wollen nicht, dass die Welt in Krieg und Chaos abgleitet. Wir müssen uns am Recht orientieren und Sorge für es tragen.

aus: Daniele Ganser. Illegale Kriege, S. 330f.

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