Swisscoy – unbegrenzter Schweizer Armee-Einsatz unter Nato-Kommando in Kosovo?

Swisscoy – unbegrenzter Schweizer Armee-Einsatz unter Nato-Kommando in Kosovo?

Am 8. Juni 2017 im Nationalrat

Es ist Zeit zum geordneten Rückzug

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Seit dem Nato-Krieg gegen Serbien im Frühjahr 1999 soll die Kfor (Kosovo Force) in Kosovo für Ordnung und Sicherheit sorgen, logischerweise mit geringem Erfolg. Denn die Kfor ist keine unparteiische Friedensmission, sondern ein Gefäss der Nato. Im Anschluss an den Krieg zwang die Nato der Bundesrepublik Jugoslawien ein sogenanntes «Military-Technical Agreement» auf, besorgte sich am 10. Juni 1999 – also erst nach dem Krieg! – ein Mandat des Uno-Sicherheitsrates und stationierte in Kosovo die Kfor, eine Truppe von rund 50 000 Mann als sogenannte «peace support operation» (friedensunterstützende Operation), die nach eigener Aussage der Nato in Wirklichkeit eine «peace enforcement operation» (friedenserzwingende Operation) ist.1 Auf diese Weise setzten sich die Nato-Mächte, insbesondere die US-Army mit ihrer imposanten Militär­basis Camp Bondsteel, dem Hauptquartier des US-amerikanischen Kfor-Kontingents, in Kosovo sozusagen auf «ewig» oder jedenfalls, solange es ihnen beliebt, fest.2
Was hat die Schweizer Armee in dieser Nato-Truppe zu suchen? Trotz gewichtiger neutralitätsrechtlicher Bedenken breiter Kreise schickt die Schweiz seit Juni 1999 Soldaten nach Kosovo. Am 23. November 2016 beantragte der Bundesrat dem Parlament einmal mehr die Weiterführung der Swisscoy für die nächsten drei Jahre.3 Der Ständerat hat am 13. März 2017 als Erstrat der Verlängerung bis Ende Dezember 2020 zugestimmt (mit 33 zu 4 Stimmen bei 2 Enthaltungen).

Am 8. Juni 2017 hat nun der Nationalrat Gelegenheit, dem Ständerat zu widersprechen und nein zu sagen zur endlosen Weiterführung eines neutralitätsrechtlich fragwürdigen Militäreinsatzes der Schweiz. Die Chancen stehen gut: Die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates (SiK-N) hat der Verlängerung mit 13 zu 11 Stimmen nur knapp zugestimmt. Eine starke Minderheit will die Vorlage an den Bundesrat zurückweisen mit dem Auftrag, die Beendigung der Schweizer Beteiligung an der Kfor bis spätestens 2020 vorzubereiten.4 Mehr als 20 Jahre nach dem Nato-Krieg in Kosovo ist die Zeit reif für diesen Schritt.
Kurz die wichtigsten Fakten:

Viel Geschäftigkeit statt Entlassung der kosovarischen Bevölkerung in eine echte Unabhängigkeit

Auf der Homepage des Bundes erfährt man in einer Bilderfolge, dass in der Swisscoy maximal 235 Frauen und Männer im Einsatz stehen. Unter anderem warten und fahren sie den eigenen Fahrzeug- und Gerätepark mit 180 (!) Einheiten, bedienen Baumaschinen, arbeiten als Krankenschwestern in einem internationalen Team. Andere Schweizer gehören zur «internationalen Joint Logistics Support Group». Besonders beachtlich ist der Umfang der Liaison Monitoring Teams (LMT), einem sogenannten «Frühwarnsystem» für die Kosovo Forces, deren Angehörige mit Hilfe von «Gesprächen mit der Bevölkerung und den Behörden» «Informationen sammeln». Dazu stehen vier Swisscoy Teams à 7–12 Personen mit je einem Haus in verschiedenen Teilen Kosovos zur Verfügung.5 Als nicht näher eingeweihte Bürgerin kann man nur hoffen, dass zu den Tätigkeiten der LMT nicht die Weiterleitung solcher Informationen an Nato-Kampftruppen gehört …
Wozu es für die Erledigung von Transporten oder Bauarbeiten und für Tätigkeiten im Gesundheitswesen die Schweizer Armee braucht, während die Bevölkerung Kosovos unter hoher Arbeitslosigkeit leidet, bleibt im dunkeln. Eine Hilfe zur Selbsthilfe sieht anders aus! Dazu eine wichtige Überlegung eines Unternehmers: «Glauben Sie wirklich, Firmen würden gerne und hohe Summen in Länder investieren, welche gegen aussen den Eindruck einer instabilen sicherheits­politischen Lage vermitteln? Die Anwesenheit der Kfor vermittelt nach aussen den Eindruck einer sicherheitspolitischen Instabilität. Wären die Kfor und somit die Swiss­coy nicht mehr vor Ort, würde man das Land endlich in seine Selbstständigkeit überführen. Institutionelle Investoren schauen sehr wohl auf solche Gegebenheiten.» (Ständerat Thomas Minder, parteilos, Schaffhausen, am 13.3.2017 in der Ständeratsdebatte)

Überproportionale Schweizer Beteiligung

Einige Zahlen: Gemäss dem Präsidenten der SiK-N, Isidor Baumann (CVP Uri), waren 1999 über 50 000 Soldaten im Einsatz. Aktuell sind es 4650, bis zum Jahr 2020 noch 2600. Deshalb solle auch das Schweizer Kontingent von heute 235 Armeeangehörigen im Jahr 2018 auf 190 Armeeangehörige und Ende 2019 auf 165 Armeeangehörige reduziert werden. Damit wolle der Bundesrat das Schweizer Kontingent der Reduktion des Gesamtkontingentes anpassen.6 Gleichzeitig will sich der Bundesrat aber die Kompetenz zuschreiben, das Kontingent temporär aufstocken zu können, nämlich um bis zu 70 Personen.7
Kleine Rechenaufgabe: Die Gesamtzahl der Kfor wird 2020 rund den 20. Teil des Anfangsbestandes betragen. Der Bestand der Swisscoy dagegen wurde im Jahre 2003 von 160 auf maximal 220 Personen aufgestockt8, liegt heute bei 235 und soll Ende 2019 noch 165 betragen – also 5 mehr als 1999! Plus eventuell 70 weitere, ohne Parlamentsbeschluss.
Der Bestand der Swisscoy hat sich also umgekehrt proportional zum Gesamtbestand der Kfor entwickelt. Wozu?

Wozu die ganze Übung?

Aus der Begründung des Bundesrates: «Die Stabilität des Westbalkans, vor allem Kosovos, ist für die Sicherheit der Schweiz wesentlich. Die Weiterführung der Kfor-Präsenz als Teil eines fortgesetzten internationalen Engagements in Kosovo liegt im sicherheits­politischen Interesse der Schweiz.» (Medienmitteilung des Bundesrates vom 23.11.2016) Zwanzig Jahre nach dem Krieg ist demnach das mächtigste Militärbündnis der Welt nicht imstande, im kleinen Kosovo die Stabilität zu gewährleisten? (Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Die Nato verfolgt mit ihren Militärstützpunkten in Kosovo – und anderswo – in Wirklichkeit ganz andere Ziele.)
Welche Ziele aber peilt die Regierung des Nicht-Nato-Mitglieds Schweiz an?
«Die Fortsetzung des militärischen Engagements der Schweiz zur Friedensförderung in Kosovo entspricht ausserdem dem wiederholt bekundeten Willen des Bundesrates, die militärische Friedensförderung quantitativ wie qualitativ zu verstärken.» (Medienmitteilung des Bundesrates vom 23.11.2016)
Also braucht es die Swisscoy, weil die Mehrheit des Bundesrates und einige andere Politiker unbedingt Nato-Anschluss haben wollen? Trotz aller Bemühungen der Anschlusswilligen leisten aktuell insgesamt lediglich 314 Schweizer Frauen und Männer Dienst in der sogenannten militärischen Friedensförderung.9 Wenn die 235 in Kosovo wegfielen, könnte sich die Schweizer Armee in allen Ehren von der PfP (Partnership for Peace) verabschieden. Mit den 44 Millionen Franken, die damit jährlich frei würden, könnte sich das VBS dann vielleicht wieder für jede Kompanie im WK einen eigenen Lastwagen leisten …

Neutralitätsrechtliche Bedenken: Kfor ist ein friedenserzwingender Einsatz gemäss Kapitel VII der UN-Charta

Auf der Homepage der Swisscoy ist zu lesen, deren Einsatz sei «mit der Neutralität vereinbar». Die drei Voraussetzungen dafür (Uno-Mandat, Konfliktparteien einverstanden, Schweizer Militärgesetz als gesetzliche Grundlage) seien gegeben.
Dazu in Kürze: Dass die Führung des unterlegenen Serbien 1999 das «Military-Technical Agreement» unterzeichnet hat, kann man nicht als frei geäussertes «Einverständnis» betrachten. (Ebensogut könnte man sagen, Deutschland sei nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Vertrag von Versailles «einverstanden» gewesen, der dem Land nicht zu bewältigende Zahlungen aufgebürdet hat.)
Das schweizerische Militärgesetz10 sieht vor, dass die Schweiz Beiträge zur Friedensförderung im internationalen Rahmen leistet (Art. 1 Abs. 4), dass die Einsätze auf der Grundlage eines Uno- oder OSZE-Mandates stattfinden und den Grundsätzen der schweizerischen Aussen- und Sicherheitspolitik entsprechen müssen (Art. 66, 66a, 66b). Insbesondere ist Artikel 66a, Abs. 2 zu beachten: «Die Teilnahme an Kampfhandlungen zur Friedenserzwingung ist ausgeschlossen.» Mit dieser Beteuerung bekämpfte der Bundesrat seinerzeit erfolgreich das Referendum gegen bewaffnete Auslandeinsätze der Schweizer Armee im Ausland (Volksabstimmung vom 6. Oktober 2001). Erinnern Sie sich? Nur «friedensunterstützende» Einsätze seien vorgesehen.
Lesen Sie dazu die Angaben der Nato zur Kfor:

«Kfor leitet ihr Mandat von der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates vom 10. Juni 1999 und vom Militärisch-Technischen Abkommen zwischen der Nato und der Bundesrepublik Jugoslawien und Serbien ab. Kfor stützt sich auf Kapitel VII der UN-Charta und ist daher eine friedenserzwingende Operation, welche im allgemeinen als friedensunterstützende Operation bezeichnet wird» [Übersetzung und Hervorhebung Zeit-Fragen].

«Kfor derives its mandate from UNSCR 1244 of 10 June 1999 and the Military-Technical Agreement (MTA) between Nato and the Federal Republic of Yugoslavia and Serbia. Kfor is operated under Chapter VII of the UN Charter and, as such, is a peace enforcement operation, which is more generally referred to as a peace support operation» (<link jfcnaples.nato.int kfor about-us history kfor-objectives>jfcnaples.nato.int/kfor/about-us/history/kfor-objectives).
Schon klar, die Schweizer werden nicht als Kampftruppen eingesetzt. Aber sie transportieren Material und sammeln Informationen für das «Frühwarnsystem». Wo ist die Grenze?

Die Schweiz trägt ihr Päckli für Kosovo auf andere Weise …

Fast 10 Prozent aller Kosovarinnen und Kosovaren leben laut dem Präsidenten der
SiK-S,­­ Ständerat Isidor Baumann, in der Schweiz.11
Sie wohnen und arbeiten hier, ihre Kinder besuchen die Schulen und machen Berufslehren (während meiner Tätigkeit als Berufsschullehrerin sassen viele Jugendliche aus allen Gebieten des ehemaligen Jugoslawien in meinen Klassen, die Mehrzahl von ihnen aus Kosovo). Das ist auch recht so. Es ist zu einem rechten Teil der Volksschule und dem dualen Berufsbildungssystem zu verdanken, dass die grosse Mehrheit der Jugendlichen hier gut integriert ist; manche waren bereits Schweizerbürger, wenn sie zu mir in den Berufsschulunterricht kamen, andere liessen sich während der Lehre einbürgern.
Tatsache ist also, dass die Schweiz für einen Zehntel der Kosovaren direkt sorgt (sei es über die Bereitstellung von Arbeitsplätzen oder über die sozialen Einrichtungen) und für vielleicht noch einmal so viele indirekt; denn die Erwerbstätigen unter ihnen ernähren oft Angehörige in Kosovo mit, und von den relativ grosszügigen Alters- und Invalidenrenten lässt es sich dort mit der ganzen Familie gut leben.
Damit tut die Schweiz vermutlich mehr für die kosovarische Bevölkerung als irgendein anderes Land, denken Sie nicht?

… und hat als neutrales Land andere aussenpolitische Pflichten, als sich in Nato-Organisationen einzuordnen

Der ganze umfangreiche Apparat von Kfor und Eulex (Juristen und Polizeifachleute auch aus der Schweiz) mit ihren Milliardenkosten hat es in all den Jahren nicht zustande gebracht, die Minderheitenrechte der serbischen Bevölkerung in Kosovo durchzusetzen und die mutmasslichen UÇK-Kriegsverbrecher der Gerichtsbarkeit und ihrer verdienten Strafe zuzuführen. Die 2013 in Brüssel vereinbarte Teilautonomie der serbischen Gemeinden gibt es bis heute nicht, und die Parlamentswahlen am 11. Juni 2017 werden dies wahrscheinlich auch nicht ändern. Denn die ehemaligen UÇK-Chefs Ramush Haradinaj und Hashim Thaçi (der amtierende Präsident) haben sich mit ihren Parteien zu einer «Anti-Dick-Marty-Koalition» zusammengeschlossen, um diese Wahlen zu gewinnen, weiterhin im gleichen Stil wie bisher zu herrschen und sich der internationalen Gerichtsbarkeit zu entziehen («Tages-Anzeiger» vom 18.5.2017). Der ehemalige Ständerat und Europarat-Berichterstatter Dick Marty hatte in seinem Bericht von 2010 für die Zeit nach dem Nato-Krieg Kriegsverbrechen der UÇK-Anführer an serbischen Zivilisten und Roma sowie die Ermordung kosovo-albanischer Kritiker dokumentiert.
Es kann hier nicht genauer auf den historischen Hintergrund eingegangen werden. Klar ist aber die Pflicht der neutralen Schweiz, auf dem Boden der Demokratie und auf dem vorgebahnten Weg von Dick Marty ihre Guten Dienste anzubieten. Das wäre sinnvoller als die – im einzelnen sicher ehrenwerten – Tätigkeiten der Swisscoy während weiterer 20 Jahre …     •

1    <link https: jfcnaples.nato.int kfor about-us history kfor-objectives>jfcnaples.nato.int/kfor/about-us/history/kfor-objectives 
2    Today, Kfor continues to contribute towards maintaining a safe and secure environment in Kosovo for the benefit of all citizens.» (<link jfcnaples.nato.int kfor about-us history kfor-objectives>jfcnaples.nato.int/kfor/about-us/history/kfor-objectives)
3    Medienmitteilung des Bundesrates vom 23.11.2016. Fortführung des Einsatzes der «Swiss Company» (Swisscoy) in der multinationalen Kosovo Force (Kfor)
4    Medienmitteilung der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates vom 25.4.2017
5    <link http: www.vtg.admin.ch de aktuell einsaetze-und-operationen militaerische-friedensfoerderung missionen swisscoy.html>www.vtg.admin.ch/de/aktuell/einsaetze-und-operationen/militaerische-friedensfoerderung/missionen/swisscoy.html
6    Protokoll Debatte im Ständerat vom 13.3.2017
7    Medienmitteilung des Bundesrates vom 23.11.2016. Fortführung des Einsatzes der «Swiss Company» (Swisscoy) in der multinationalen Kosovo Force (Kfor)
8    Botschaft des Bundesrates zum Bundesbeschluss über die Schweizer Beteiligung an der multinationalen Kosovo Force (Kfor) vom 14. März 2003
9    <link http: www.vtg.admin.ch de aktuell einsaetze-und-operationen militaerische-friedensfoerderung.html>www.vtg.admin.ch/de/aktuell/einsaetze-und-operationen/militaerische-friedensfoerderung.html
10    Bundesgesetz über die Armee und die Militärverwaltung (Militärgesetz, MG) vom 3. Februar 1995 (Stand am 1. Januar 2017)
11    Protokoll Debatte im Ständerat vom 13.3.2017

Achtung: Pulverfass «Grossalbanien»

rt. In den vergangenen Wochen hat sich die politische Situation in Kosovo, Albanien und Mazedonien wieder zugespitzt. Während die albanisch-dominierte Regierung in Kosovo eine eigene Armee forderte, fordern die Albaner in Mazedonien eine weiterreichende Unabhängigkeit vom mazedonischen Staat – Fernziel Tirana. Offenbar ist die diplomatische Koordination in der Region von den deutschen Diplomaten wieder zu den USA zurückgegangen (vgl. «Neue Zürcher Zeitung» vom 27.5.2017). Welche Rolle wird den Albanern im «great game» in Südosteuropa zugedacht?

Unsere Website verwendet Cookies, damit wir die Page fortlaufend verbessern und Ihnen ein optimiertes Besucher-Erlebnis ermöglichen können. Wenn Sie auf dieser Webseite weiterlesen, erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.
Weitere Informationen zu Cookies finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
 

Wenn Sie das Setzen von Cookies z.B. durch Google Analytics unterbinden möchten, können Sie dies mithilfe dieses Browser Add-Ons einrichten.

OK