«Höhentraining bringt nichts» – denkste!

«Höhentraining bringt nichts» – denkste!

Die Attacke auf das Höhentraining war ein Rohrkrepierer

von Heini Hofmann

Von Sammelbüchsen-Institutionen weiss man es: Das Sendungsbewusstsein für die eigenen Zielsetzungen kann dazu verleiten, die Dinge so zu umschreiben, dass dies via Tränendrüsen und Geldsäckel dem Spendenkässeli zudient. In der Wissenschaft passiert mitunter etwas Analoges. Ein solcher Fall, das Höhentraining betreffend, hätte fürs Engadin, die Nummer eins unter den HöhentrainingsZentren Europas, fatale Folgen haben können.

Wissenschaftliche Forschung ist heute vor allem eine Frage des Geldes. Beim Buhlen um Forschungsgelder kommt es daher, wenn zum Glück auch nur vereinzelt, selbst in hehren universitären Kreisen vor, dass unausgereifte «Forschungsergebnisse» ausposaunt werden.

Hypothese zur These gemacht

Forschung arbeitet mit Fragestellungen, stellt also eine Hypothese auf, um dann zu untersuchen, ob es sich tatsächlich so verhält, wie man angenommen hat, oder allenfalls doch anders. Resultat solcher Forschung ist dann eine These. Früher war es Usus, erst mit dieser These, das heisst mit dem bestätigten Forschungsresultat, in die Medien und damit an die Öffentlichkeit zu gehen, um nicht Verwirrung zu stiften.

Heute jedoch passiert es immer öfter, dass, getrieben vom Kampf um das Generieren von Forschungsgeldern, gelegentlich wohl auch um sich in den Medien zu positionieren (böse Zungen sprechen dann von Mediengeilheit), bereits mit der Hypothese vorgeprescht wird. Und was machen dann die meisten Medienleute? Natürlich aus der Hypothese eine These; denn sie müssen die Storys ja knackig und mit Fleisch am Knochen verkaufen. Resultat: Die Hypothese, ob richtig oder falsch, wird via veröffentlichte als öffentliche Meinung zementiert.

So geschehen vor zwei Jahren mit der Höhentrainings-Thematik, ausgelöst durch einen Forscher der Universität Zürich, der eine noch unveröffentlichte, von anderen Wissenschaftlern aber bereits als nicht stichhaltig qualifizierte Studie noch während der laufenden Begutachtung (Revueprozess) ausgerechnet via das Informationsmagazin der Hochschule lauthals in die Öffentlichkeit trug und dadurch unnötigerweise für Wirbel und Verunsicherung sorgte.

«Höhentraining bringt nichts»

Diese vernichtende Aussage über eine bisher sakrosankte Lehrmeinung zierte als Titel einen Artikel in der Zürcher Universitäts-Zeitschrift magazin, in dem beschrieben stand, wie der betreffende Forscher «mit schallendem Lachen» unterstreicht, dass es ihm Spass mache, eines der grössten Dogmen der Sportphysiologie vom Sockel zu stossen, «weil unsere Studie einfach viel besser ist als die anderen». Die akademische Reiterattacke galt dem «Oben leben, unten trainieren»-Prinzip, mit dem seit über zehn Jahren Spitzenathleten ihre Leistungen noch um einige Prozente steigern.

Angesprochen auf Marathon-Europameister Victor Röthlin, der, wie viele andere Sportler, im Engadin sein «Live high – train low»-Höhentraining zu absolvieren pflegte (mit Wohnen auf Muottas Muragl und Trainieren in St. Moritz) und aus eigener Erfahrung sagte, «drei Wochen, nachdem ich aus den Bergen zurück im Unterland bin, fliege ich förmlich», antwortete besagter Forscher, dass er die von Spitzensportlern als positiv empfundenen Auswirkungen eines Höhentrainings für einen Placeboeffekt halte, also schlicht und ergreifend für Einbildung.

Gemäss seiner Auffassung wäre somit Höhe ein Placebo, das heisst eine unwirksame, indifferente Substanz, ein «Scheinmedikament», angewendet bei Patienten (sprich: Sportlern), um einem eingebildeten Bedürfnis zu entsprechen. Eine kühne These, die fürs Höhentrainings-Eldorado Engadin katastrophale Folgen gehabt hätte. Ob solcher Entzauberung würde Jahrhundertarzt Paracelsus, so er sie vernehmen täte, wohl erneut sackgrob kontern wie damals: «Polsterprofessoren … Requiemsdoktoren … Gugelfritzen … die in den Büchern der alten rumpeln wie die Sau im Trog».

Rohrkrepierer statt Leuchtrakete

Besagter Höhentrainings-Verneiner riet Swiss Olympic sogar, besser «mehr Psychologen einzustellen». Denn «so lange die Athleten glauben, Höhentraining nütze etwas, werden sie es weiterhin machen», lautete seine sarkastische Devise. Nun, eines hat er damit erreicht, nämlich mediale Aufmerksamkeit, obschon seine Studie nur eine unter fünfzig anderen (anderslautenden!) war; denn für die Journaille der seichteren Gefilde ist es jeweilen ein gefundenes Fressen, wenn universitäre Forscher sich gegenseitig bekriegen. Jedoch: Wer derart in den Wald lacht, muss nicht aufs Echo warten. Auch in der Wissenschaft gilt: Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder. Die vermeintliche Leuchtrakete endete als Rohrkrepierer.

Denn andere renommierte Forscher haben im Reviewprozess harsche Kritik geübt, nämlich dass die Leistung nach dem Höhenaufenthalt nicht zum anerkannt besten Zeitpunkt gemessen worden sei, dass die Messgenauig-keit für die Bestimmung der Hämoglobinmasse zu wünschen übrig lasse, dass unkritisch von künstlicher auf natürliche Höhe interpoliert und der angebliche Blindversuch mit einer Höhen- und einer Kontrollgruppe nicht ‹lege artis› durchgeführt worden sei, ganz abgesehen davon, dass «das ‹Blinding› bei Höhentrainingsstudien Unsinn» sei. Endeffekt: Es gilt wieder, was vorher schon galt. Und entscheiden tun schlussendlich die Sportler selber. Für sie zählt die persönlich gemachte Erfahrung – und die ist gut.

Der Schaden bleibt angerichtet

Man erinnert sich an einen analogen Fall vor Jahren, der die Rohmilch-Verkäsung auf der Alp betraf. Damals war es ein Professor der ETH-Zürich, der einen solchen Wirbel veranstaltete. Es war von lebensgefährlicher Bedrohung die Rede. Der Grossteil der Medien überbot sich gegenseitig mit Teufel-an-die-Wand-Malereien derart, dass sich der Bundesrat veranlasst sah, eine Sonderkommission einzusetzen. Diese tagte, beriet, wägte ab und kam zum Schluss: «Es sind keine Sofortmassnahmen notwendig.»

Das heisst im Klartext, der ganze akademische Wirbel war heisse Luft. Das Pikante an solchen Geschichten: Eine Richtigstellung erfolgte nie und nirgends, notabene auch im Fall Höhentraining nicht. Der Schaden ist angerichtet, und niemand verantwortlich. – Der guten Ordnung halber sei angeführt, dass es sich hierbei immer um Einzelfälle handelt, die jedoch die überwiegend seriöse Forschung ebenfalls in Mitleidenschaft ziehen.    •

Rennpferde als Auslöser

Interessanterweise waren es nicht zwei-, sondern vierbeinige Athleten, die dem Sport das Höhentraining erschlossen. Nach dem schlechten Abschneiden der Schweizer Delegation an den Olympischen Winterspielen von 1964 in Innsbruck und mit besorgtem Blick auf die Olympischen Sommerspiele von 1968 in Mexiko auf über 2000 m ü. M. waren neue Trainingsmethoden gefragt.

Die zündende Idee kam aus St. Moritz; denn in den zwanziger Jahren hatte man bei Rennpferden (Traber und Galopper) eine interessante Beobachtung gemacht. Für die internationalen Pferderennen im Februar auf dem gefrorenen See kamen sie jeweilen bereits einen Monat vorher nach -St. Moritz zum Trainieren – und liefen dann an den grossen Frühjahrsrennen in verschiedenen europäischen Metropolen auf Spitzenplätze. Ergo: Dies waren die ersten Höhentrainings zur Vorbereitung für Wettkämpfe in tieferen Lagen!

Diesem Phänomen widmete sich der damalige Leiter des Forschungsinstitutes in Magglingen, Professor Gottfried Schönholzer; denn was beim hippologischen Training funktionierte, so folgerte er, konnte doch auch bei menschlichen Athleten fruchten. Die Zukunft sollte ihm recht geben.

Nicht für alle gleich!

«Finden Wettkämpfe in der Höhe statt», sagt Jon Peter Wehrlin, HöhentrainingsSpezialist an der Eidgenössischen Hochschule für Sport in Magglingen, «macht Höhentraining für alle Teilnehmer Sinn. Denn um die bestmögliche Leistung zu erbringen, muss sich der Körper an die Höhenlage akklimatisieren. Im Vergleich zu einem normalen Training kann ein solches in der Höhe ein bis drei Prozent Leistungssteigerung erbringen. Und genau dies entscheidet im Spitzensport über Sieg oder Niederlage.»

Ein Höhentraining als Vorbereitung für einen Wettkampf im Flachland empfiehlt Wehrlin dagegen nur austrainierten Athleten, die mit den klassischen Trainingsmethoden bereits ein hohes Niveau erreicht haben, damit jedoch keine Fortschritte mehr erzielen können. Durch diese zusätzliche Reizsetzung können sie ihre Leistung – individuell und massgeschneidert – noch verbessern.

Zielsetzung bestimmt Methode

Trotz Sturm im Wasserglas gilt nach wie vor: Das ursprüngliche Höhentraining hiess «oben schlafen – oben schuften» (live high – train high, LHTH). Es dient der Vorbereitung für Wettkämpfe in der Höhe. Daneben gibt es das Hypoxie-Training mit «unten schlafen – oben schuften (live low – train high, LLTH). Hier wird die anaerobe Leistungsfähigkeit verbessert.

Die neueste Höhentrainingsform lautet «oben schlafen – unten schuften» (live high – train low, LHTL). «Diese Art Höhentraining», sagt Jon Peter Wehrlin, Leiter Sportphysiologie Ausdauer an der EHS Magglingen, «hat sich bei Elite-Ausdauerathleten in der Vorbereitung für Wettkämpfe im Flachland als vorteilhafter erwiesen als «oben ruhen – oben schuften», aber auch als vorteilhafter im Vergleich zum Training im Flachland.

Engadin
•    Übernachten: Muottas Muragl (2456m)
      oder Bernina Hospiz (2309 m)
•    Trainieren: St. Moritz (1856 m) und
     Scuol (1275 m)
Region Davos
•    Übernachten: Jakobshorn (2590 m),
      SLF Weissfluhjoch (2663 m)
•    Trainieren: Davos (1540 m)
    und Klosters (1120 m)
Region Appenzell
•    Übernachten: Säntis (2501 m)
•    Trainieren: Schwägalp (1320 m),
      Urnäsch (841 m) oder
      Herisau (745 m)
Region Innerschweiz
•    Übernachten: Gütsch ob Andermatt (2344 m)
•    Trainieren: Andermatt (1445 m)
Region Wallis
•    Übernachten: Gemmi-Pass, Berghotel Wildstrubel (2346 m)
      Trainieren: Leukerbad (1411 m)

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