Ein Besuch in unserer Partnerstadt Gatschina

Ein Besuch in unserer Partnerstadt Gatschina

von Doris und Gerhard Feigenbutz

Ein frisch gebackener Ruheständler überlegt sich, wie er seine neue freie Zeit füllen möchte. Unsere Kleinstadt Ettlingen hat inzwischen fünf Partnergemeinden in Frankreich, Belgien, England, Sachsen (Löbau), Russland und Italien. Am Marktfest Ettlingen haben diese Partnerstädte Stände mit Produkten und Informationen. Ausser dass wir dort hin und wieder eine Zitronenmarmelade aus Menfi gekauft haben, hatten wir bisher keine Berührungspunkte zu diesen Partnergemeinden. Komisch – warum eigentlich nicht? Ende 2017 war mal wieder eine Fahrt nach Gatschina, Ettlingens Partnerstadt in Russland, ausgeschrieben. Gatschina liegt 45 Kilometer südlich von St. Petersburg und hat etwa 90 000 Einwohner. Interessierte konnten an einer Vorbesprechung im Januar teilnehmen. Warum sich eigentlich nicht einmal um die Städtepartnerschaften kümmern?
Veranstalter war die Deutsch-Russische-Gesellschaft Ettlingen. Nach drei Vortreffen und Klärung aller Fragen meldeten wir uns an. Unter erfahrener Leitung fand vom 5. bis 13. Mai eine Russland-Reise statt.
Nicht, dass wir keine Bedenken gehabt hätten: Wird man in Russland als Tourist beim Bezahlen übers Ohr gehauen? Könnte es Unannehmlichkeiten geben, wenn man sich abends allein durch die Orte bewegt?
Die ersten 4 Tage erwartete die 17 Personen umfassende Gruppe zunächst ein reichhaltiges Kulturprogramm in Moskau und St. Petersburg. Vor Ort führten uns einheimische Reiseführerinnen zu den vielfältigen Sehenswürdigkeiten und gaben uns Einblick in das grandiose handwerkliche, kunsthistorische und architektonische Schaffen des zaristischen Russlands. Was uns auffiel: Die sehr gut Deutsch sprechenden Reiseführerinnen konnten zu allen Fragen detailreich Auskunft geben.
In der Mitte der Reisezeit lag der 9. Mai, ein Feiertag, an dem in Russland der «Tag des Sieges» begangen wird. Unter dem Motto «Unsterbliches Regiment» versammeln sich in über 500 Städten Menschen – auch junge – zu einem Gedenkmarsch und tragen Bilder von Familienmitgliedern vor sich her, die im «Grossen Vaterländischen Krieg» gekämpft haben. Mit Plakatwänden und grossen Monitoren auf öffentlichen Plätzen wurde dabei an Szenen aus dem Zweiten Weltkrieg erinnert.
Das eigentliche Ziel der Reise bildete aber die Begegnung mit guten «alten» Bekannten in Gatschina. Bei einem gemeinsamen Abendessen wurden Erinnerungen und Neuigkeiten ausgetauscht. Die Konversation war möglich, weil einige Personen in unserer Partnerstadt sehr gut Deutsch sprechen und einige Ettlinger etwas Russisch. Drei Teilnehmer hatten sogar extra für diese Reise einen Russischkurs bei der Volkshochschule belegt.
Als lokales Besuchsziel wurde diesmal die «Schule des dritten Alters» ausgewählt, eine Senioreneinrichtung, welche nach dem Vorbild des Ettlinger Senioren-Begegnungszentrums entstand. Freundlich empfangen wurde die Gruppe am Tor von zwei hochdekorierten Kriegsveteranen. Im Eingang des Gebäudes bildeten Seniorinnen in farbenprächtiger Tracht ein Spalier und hiessen die Gäste mit Brot, Salz und schmetterndem Gesang herzlich willkommen. Auf dem Flur präsentierten sie eine Auswahl ihrer mit viel Liebe hergestellten Handarbeiten: Malereien, Stickereien, Schmuck und Schatullen in Laubsägearbeiten, deren Lochmuster so präzise ausgeführt waren, als wären sie mit Lasern geschnitten. Die Seniorinnen schreiben russische Märchen um und führen diese mit sehr schönen und originellen selbstgefertigten Handpuppen vor Kindern auf. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich gemeinsames Singen und Tanzen, für ihre Darbietungen haben die Seniorinnen und Senioren bereits Preise erhalten. Es fördere die Gesundheit und die Freude im Leben. Von ihren Gesangs- und tänzerischen Qualitäten bei Akkordeonmusik gaben sie noch einige Kostproben und forderten uns Gäste zu gemeinsamem Tanz auf. Eine liebevoll und reichhaltig gedeckte Kaffeetafel rundete die Gastfreundschaft ab. In einer kurzen Ansprache gaben die Veteranen ihrem Wunsch Ausdruck, dass die Völker nie mehr gegeneinander Krieg führen, statt dessen Freundschaft («Druschba») entstehen möge. Mit kleinen selbst hergestellten Gastgeschenken verliess die Ettlinger Gruppe tief beeindruckt die «Schule des dritten Alters».
Ein weiteres Besuchsziel war das Gatschiner Schloss. Der Leiter des Schlossmuseums, ein Deutschlehrer, führte die Gruppe mit sprachlich präzisen Ausführungen durch die Räumlichkeiten, wenigstens durch die, die inzwischen wieder hergerichtet wurden. Auch Gatschina war seit Sommer 1941 von deutschen Truppen besetzt und nach dem deutschen Generaloberst Georg Lindemann in «Lindemannstadt» umbenannt. Beim Rückzug der Wehrmacht 1944 wurde das Schloss verwüstet und angezündet. Die Tafel eines deutschen Soldaten erinnert mit einer Inschrift noch heute an die Plünderungen: «Hier sind wir gewesen, gehen jetzt fort. Wenn Iwan kommt, ist alles leer.» Eine Restauration konnte bis heute nur zu einem Teil erfolgen.
Am letzten Tag war noch ein Gang über den Markt in Gatschina angesagt. An einem Stand für Nüsse und Trockenfrüchte deckten wir uns mit etlichen Produkten ein. Die Verkäuferin bemerkte natürlich, dass wir Touristen waren, und schenkte uns ein kleines Päckchen mit gemischten Nüssen für die Rückreise.
Und das Resümee dieser Reise? Entgegen unserer Befürchtungen wurden wir weder übers Ohr gehauen noch bedroht. Bei abendlichen Streifzügen durch Moskau und St. Petersburg haben wir uns nie unsicher gefühlt. Die Menschen empfanden wir als sehr freundlich. In der Moskauer Metro haben uns zweimal junge Leute einen Platz angeboten. Der öffentliche Raum in Moskau wird übrigens sehr sauber gehalten. Reiseführerinnen für Touristen füllen ihre Aufgabe sehr kompetent aus. Wir erfuhren, dass sie dafür eine Prüfung ablegen müssen und nur nach erfolgreichem Bestehen ein Zertifikat bekommen. Das heisst, die Russen möchten die Vermittlung von Geschichte, Kunst und Kultur ihres Landes nur in sachkundige Hände geben. Die Erinnerungen an die Opfer des Zweiten Weltkriegs werden bis heute hochgehalten. Wir empfanden Dankbarkeit, dass uns dafür keine Ressentiments entgegengebracht wurden.
Zum Marktfest in Ettlingen Ende August kommen einige Gatschiner Bürger zu uns. Wir freuen uns auf ein Wiedersehen. Gerne werden wir an Veranstaltungen mit ihnen teilnehmen und jemandem Quartier bei uns bieten.    •

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