Warum ein Rahmenabkommen nicht funktionieren kann

Warum ein Rahmenabkommen nicht funktionieren kann

Die Schweiz tickt anders

von Robert Seidel

Der Bundesrat möchte in seiner neuen Zusammensetzung bis Ende 2018 mit der EU-Führung ein «Rahmenabkommen», neu «Marktzutrittsabkommen», abschliessen. Nach den Turbulenzen am Ende des Jahres 2017 – Besuch des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, frühzeitige Zusage einer Kohäsionsmilliarde für die EU, abrupte Befristung des Börsenzugangs durch die EU und der Ankündigung des neuen Vorstehers des Departements des Äussern, Ignazio Cassis, den «Resetknopf» zu drücken –, bleibt nun offensichtlich alles beim Alten. Oder doch nicht? Möchte man mit einem Rahmenabkommen die Kröte, eine Unterordnung unter die EU, eventuell doch noch schlucken? In seine Überlegungen möchte der Bundesrat verschiedene Schweizer «Branchen» einbeziehen. Da wäre natürlich interessant zu erfahren, warum Branchen, welche und warum genau diese? Neu koordiniert werden soll das Ganze vom neuen Direktor der Direktion für europäische Angelegenheiten (DEA), einem bekannten EU-Turbo, Roberto Balzaretti. Er übernimmt die Koordination der gesamten Verhandlungen mit der Europäischen Union als Staatssekretär. Es stellt sich also die Frage, warum der Bundesrat immer noch laviert und versucht, in Brüssel zu punkten?

Seien wir ehrlich, die EU baut seit einiger Zeit und jetzt verstärkt eine Armee für Einsätze in der ganzen Welt auf, auch für Einsätze im «Inland». Offenbar sind der «Friedensmacht EU» 70 Jahre Frieden genug. Weniger bekannt, aber noch erschreckender ist, dass in den EU-Staaten – trotz EMRK und der Menschenrechte – seit 2008 die Todesstrafe wieder möglich ist.1 Dies trotz anhaltender Proteste. Aber auch Arbeitslosigkeit, Working poor, ungeregelte Migration, ungelöste Schuldenprobleme und Ausverkauf der öffentlichen Daseinsvorsorge bleiben weiterhin ungelöste Dauerthemen in den EU-Staaten. So sieht der Vertragspartner für ein Rahmenabkommen auf den ersten Blick von aussen aus.

Über den Steuerfuss abstimmen

Anders als in der Schweiz ist es auch im Inneren der EU: Wenn sich in irgendeinem EU-Land jemand an der Höhe der Steuerlast stört, dann kann er nicht über eine Gemeindeversammlung oder eine kantonale oder landesweite Abstimmung Einfluss darauf nehmen. Die Höhe wird von seiner Regierung festgelegt. Bis auf sehr wenige Ausnahmen kann man nicht über Sachfragen abstimmen: Ob dieses oder jenes Gebäude gebaut wird oder ob man Radio- und Fernsehgebühren zahlen muss oder ob ein neuer Düsenjet finanziert werden soll – all diese Entscheidungen treffen in der EU Berufspolitiker statt der Bürgerinnen und Bürger. Politiker wie Donald Tusk, Jean-Claude Juncker, Emanuel Macron, Sebastian Kurz, Silvio Berlusconi, Andrea Nahles oder Mariano Rajoy entscheiden. Es sind häufig Politiker, die von einem Politposten zum nächsten weitergereicht werden – so wie Jean-Claude Juncker, der vom -Posten eines luxemburgischen Premierministers zum EU-Kommissionspräsidenten wechselte, oder ähnlich undemokratisch Jose Manuel Barroso oder Roman Prodi, nur Martin Schulz hatte Pech mit seiner eigenen Partei beim vorgesehenen Wechsel vom -Posten eines EU-Parlamentspräsidenten in eine neue deutsche Bundesregierung. Es sind Berufspolitiker aus einer eigenen Politikerkaste. Sie sind nicht abhängig vom Ausgang irgendeiner Wahl. Sie tauchen immer wieder in verschiedenen entscheidenden Positionen auf.

EU – Regieren ohne Volk

Wenn eine deutsche Bundeskanzlerin wie Angela Merkel 2015 beschliesst, die deutschen und damit die europäischen Grenzen zu öffnen, dann geschieht das ganz einfach; Gesetze hin, Gesetze her. Die EU ist vieles, nur eines ist sie nicht: demokratisch. Es darf eben auch nicht jeder Angela Merkel spielen. Wenn zum Beispiel Viktor Orbán oder Beata Szydło aus den Visegrad-Staaten Wünsche äussern, dann kann es sein, dass ihr Land schnell einmal vor den Europäischen Gerichtshof EuGH wegen Verstoss gegen den «Geist der EU» zitiert wird.

Wer die EU-Richter aus welchem Grund ernennt, bleibt geheimnisumwoben – vom Volk selbst gewählt wird keiner. Genauso geheimnisvoll ist die Frage, warum ein finnischer Richter über die Steinofenpizza der Italiener oder ein maltesischer Richter über das schwedische Minenrecht beim Eisenerzabbau urteilen soll.

Mit einem Rahmenabkommen, pardon, einem «Marktzutrittsabkommen», würden auch die Schweizer EU-Bestimmungen klaglos nachvollziehen müssen. Da wäre dann auch mit einem Referendum oder einer Initiative nichts mehr zu machen. Bis in den kleinsten Lebensbereich hinein wird alles vorgeschrieben, selbst die Krümmung der Banane, was ja noch relativ unrelevant wäre. Interessanter wird es bei Steuerfragen, Finanzregelungen oder Vorschriften im Bereich Bau oder im Bereich Lebensmittel (zum Beispiel bei der Gentechnik). Die Vorschriften werden erheblich sein, und im Zweifelsfall, wenn wir nicht einverstanden sind, wird ein «fremder Richter» den Ausschlag geben. Vielleicht ein Portugiese oder eine Litauerin … und vielleicht wird der Bundesrat uns dann als Erfolg seiner Verhandlungsbemühungen mit der EU präsentieren, dass ein Schweizer bei der Urteilsverkündung auch am Tisch sitzen dürfe …

Warum kein solides Freihandelsabkommen?

Für wen bringt solch eine Unterordnung unter die EU so viele Vorteile, dass er nun schon seit mehreren Jahrzehnten drängelt, zwängelt, lügt und Honig ums Maul schmiert? Selbst die Behauptung, dass es mit den bilateralen Verträgen besser sei als ohne, ist völlig unbewiesen. Es wird behauptet. Natürlich streichen die Befürworter angebliche Vorteile heraus. Aber ehrlich, mit ein paar gut ausgehandelten Freihandelsabkommen hätte man schon mehr erreicht. Die Bilateralen haben sich mit ihrer Guillotineklausel inzwischen mehr denn je als Ballast für unser Land erwiesen. Und dass keine neue angemessene und flexible Lösung gefunden wurde, liegt wahrscheinlich mehr an unserer bundesrätlich europhilen Verhandlungsführung als an der EU, was die Sache natürlich nicht besser macht.

Warum zum Beispiel nicht die Verträge zwischen EU und EFTA wieder neu ausarbeiten? Das kann ohne Zwang und ohne Druck funktionieren, für jeden der vielen Vertragspartner massgeschneidert.

Was haben wir, was die nicht haben?

Halten wir demgegenüber doch noch einmal fest, was heute einen Teil unseres politischen Zusammenlebens ausmacht:

  • Wir können auf Gemeinde-, Kantons- und Bundesebene über verschiedenste, auch grundlegende Sachfragen abstimmen. Das kann in der gesamten EU kein Bürger!
  • Wir können politische Entscheidungen über das Initiativ- und Referendumsrecht selbst einleiten und damit auf jeder Ebene das politische Geschehen im Land beeinflussen. Davon träumen die Bürger in den Ländern der EU.
  • Wir stimmen über grössere finanzielle Ausgaben (Gotthardbasistunnel), über Rechtsänderungen (Rentenreform) oder über Änderungen im Steuerwesen ab. Das würden viele Bürger in der EU auch gerne können.
  • Politiker sind bei uns viel enger an ihre Wähler gebunden. Wenn sie Karriere machen wollen, müssen sie vor den Bürgern glaubwürdig und ehrlich erscheinen, um bei der Wahl zu bestehen.

Natürlich wissen wir um die vielen kleinen Unzulänglichkeiten auch in unserer Ordnung. Doch alleine der Vergleich zwischen dem Gotthardbasistunnel und dem Flughafen Berlin-Brandenburg spricht Bände: in Bezug auf die demokratische Mitsprache der Bürger, auf die Höhe der Kostenüberschreitungen, das Überschreiten des Zeitplans, die Qualität sowie die Zufriedenheit der Bevölkerung. Unsere Entscheidungswege sind oft länger, aber der Konsens ist breiter und damit auch die Zufriedenheit aller.

Das Eigenleben von Chefbeamten

Auch wir müssen leider feststellen, dass Teile der Verwaltungen unter ihren Chefbeamten manchmal beginnen, ein unkontrolliertes Eigenleben zu führen und Dinge zu initiieren, die nicht immer abgesprochen und von der Bevölkerung auch nicht gewollt waren (wie zum Beispiel Bologna oder PfP). Wir sind bemüht, sie auf ihre eigentlichen Aufgaben zurückzuführen.

Einige wollen einen grösseren Teil vom EU-Kuchen

Es gibt in unserem Land auch Kreise, wie in jedem Land, die ihren wirtschaftlichen Vorteil über die Rechte und die Eigenständigkeit ihrer Mitbürger stellen wollen. Manche führen an, sie würden wegen der Arbeitsplätze und des Wohlstands im Land «notgedrungen» auf manche ihrer Rechte (und auch gleich noch auf die Rechte ihrer Mitbürger) zugunsten der EU als grösstem Handelspartner verzichten. (Was dann aber bei genauerer Betrachtung doch nicht ganz so uneigennützig ist.) Einige von ihnen verdienen ihr Geld als Globalplayer oder bei einem Globalplayer. Sie empfehlen uns, Rechte abzugeben, damit das Stück vom EU-Kuchen gross genug bleibe. Für einen Verzicht dürften wir dann weiterhin jodeln oder günstig im EU-Land einkaufen … – nur im Grossen und Ganzen, da sollten wir «einsichtig» werden und den «Experten» in Strassburg den letzten Entscheid überlassen …

Wo bleibt die breite und kontroverse Diskussion?

Eine breite und kontroverse Debatte fehlt. Wir haben heute statt 200 Zeitungen (1980) nur eine Handvoll grosser Verlagshäuser und einige europhile TV- und Radiosender – und diese Einrichtungen sollten nun eine Diskussionsplattform zur Meinungsbildung bieten. Doch immer mehr Bürger haben inzwischen den Eindruck, sie werden mit PR, Spin doctoring, Meinungsteppichen oder Halbwahrheiten abgespeist.

EU-Beitritt oder «kalter» Anschluss?

Beide Seiten – die EU in Brüssel und die «Rosinenpicker» auf der Schweizer Seite – planen seit über zwei Jahrzehnten einen Anschluss an die EU, egal ob als EU-Mitglied oder in Form eines stillen «kalten» Anschlusses. Die Bürgerinnen und Bürger sollen mental schon einmal parat gemacht werden für den «Change». Macht und Geld sind die Triebfedern. Viele wünschen sich einen grenzen- und hemmungslosen Handel und ein grenzen- und hemmungsloses Durchregieren von oben nach unten, ohne lästige Mitsprache der Betroffenen. Dafür darf ein bisschen Folklore und «Swissness» für alle sein …

Direkte Demokratie als Exportschlager statt Brüsseler Absolutismus

Die Richtung ist falsch. Die Stellungnahmen des Bundesrates tönen hohl, die Medien plärren nach oder spulen vor. Was würden unsere Nachbarn in Deutschland und Frankreich dafür geben, endlich einmal, auch nur ein bisschen, in der Politik mitzubestimmen, die gnadenlos über ihre Köpfe hinweg entscheidet. Auch die Österreicher hätten gerne bei ein paar Fragen mitgeredet, die ihr Leben direkt betreffen. Jetzt wurden sie gerade über den Tisch gezogen: Anstatt «direkte Demokratie nach Schweizer Modell» gibt es jetzt monarchisches Regieren unter der Ägide eines grünen Präsidenten. In Griechenland hätte man schon längst die leise soziale Katastrophe der EU-Sparmassnahmen zur Bankenrettung beendet und wieder Geld für Ärzte, Spitäler und Renten bezahlt.

Die direkte Demokratie ist ein Exportschlager; Despotie a la Brüssel ist ein überholtes Modell aus der Zeit des aufgeklärten Absolutismus. Im Land weiss es mittlerweile fast jeder. Doch weiss es auch der Bundesrat schon?                                                                •

1   Mit Artikel 6 des Vertrages von Lissabon wird die Charta der Grundrechte der EU rechtsverbindlich. Im Artikel 2 dieser Grundrechtecharta der EU steht unter (2): «Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden. Allerdings gelten auch die Erläuterungen dazu.» In den sogenannten Erläuterungen zu Artikel 2 der Grundrechtecharta der EU steht: «Eine Tötung wird nicht als Verletzung des Artikels betrachtet», wenn es erforderlich ist, «einen Aufruhr oder Aufstand rechtmässig niederzuschlagen». Die zweite Ausnahme, wann die Todesstrafe verhängt werden darf: «Für Taten in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr.»

Verschiedene Abstimmungsplakate. Auf Gemeinde-,Kantons- und auf Bundesebene haben die Schweizer Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, über Abstimmungen direkt Einfluss auf die Politik zu nehmen. In den verschiedenen Abstimmungen engagieren sich Einzelpersonen, Gruppen, Parteien oder andere Organisationen.

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