Deutschland – unbemerkte Weichenstellung zum Streitkräfteausbau

«Die Rettung der Krim – und ihre geostrategische Bedeutung im neuen Kalten Krieg»

Buchautoren persönlich kennenzulernen, bereichert die eigene Lektüre. So erging es auch den Zuhörern, die Uwe Markus1, dessen Buch in Zeit-Fragen Nr. 21 vom 24. September vorgestellt wurde, am 18. Oktober bei einem Vortrag in Stockach am Bodensee hören und mit ihm diskutieren konnten.
In seinem Vortrag stellte Uwe Markus die Ereignisse auf der Halbinsel Krim im Frühjahr 2014 in einem grösseren geopolitischen Zusammenhang dar. Die Unruhen in der Ukraine im Jahr 2014 seien Teil einer Strategie des Regimewechsels gewesen, die von dem ehemaligen Sicherheitsberater vieler US-amerikanischer Präsidenten, Zbigniew Brzezinski, in seinem Buch «Die einzige Weltmacht» bereits 1997 entwickelt worden war. Bis 2014, so Brzezinski in seinem Buch, hätte die Ukraine der Nato beitreten sollen, denn wäre dieses Land aus der GUS herausgebrochen, wäre Russland keine europäische Macht mehr gewesen.2 Das Zurückdrängen Russlands fand schon zuvor seinen Ausdruck darin, dass mit dem Untergang der UdSSR und der Auflösung des Warschauer Paktes die Nato trotz anders lautender Versprechungen3 ihren Einflussbereich bis weit hinter die Oder nach Osten ausgedehnt hatte.
Der Griff der Nato nach der Krim, so Markus, hätte das Kräfteverhältnis im Schwarzen Meer durch die Einnahme des russischen Marinehafens Sewastopol zu Gunsten der Nato radikal verändert, so dass das Schwarze und das Asowsche Meer nahezu ausschliesslich in die Hand der Nato gelangt wären. Um dies zu verhindern, seien Spezialeinheiten der russischen Armee auf der Krim gelandet und hätten diese unblutig unter ihre Kontrolle gebracht.
Russland, so Markus, sei heute in der militärischen Rüstung den Nato-Staaten in einigen entscheidenden Punkten voraus. Mit seiner neuen Militärdoktrin betreibe Russ­land eine sogenannt asymmetrische Aufrüstung. So habe die russische Luftwaffe im Schwarzen Meer ein amerikanisches Kampfschiff zum Schein angreifen können, ohne dass die Besatzung die Möglichkeit gehabt hätte, darauf zu reagieren. Russische Techniker könnten heute ein elektromagnetisches Feld erzeugen, das alle gegnerischen elektronischen Kommunikations- und Waffenlenkgeräte stören und lahmlegen könne. Ebenso sei das russische Militär bei der Entwicklung von Hyperschallraketen den Nato-Staaten weit überlegen.
Die anschliessende Diskussion zeugte vom regen Interesse der Zuhörer. Als ein Teilnehmer auf den angeblich maroden Zustand der Bundeswehr hinwies, erwiderte der Referent, dass zwar derzeit in den Medien Meldungen über den unzureichenden Ausrüstungszustand der Bundeswehr über defekte Flugzeuge, Hubschrauber und U-Boote dominierten, doch mittlerweile würden durch die Politik, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, Weichenstellungen zum Ausbau der Streitkräfte vorgenommen. Und die Militärs nutzten diese Möglichkeiten. So würde das Konzept «Landmobilität», das in diesem Jahr in Kraft gesetzt worden sei, zu einem massiven Zuwachs an Kampfkraft bei den Heeresverbänden führen. Künftig sollen sechs Panzerbataillone mit insgesamt 360 Kampfpanzern Leopard 2 in den Versionen A6M und A7V zur Verfügung stehen. Uwe Markus wies darauf hin, dass all diese Informationen in öffentlich zugänglichen Quellen nachzulesen seien.4 Mit dem Hinweis auf sein Buch «Aufmarschgebiet Baltikum» machte er noch einmal deutlich, dass die Pläne für ein Aufmarschgebiet im Osten ein erschreckendes Ausmass erreicht hätten.
Am Ende des Abends war den Teilnehmern klar, in welch brisanter Zeit wir heute in Mitteleuropa leben und dass derjenige, der heute ernsthaft daran denkt, einen nuklearen Krieg führen zu können, mit dem Gedanken spielt, Mitteleuropa in Schutt und Asche zu legen! Denn genau dieser geographische Bereich würde mal wieder das Schlachtfeld abgeben.
Dass es nicht so weit kommen möge, sei allen wachen Zeitgenossen ein Ansporn, in ihren Friedensaktivitäten und Aufklärungsbemühungen nicht nachzulassen.

Ewald Wetekamp, Stockach

1    Dr. Uwe Markus, Jahrgang 1958, ehemaliger Oberleutnant der NVA, promovierte nach seinem Ausscheiden aus der NVA im Fach Soziologie, arbeitete als Projektleiter in einem kommerziellen Markt- und Sozialforschungsinstitut, heute freiberuflich als Unternehmensberater und als Dozent in der Erwachsenenbildung tätig.
2    «Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre blosse Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr.» In: Brzezinski, Z. Die einzige Weltmacht, 1997, S. 74f. «Irgendwann zwischen 2005 und 2010 sollte die Ukraine für ernsthafte Verhandlungen sowohl mit der EU als auch mit der Nato bereit sein.», ebenda, S. 127. «Obwohl der Westen, vor allem die Vereinigten Staaten, die geo­politische Bedeutung eines souveränen ukrainischen Staates erst reichlich spät erkannt hatte, waren um Mitte der neunziger Jahre sowohl Amerika als auch Deutschland zu eifrigen Förderern einer eigenständigen Identität Kiews geworden.», ebenda, S. 165f.
3    Zur weiteren Lektüre und zum Quellenstudium sei hier auf das Buch von Ralf Rudolph und Uwe Markus hingewiesen: Aufmarschgebiet Baltikum, 2018, hier insbesondere das Kapitel «Wortbruch», Seite 9 bis 19
4    Klos, Dietmar. Die «Strategie der Reserve auf der Zielgeraden» und «Mobilität der Landstreitkräfte» In: Europäische Sicherheit & Technik 9/2019, S. 38–40 und S. 82–87

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