Einspruch tut not!

Einspruch tut not!

ev. Die erste Ausgabe des Einspruch! war in erster Linie der Darstellung der Hintergründe der laufenden Reformen im Bildungswesen  gewidmet. Sie liess Autorinnen und Autoren zu Wort kommen, die aus verschiedenen Perspektiven die Rolle der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD), der schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) oder von Stiftungen wie Bertelsmann sowie neue Paradigmen wie Kompetenzorientierung und anderes beleuchteten.
Im nun vorliegenden neuen Einspruch! 2 gehört das Wort in erster Linie den Betroffenen: Es sind Eltern und Lehrkräfte, aber auch Fachleute aus dem Bereich Pädiatrie, Heilpädagogik, Lehrlingsausbildung oder Behördenmitglieder. Die Schilderungen geben Einblick in eine Entwicklung, die für ein demokratisches Land alarmierend ist: Es ist vor allem die konsequente Diskussionsverweigerung und die für die Schweiz unerträglich anmassende Art der Durchsetzung dieser Veränderungen, bei denen Fachleute, Lehrkräfte, genauso wie Eltern in ihren begründeten Einwänden im mildesten Fall einfach übergangen werden. Umso wichtiger, dass einige nun eine Stimme erhalten. Ein Blick über die Grenzen mit weiteren Beiträgen aus Grossbritannien und Deutschland zeigt, dass diese «Reformen» in grösserem Stil vorangetrieben werden. So zeigt auch die Leserzuschrift aus Deutschland an unsere Zeitung (siehe unten auf dieser Seite) genau dieselbe Tendenz im Umgang mit Eltern, die sich ernsthaft und besonnen um das Wohl ihrer Kinder kümmern.
Das Heft macht deutlich, dass die Vorgänge in unseren Schulen zum einen eine ganze Generation zu Objekten unreflektierter Reformen machen – denken wir daran, dass ein Kind nur einmal in die Schule geht und dass die dabei gemachten Erfahrungen für seinen weiteren Lebensweg entscheidend sind. Genauso zu denken geben müssen die Beiträge aber auch, weil sie Bildungspolitik als Hebel des Demokratieabbaues sichtbar machen. Es wäre zu wünschen, dass Einspruch! 2 weite Verbreitung findet und die dringend nötige Diskussion zu den darin aufgeworfenen Fragen breiter in Gang kommt.
Die Lektüre macht diesbezüglich auch Mut: Hier ist eine Vielfalt von Stellungnahmen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven und je eigenem Erfahrungshintergrund zusammengekommen, die alle zeigen: Menschen lassen sich das eigene Denken nicht nehmen – und auch damit machen sie Erfahrungen, die sie auf diesem Weg bestärken.
Im folgenden geben wir das Editorial der Herausgeber wieder.

Editorial

Als wir vor bald drei Jahren erstmals mit «Einspruch» an die Öffentlichkeit gingen, waren wir vom Interesse überwältigt. Wir mussten die Broschüre gleich viermal auflegen. Insgesamt wurden 12 000 Exemplare in der Schweiz verkauft.
Damals ging es uns darum, dem allenthalben medial suggerierten Eindruck entgegenzutreten, die Kritik an den seit Jahren laufenden, kaum je offen diskutierten «Schulreformen» sei ausschliesslich konservativ-rechts motiviert. Gebetsmühlenartig wurde wiederholt, diese «Reformen» würden dem gesellschaftlichen Wandel entsprechen, seien also unbestritten. Menschen, die solche «Reformen» ablehnen, seien dem Fortschritt grundsätzlich feindlich gesinnt. Deshalb baten wir zahlreiche politisch links bis linksliberal denkende, bekannte Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und im schulisch-pädagogischen Umfeld Tätige, ihren kritischen Standpunkt zu den nicht enden wollenden «Reformen» und der Art, wie sie durchgesetzt werden, darzulegen; viele haben dies gerne getan. Unsere Forderung mit «Einspruch» war: Innehalten, gemeinsam nachdenken und prüfen, ob diese permanente Reformeuphorie der Schule wirklich einen Fortschritt oder eher Rückschritte beschert hat. Wir verlangten also einen echten öffentlichen Diskurs.

Eigentlich wissen die Menschen in der Schweiz, dass unsere Schulen sehr erfolgreich waren und wesentlich zu unserem heutigen Wohlstand beigetragen haben. Gerade deshalb fragen sich viele, wer eigentlich diesen immensen Druck zu immer neuen Umwälzungen in unseren Bildungsinstitutionen aufsetzt und notorisch aufrechterhält. Es erstaunt, dass Politik und Bildungsverwaltung fast unisono jeglicher «Reform» das Wort reden, als handle es sich um eine existentielle Zwangsläufigkeit. Erfahrene Pädagoginnen und Pädagogen wundern sich, wie es so weit kommen konnte, dass Bildung nur noch Sache von Experten sein soll. Es ist offensichtlich, dass Schulpflege und Bezirksschulrat, Gremien, die es jedem Bürger und jeder Bürgerin erlauben, sich für die Volksschule zu engagieren, mit der Einführung der «professionellen» Schulleitungen marginalisiert worden sind. Das hohe «Ethos der Schule», das die OECD-Experten bei ihrem ersten Länderexamen 1989 in ihrem Bericht beschrieben, ist seit dieser Professionalisierung radikal in Frage gestellt. Zwischenzeitlich verstehen immer weniger Eltern, was in den Schulzimmern wirklich geschieht. Ein allgemeines Unbehagen breitet sich aus, Väter, Mütter und Grosseltern müssen immer häufiger an Abenden und Wochenenden mit ihren Kindern Schulstoff nacharbeiten und erleben, dass bei ihren Kindern die Begeisterung fürs Lernen und «In-die-Schule-Gehen» zusehends schon nach kurzer Zeit versiegt. Immer mehr Eltern sehen sich gezwungen, ihren Kindern privaten Nachhilfeunterricht zu ermöglichen – dies zumeist unter grossen finanziellen Opfern – oder sie auf Privatschulen zu geben. Kinderärzte sprechen von «Burnout» schon bei Unterstufenschülern. In Radiosendungen wird über die Frage diskutiert, ob die öffentliche Schule noch das Vertrauen der Eltern geniesst oder nicht. Solche Indizien weisen darauf hin, dass die top-down aufoktroyierten «Reformen» unseren Kindern zum Teil schwer zusetzen statt ihrer Entwicklung zu dienen.
In dieser neuen Ausgabe von «Einspruch» wollen wir die «Betroffenen» zu Wort kommen lassen. Sie sprechen im Namen vieler ebenfalls in Not geratener Familien. Nicht überall zeigen sich unerfreuliche Phänomene in der gleichen Weise. Das hat vor allem damit zu tun, dass nicht alle Schulleitungen die verordneten «Reformen» mit derselben Beflissenheit in ihren Kollegien implementieren. Doch die meisten persönlichen Berichte ähneln sich. Sie zeigen, dass sehr vieles in Schule und Unterricht heute völlig anderen didaktischen und inhaltlichen Grundsätzen folgt als noch vor wenigen Jahren. Aufgrund des geschwundenen Einblicks in die Schule, der heute nur noch den «Experten» vorbehalten ist, ziehen viele Eltern notgedrungen den Schluss, die Probleme ihrer Kinder würden auf Defizite ihrer Erziehung oder in der Persönlichkeit ihres Kindes hinweisen.
Die Schilderungen von Eltern als Zeitzeugen werden in dieser Broschüre durch Aussagen verschiedener kritischer Experten aus Heilpädagogik, Kinder- und Jugendmedizin ergänzt. Es kommen auch Vertreter der Lehrerschaft bzw. Lehrerverbände, der Berufsausbildung, Erziehungswissenschaft und Lehrerbildung zu Wort. So lassen sich die Vorgänge differenzierter einordnen, und es kann besser beurteilt werden, was heute eigentlich wirklich schiefläuft.
Eine düstere Seite der Reformen an den Schulen sind die Methoden, mit denen versucht wird, alle Beteiligten auf den ideologisch «richtigen» Weg zu trimmen. Mit teils sehr subtilen, aber klar manipulativen Techniken, die vorwiegend der Betriebswirtschafts- bzw. Managementlehre entlehnt sind, wird ein offener Diskurs sowohl in den Institutionen als auch in der Öffentlichkeit gezielt unterbunden. Professionelle Steuerungsmechanismen führen zu einem allgemeinen Klima kleinlauten Schweigens und des Rückzugs ins Private, sodass jedermann versucht, mit der Situation selber fertig zu werden. Dieser bedenkliche Zustand manifestiert sich u. a. darin, dass viele Eltern und Lehrpersonen, die in dieser Broschüre zu Wort kommen, nicht offen sprechen können oder wollen. Aus Angst vor Repressionen, Stigmatisierungen und Nachteilen für Kinder und Familie haben sie zumeist die Anonymität gewählt – dies sehr ungern. Allein dieser Umstand sollte ein Alarmzeichen für jeden demokratisch gesinnten Menschen in unserem Land sein.

Beat Kissling, Alain Pichard, Yasemin Dinekli (Herausgeber)

Bestellungen bei: Alain Pichard, <link>arkadi@bluemail.ch  oder Yasemin Dinekli, <link>yasemin.kanele@web.de. Fr 7.– pro Broschüre plus Versandkosten, ab 10 Exemplaren Fr. 5.–/Ex. (7.– Euro pro Broschüre plus Versandkosten, ab 10 Exemplaren 5 Euro/Ex.)

«Dieser Bericht über einen langen, aber letztendlich erfolgreichen Widerstand gegen behördliche Willkür und Vertuschungsversuche soll auch anderen Eltern Mut machen, ihre Schule nicht einfach so aus den Händen zu geben.»

Nicole Fuchs und Susanne Weigelt. Den politischen Weg wagen. Einspruch! 2, S. 10

«Die Schlüsselexperten in diesem System sind genau diese Berater. Jeder Minister hat seine Berater. Der ‹politische Berater› gilt heutzutage als eine spezielle Karriere. Häufig sind die Berater zuerst in Think Tanks beschäftigt, die stark in den Reformprozess involviert sind. Es handelt sich bei den Think Tanks normalerweise um kleine Gruppen, die eine klare politische Position vertreten und diese dann über diese Berater und über andere Netzwerke in die Regierungen einspeisen. Sie sind demokratisch nicht kontrolliert oder jemandem Rechenschaft schuldig. Somit sieht man, es handelt sich um eine massive Änderung der gesamten politischen Struktur und der Regierungstätigkeit. Ich sage es nochmals, es ist ein Entdemokratisierungsvorgang»

Stephen Ball, Die Transformation von Bildung und Demokratie. Einspruch, S. 51

«Öffentliche Bildungseinrichtungen in der Demokratie haben sich nicht einem gott- oder marktgegebenen ‹Wandel› anzupassen, sondern diesen kritisch zu reflektieren und womöglich Widerstand dagegen zu leisten.»

Jochen Krautz. Imperative des «Wandels». Einspruch! 2, S. 44.

«‹Das ist eine Verschwörungstheorie, Herr Pichard. Flächendeckende Tests wird es nicht geben. Es gibt nur einzelne Stichproben, um zu prüfen, wie der Bildungsstand der Lernenden ist.›

(Bildungsdirektor Eymann, Basel-Stadt in der ‹Basler Zeitung› vom 30.4.2015)

Faktencheck: In der Nordwestschweiz (BS, BL, AG) werden flächendeckende Tests durchgeführt.»

Einspruch! 2, S. 60

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