Direkte Demokratie ist kein Computerspiel

Direkte Demokratie ist kein Computerspiel

Start der Eidgenössischen Volksinitiative  «Für eine sichere und vertrauenswürdige Demokratie (E-Voting-Moratorium)»

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Nach jahrelangen Versuchen in verschiedenen Kantonen und Gemeinden liegt es auf dem Tisch: E-Voting hat sich in jeder Beziehung als untauglich erwiesen. Nichtsdestotrotz beharrt der Bundesrat seit zwei Jahren auf der flächendeckenden Einführung von E-Voting.1 Im Juni 2018 erklärte er, nach Ansicht seiner Expertengruppe könne die elektronische Stimmabgabe «als sicherer und vertrauenswürdiger Stimmkanal ausgebaut werden», ja, er sprach von «über 200 erfolgreichen Versuchen»2 im Land und ging mit keinem Wort auf die zahlreichen schwerwiegenden Pannen ein, auf Grund derer verschiedene Software aus dem Verkehr gezogen werden musste und viele Kantone E-Voting wieder abgeschafft oder gar nicht eingeführt haben. Auch die vielen kritischen Vernehmlassungsantworten vom Herbst 2018 konnten den Bundesrat nicht zur Einsicht bringen.
Um diesem Tun in Bundesbern Einhalt zu gebieten, ist am 16. März 2019 die Unterschriftensammlung zur Volksinitiative für ein E-Voting-Moratorium gestartet worden.
Bei herrlichstem Frühlingswetter versammelte sich das Initiativkomitee beim Torbogen auf dem Bahnhofplatz Luzern zum «Kick-off-Event»: eine aufgestellte und hochmotivierte Truppe von Politikern quer über die Parteien und anderen Bürgern, die meisten aus der IT-Branche, fast alle unter 30.
Es liegt nun an uns Bürgerinnen und Bürgern, die Initiative bekanntzumachen: 100 000 Unterschriften zu sammeln, bedeutet Hunderttausende Gespräche von Mensch zu Mensch.
Im folgenden lesen Sie neben dem Initiativtext und den wesentlichen Argumenten für die Initiative die Aufzeichnung meiner Gespräche mit dem Präsidenten des Initiativkomitees, Nationalrat Franz Grüter (SVP LU), und mit Hernani Marques vom Chaos Computer Club Schweiz sowie Stellungnahmen der Komitee-Mitglieder Jonas Ineichen, Vizepräsident Juso LU, und Simon Schlauri, Kantonsrat Grünliberale (GLP ZH).

«E-Voting den Stecker ziehen!»

Mit diesem Slogan treten die Initianten an die Öffentlichkeit. Die Initiative verlangt ein sofortiges Verbot der elektronischen Stimmabgabe in Bund, Kantonen und Gemeinden nach einem Ja des Souveräns (Artikel 39 Abs. 1bis neu und Abs. 1 der Übergangsbestimmung). Frühestens nach einem fünfjährigen Moratorium kann die Bundesversammlung das Verbot durch ein Bundesgesetz – das dem fakultativem Referendum untersteht – aufheben (Abs. 3 der Übergangsbestimmung). Dies allerdings nur unter strengen Bedingungen: Es müsste gewährleistet sein, dass mindestens die gleiche Sicherheit gegen Manipulationshandlungen besteht wie bei der handschriftlichen Stimmabgabe (Abs. 2 der Übergangsbestimmung). Die genauen Voraussetzungen für eine Aufhebung des E-Voting-Verbots zählt der Initiativtext in Absatz 2 lit. a–c der Übergangsbestimmung auf.

Demokratie braucht Vertrauen

Dies ist der Massstab, an dem das Initiativkomitee die elektronische Stimmabgabe misst und schliesslich verwirft. Denn die Stimmzettel aus Papier werden durch ein Team von Angehörigen der verschiedenen politischen Parteien und anderen Bürgern mindestens doppelt ausgezählt und dann bei den Gemeinden versiegelt und gelagert. Bei Bedarf können sie jederzeit nachgezählt werden. Die elektronisch abgegebene Stimme dagegen «versinkt in einem digitalen Speichermeer von Bytes und Bits – nur ein paar wenige Spezialisten verstehen, wie die Stimmen ausgezählt werden. Der Souverän kann die Abläufe gar nicht verstehen, das Vertrauen geht verloren.»3

Vertrauen in die Stimmenzähler – ein Beispiel

Die Stimmberechtigten in Solothurn haben am 10. Februar ganz knapp, mit 2201 Nein zu 2192 Ja, die Einführung eines Gemeindeparlaments abgelehnt (damit bleibt die Stadt Solothurn mit ihren 16 000 Einwohnern eine der wenigen Schweizer Städte mit einer Gemeindeversammlung). Im Kanton Zürich zum Beispiel müsste laut Tagespresse bei einem so knappen Entscheid (9 Stimmen Unterschied) zwingend eine Nachzählung stattfinden. In Solothurn dagegen hat das Pro-Komitee keine Nachzählung gefordert, «nachdem die Stadtkanzlei versichert habe, es sei dreimal ausgezählt worden. Heraus kam jedes Mal ein Nein, zweimal mit 9 Stimmen Differenz, einmal mit 15». («Neue Zürcher Zeitung» vom 11.2.2019)
So gross ist das Vertrauen der Schweizer Bevölkerung in die Demokratie und in ihre Gemeindeverwaltung – diese Kostbarkeit dürfen wir uns nicht durch ein zentralisiertes und entpersönlichtes System zerstören lassen.    •

1    Medienmitteilung des Bundesrates vom 5. April 2017. Siehe dazu «Warum E-Voting schlecht zur direkten Demokratie passt» von Dr. iur. Marianne Wüthrich, Zeit-Fragen Nr. 11 vom 9. Mai 2017 [<link de ausgaben nr-11-9-mai-2017 warum-e-voting-schlecht-zur-direkten-demokratie-passt.html>www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2017/nr-11-9-mai-2017/warum-e-voting-schlecht-zur-direkten-demokratie-passt.html]
2    «E-Voting als ordentlicher Stimmkanal: Bundesrat plant Vernehmlassung für Herbst 2018». Medienmitteilung des Bundesrates vom 27.06.2018
3    Eidgenössische Volksinitiative «Für eine sichere und vertrauenswürdige Demokratie (E-Voting-Moratorium)». Argumentarium vom Januar 2019, S. 5 (<link https: e-voting-moratorium.ch wp-content uploads argumentarium_e-voting-moratorium_def.pdf external-link seite:>e-voting-moratorium.ch/wp-content/uploads/Argumentarium_E-Voting-Moratorium_def.pdf). Im folgenden zitiert als: Argumentarium

Eidgenössische Volksinitiative «Für eine sichere und vertrauenswürdige Demokratie (E-Voting-Moratorium)»

Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:
Art. 39 Abs. 1bis
Die Verwendung elektronischer Verfahren zur Stimmabgabe ist verboten.
Art. 197 Ziff. 12
12. Übergangsbestimmung zu Art. 39 Abs. 1bis (Verwendung elektronischer Verfahren zur Stimmabgabe)
1 Artikel 39 Absatz 1bis tritt mit der Annahme durch Volk und Stände in Kraft; mit der Annahme sind sämtliche Bestimmungen des kantonalen Rechts und des Bundesrechts über elektronische Verfahren zur Stimmabgabe nicht mehr anwendbar.
2 Die Bundesversammlung kann das Verbot durch Bundesgesetz aufheben, wenn gewährleistet ist, dass mindestens die gleiche Sicherheit gegen Manipulationshandlungen wie bei der handschriftlichen Stimmabgabe besteht, namentlich wenn unter Wahrung des Stimmgeheimnisses:
a.    die wesentlichen Schritte der elektronischen Stimmabgabe von den Stimmberechtigten ohne besondere Sachkenntnis überprüft werden können;
b.    sämtliche Stimmen so gezählt werden, wie sie gemäss dem freien und wirklichen Willen der Stimmberechtigten und von aussen unbeeinflusst abgegeben wurden; und
c.    die Teilergebnisse der elektronischen Stimmabgabe eindeutig und unverfälscht ermittelt sowie nötigenfalls in Nachzählungen ohne besondere Sachkenntnis zuverlässig überprüft werden können, so dass ausgeschlossen ist, dass Teilergebnisse anerkannt werden, die nicht den Anforderungen nach den Buchstaben a und b entsprechen.
3 Die Bundesversammlung kann das Verbot frühestens fünf Jahre nach dessen Inkrafttreten aufheben.

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