zf. Die Corona-Pandemie hat kein Land verschont. Auch Russland ist betroffen. Aber in vielen unserer Medien wurde die Linie, am Feindbild Russland festzuhalten, leider auch jetzt noch nicht korrigiert. Zwei Berichte von in Russland lebenden Deutschen helfen vielleicht, manch ein Vorurteil zu korrigieren. Die beiden Augenzeugenberichte sind vom 20. und 25. März 2020. In der Zwischenzeit hat sich auch die Situation in Russland verschlechtert, und die russische Regierung und die zuständigen regionalen und lokalen Stellen haben weitergehende Massnahmen ergriffen, die den jetzigen in unseren Ländern sehr ähneln.
Ich, Siegfried Wilhelm, lebe seit über zehn Jahren in Russland und verfolge aufmerksam die Ereignisse.
Gegen Anfang Januar diesen Jahres wurde in den Nachrichtensendungen im russischen Fernsehen von einer neuartigen möglichen Virusepidemie gesprochen, die ihren Ursprung in Wuhan hatte. Gleich darauf wurden Kontrollen an den Grenzübergängen eingerichtet: Jeder aus der Region Wuhan, später aus China allgemein ankommende Reisende wurde mit Thermokameras getestet und bei Verdacht, also bei erhöhter Körpertemperatur, in eine Isolierstation eingewiesen.
Dann wurden Übergangsstellen geschlossen, und der Flugverkehr mit China wurde binnen einer Woche komplett eingestellt. An den Flughäfen wurden Isolierräume eingerichtet, Reisende mit Infektionsverdacht wurden in Infektionskliniken eingewiesen, teils wurden diese auch erst eingerichtet, so in Sanatorien und ähnlichen Einrichtungen, unter anderem in der Region Tjumen.
Die Corona-Nachrichten nehmen gefühlt rund 75 % der Nachrichtensendungen in russischen TV-Stationen ein. Wer auf sich hält, geht nur mit Mundschutz auf die Strasse, wobei diese Masken inzwischen auch rar geworden sind. Russland hatte noch im Januar eine Million Masken als Soforthilfe nach China geschickt. Das war zwar nur der berühmte Tropfen auf dem heissen Stein, aber immerhin.
Was mir in der Zeit besonders aufgefallen ist: Die öffentlichen Verkehrsmittel und öffentliche Einrichtungen wie Metro-Stationen wurden mit Desinfektionsmittel behandelt. Konkret wurde in den Nachrichten gezeigt, wie Handläufe in der Moskauer Metro desinfiziert worden sind. Ich fand das ungewöhnlich, es soll – laut den Nachrichten – auch bei den Bussen usw. geschehen sein, allein, ich kann es nicht bestätigen, denn ich habe es selbst nicht gesehen.
Ansonsten sind die Massnahmen gegen die Verbreitung des Virus regionale Angelegenheit. Die Gouverneure der einzelnen Oblaste bzw. Regierungschefs der Republiken haben vor Ort zu entscheiden, was zu tun ist. Am 16. März 2020 wurde im Fernsehen berichtet, dass bei der Regierung ein Expertenteam gegründet worden ist, zu dem Fachärzte, föderale und regionale Vertreter des Gesundheitswesens und andere Fachleute gehören. Etliche Regionen, in denen es zu Infektionen gekommen ist, wurden zu Schwerpunktgebieten erklärt, wozu übrigens auch Nishnij Nowgorod wegen eines aus Italien «importierten» Falles gehört. Besser übertrieben viel tun als nur etwas zu wenig. Der Erfolg gibt dieser Politik recht: Bei uns in Nishnij Nowgorod gibt es zurzeit nur zwei Infektionsfälle, davon kam einer aus Italien zurück, einer aus Deutschland.
Insgesamt waren es in Russland über mehrere Wochen hinweg ganze zwei Dutzend Infizierte, in dieser Woche gab es einen gewaltigen Anstieg, so dass zurzeit von 219 Betroffenen geredet wird, bis dato ein Todesfall (Stand 17. März 2020). Die Zunahme der Infizierten hat konkrete Ursachen – nach wie vor betrifft es Rückkehrer aus dem Ausland, in erster Linie Urlauber aus Österreich, speziell Tirol, oder aus anderen Alpenregionen, speziell Courchevel – dem Wintersportparadies derjenigen, die nicht zur untersten Schicht der Bevölkerung gehören. Die Rückkehrer werden aufgefordert, für 14 Tage in Quarantäne zu Hause zu bleiben, was, bis auf Ausnahmen, allgemein eingehalten wird.
Versorgungsengpässe gibt es – trotz einiger Unkenrufe – nicht.
Inwiefern militärisches Sanitätspersonal in die Aktionen gegen das Virus eingebunden ist, wie von Bekannten angedeutet, kann ich nicht sagen. Ausgeschlossen ist es keinesfalls, aber das muss jeweils vor Ort entschieden werden. Wer jetzt aus China oder den Ländern der EU und Skandinaviens (Schweiz auch) nach Moskau einreist (das geht nur noch über den Flughafen Scheremetjewo, der Bahnverkehr ist eingestellt), muss zunächst für zwei Wochen in Quarantäne, die notfalls auch zu Hause erfolgen kann. Schulen und Universitäten sind bis zum 12. April geschlossen, Kindergärten arbeiten mit verminderter Kapazität. Dort werden nur Kinder von Leuten aufgenommen, die in sozialen Schwerpunktbereichen zu tun haben (medizinischer Bereich, Pflegepersonal, Bus-/Tramfahrer). Die Läden sind normal geöffnet und normal gefüllt.
Siegfried Wilhelm,
Nishnij Nowgorod, 20. März 2020
In Russland geht das Leben noch immer weitgehend seinen gewohnten Gang. Zwar sind Theater geschlossen, Konzerte und Sportveranstaltungen abgesagt und Versammlungen von mehr als 50 Menschen verboten, aber ansonsten merkt man in Russland im Alltag kaum etwas von dem Virus. Russland hat bei fast 200 000 durchgeführten Tests nur knapp 650 Infektionen. Das liegt in erster Linie daran, dass Russland sehr schnell reagiert und unter anderem seine Grenzen geschlossen hat. Aus dem Ausland heimkehrende Russen (Russland hat in den letzten zehn Tagen mit Sonderflügen über 40 000 Russen aus dem Ausland nach Hause geholt) müssen zwei Wochen in häusliche Quarantäne.
Aber nun steigt die Zahl der Infizierten auch in Russland immer schneller. Waren es gestern noch unter 500, sind es heute schon über 650. Zur Erinnerung: Als Deutschland Anfang März diese Zahl an Infizierten hatte, gab es noch praktisch keine Massnahmen der deutschen Regierung. Übrigens hat Russland heute auch die ersten zwei Todesfälle durch das Corona-Virus gemeldet.
Heute hat Präsident Putin sich in einer Fernsehansprache an die Russen gewandt und die Massnahmen verkündet, die ab Samstag, 28.3.2020, in Russland gelten werden. Dazu gehört auch, dass die Volksabstimmung über die geplante Verfassungsreform, die Ende April stattfinden sollte, auf unbestimmte Zeit verschoben wird.
Ab Samstag wird die Arbeit in Russland weitgehend eingestellt, es gelten Regeln wie an Feiertagen, das bedeutet, dass die Menschen nicht zur Arbeit gehen, aber das Gehalt weitergezahlt wird. Allerdings werden Geschäfte, Banken, Versicherungen, Behörden und der ÖPNV weiter arbeiten.
Die Regelung gilt vom 28. März bis zum 5. April 2020, wobei ich aber davon ausgehe, dass sie dann – je nach Entwicklung der Neuinfektionen – verlängert oder sogar verschärft wird.
Putin macht sich auch keine Illusionen, dass Russland von der Epidemie verschont bleibt. Er sagte es ganz deutlich: «Die arbeitsfreien Tage sind mit dem Ziel beschlossen worden, die Verbreitung der Krankheit zu verlangsamen.»
Auch in Russland ist man sich darüber klar, dass man die Krankheit nicht aufhalten, sondern ihre Verbreitung höchstens hinauszögern kann. Übrigens ist es bemerkenswert, dass ich in Russland noch keine leeren Regale in den Geschäften gesehen habe. Es gibt zwar entsprechende Videos aus Russland, aber ich war gestern einkaufen, und zumindest in meinem Supermarkt um die Ecke war alles vorhanden, die Regale waren voll.
In seiner Ansprache hat Putin ein Programm zur Unterstützung von Menschen und Wirtschaft angekündigt. So sollen alle Sozialleistungen, die die Menschen erhalten, pauschal um sechs Monate verlängert werden, ohne dass man dafür die üblichen Anträge oder Dokumente vorlegen muss. Ausserdem soll für drei Monate eine Art Sonderkindergeld in Höhe von 5000 Rubel (etwa 60 Euro) monatlich ausgezahlt werden. Und auch die von Putin im Januar angekündigte Erhöhung der Familienförderung, die ab Juli ausgezahlt werden sollte, wird nun um einen Monat vorgezogen und schon ab Juni ausbezahlt. Da diese Gelder rückwirkend ab Januar bezahlt werden, bekommen Familien mit Kindern im Juni eine durchaus ansehnliche Summe ausbezahlt.
Ausserdem soll das Krankengeld nun anders berechnet und erhöht werden. In Russ-land wird Krankengeld mit einer Formel berechnet, in die die Höhe des Lohnes und die Berufsjahre einfliessen, was dazu führt, dass das Krankengeld für junge Leute oft sehr niedrig ist. Das soll nun erhöht werden und darf nicht mehr unter dem Mindestlohn liegen. Auch das Arbeitslosengeld wird um die Hälfte erhöht, da in diesen Tagen auch in Russland Leute den Job verlieren und es natürlich zumindest im Moment fast unmöglich ist, eine neue Arbeit zu finden.
Auch bei Krediten wird es Hilfen geben. Wenn das Einkommen eines Menschen um 30 oder mehr Prozent zurückgeht, sind die Banken angewiesen, die Raten für Kredite zu stunden. Das gilt für jede Art von Privatkrediten, seien es Konsumentenkredite oder Hypotheken.
Kleine und mittlere Unternehmen müssen sechs Monate lang ausser der Mehrwertsteuer keine Steuern abführen. Gleiches gilt für die Beiträge zur Sozialversicherung, die in Russland – anders als in Deutschland – alleine der Arbeitgeber zahlt. Zusätzlich werden die Beiträge zu den Sozialversicherungen pauschal halbiert, bisher betrugen sie 30 %, ab sofort nur noch 15 %. Diese Massnahme gilt unbefristet. Um zu verhindern, dass Firmen wegen der Krise pleite gehen, sollen für sechs Monate keine Aussenstände gerichtlich eingetrieben werden dürfen.
Aber Russland nutzt die Situation auch, um andere Steuern zu erhöhen. Es geht dabei um Gelder, die in Form von Dividenden und Gewinnausschüttungen aus Russland abfliessen. Darauf wurden bisher nur zwei Prozent Steuern fällig. In Russland beträgt die Einkommenssteuer pauschal 13 %, daher soll auf Gewinne, die ins Ausland transferiert werden, ab sofort eine 15 %ige Steuer fällig werden. Das berührt jedoch in vielen Fällen Doppelbesteuerungsabkommen mit anderen Ländern. Putin sagte dazu: «Sollten unsere ausländischen Partner unsere diesbezüglichen Vorschläge nicht annehmen, steigen wir aus den Doppelbesteuerungsabkommen mit diesen Ländern aus.»
Zur zweiten neuen Steuer sagte Putin: «In vielen Ländern der Welt unterliegen die Zins-erträge von Einzelpersonen aus Bankeinlagen und Wertpapieren der Einkommensteuer. Wir besteuern solche Einkünfte nicht. Ich schlage vor, für Bürger, deren Gesamtvolumen von Bankeinlagen oder Investitionen in Schuldverschreibungen eine Million Rubel (etwa 12 500 Euro) übersteigt, eine Steuer auf Zinserträge von 13 % festzulegen. Das heisst, ich wiederhole es, nicht der Beitrag selbst, sondern nur die Zinsen, die aus solchen Investitionen erhalten werden, werden als Einkommen von Einzelpersonen besteuert.» Die Mehreinnahmen aus diesen Massnahmen sollen zur Gegenfinanzierung der Sozialleistungen herangezogen werden.
Thomas Röper,
St. Petersburg, 25. März 2020
Quelle: https://www.anti-spiegel.ru/2020/fernsehansprache-von-putin-zum-coronavirus-welche-massnahmen-die-russische-regierung-ergreift/ vom 25.3.2020
Russland schickt im Kampf gegen die Corona-Pandemie Hilfsgüter in die USA. Der Nachrichtenagentur Interfax zufolge sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow, Präsident Wladimir Putin habe die Hilfe angesichts der schrecklichen Situation in den USA angeboten. US-Präsident Donald Trump habe sie angenommen. Ein Flugzeug mit medizinischer Ausrüstung solle noch am selben Tag starten. Russland unterstützt damit zum zweiten Mal in der Corona-Krise ein Nato-Land. Zuvor hatte es bereits medizinische und personelle Hilfe nach Italien geschickt.
Quelle: https://www.mdr.de/nachrichten/panorama/ticker-corona-virus-dienstag-einunddreissigster-maerz-100.html vom 31.3.2020
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