15 Jahre «BioKräuterei Oberhavel» – ein Erfolgsmodell

Interview mit Traudel und Matthias Anders

Zeit-Fragen: Sie und Ihre Frau sind die Gründer der «BioKräuterei Oberhavel». Wie kommen zwei Lehrer, die ja rein zeitlich schon in ihrem Beruf voll ausgelastet sind, dazu, noch eine funktionierende Landwirtschaft aufzubauen und zu unterhalten?
Matthias und Traudel Anders: 2006 gründeten wir die BioKräuterei mit einer nicht so scharfen Vorstellung. Als Lehrer im Berufsschulbereich sahen wir viele Auszubildende, die im Rahmen der dualen Ausbildung anstatt in einem Betrieb in einer sogenannten staatlich unterstützten Massnahme untergebracht waren und als Auszubildende zweiter Klasse behandelt wurden. Die Produkte dieser Massnahme mussten sich nicht gegenüber den Kunden behaupten, und das Anforderungsniveau bewegte sich auf dem unteren Level. Das verstärkte bei vielen Auszubildenden die Entmutigung, und wir wollten mit einer Ausbildungsstätte im «Echtzeit-Modus» junge Menschen unterstützen.
  Darüber hinaus empfanden wir die Situation im Bildungswesen oft als unbefriedigend, da viele bürokratische Massnahmen vom eigentlichen Bildungsgeschehen ablenkten. Hier eine sinnvolle Alternative aufzubauen, fanden wir eher entlastend.
  Gleichzeitig sahen wir, dass es in Brandenburg kaum kleinbäuerliche Betriebe gab. Eine grossflächige industrielle Landwirtschaft hatte und hat eindeutig überhandgenommen. Da wir nur wenig Kapital zur Verfügung hatten und uns nicht verschulden wollten, entschlossen wir uns, mit einem hochwertigen ökologischen Kräuteranbau zu starten.

Sie sind heute mehr als nur ein Einzelbetrieb. Wie ist die BioKräuterei aufgebaut, wie gross ist sie, wieviel Beschäftigte haben Sie? Was gehört organisatorisch alles dazu?
2006 haben wir zwei Hektar Land gekauft und den Betrieb als landwirtschaftliches Einzelunternehmen angemeldet. Mittlerweile bewirtschaften wir sieben Hektar und beschäftigen fünf Gärtnerinnen und Gärtner, zwei Auszubildende und drei Teilzeitkräfte. 2012 gründeten wir eine Genossenschaft, die «BioAnbau Oberhavel eG». Mit dem Genossenschaftskapital konnten wir zwei Gewächshäuser bauen, um unsere eigenen Jungpflanzen zu produzieren. Die BioKräuterei mietet die Gewächshäuser von der Genossenschaft, die mittlerweile 100 Mitglieder hat. Die Gründung eines landwirtschaftlichen Betriebes war und ist auch Voraussetzung dafür, dass Ackerflächen eingezäunt, Brunnen gebohrt und kleinere Gebäude sowie Bauwagen aufgestellt werden durften. Schon relativ bald wurden wir aufgefordert, steuerlich einen Gewinn vorzuweisen, um die Einstufung als landwirtschaftlicher Betrieb nicht zu verlieren. Mit Hilfe von zunächst vielen ehrenamtlichen Helfern und einer aufeinander zugeschnittenen Produktions- und Vermarktungsstrategie gelang es, dass der Betrieb sich langsam selbst trug und dass weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt werden konnten.

Sie tragen das Wort «Bio» im Namen, darüber hinaus arbeiten Sie nach den Methoden der «Regenerativen Landwirtschaft». Was muss man sich darunter vorstellen und woher kommt diese? 
Von Anfang an haben wir uns einem ökologischen Anbauverband von kleineren Betrieben in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern angeschlossen. Die wenigen kleinbäuerlichen Betriebe, die es in Brandenburg gibt, sind meistens ökologisch zertifizierte Betriebe. Gleichzeitig haben wir uns nach den EU-Richtlinien Bio-zertifizieren lassen. Nach der Starkregenkatastrophe von 2017 haben wir uns intensiv mit der Regenerativen Landwirtschaft befasst, da unsere Böden unter dem Hochwasser sehr gelitten haben. Bis zu einem halben Jahr standen damals die Böden unter einer 20 bis 30 cm hohen Wasserschicht, was zur Folge hatte, dass das gesamte Bodenleben inklusive Regenwürmern schwer geschädigt wurde. Ein so geschädigter Boden ist nicht in der Lage, den Kulturpflanzen für ihr Wachstum ausreichend Nährstoffe zu geben.
  Mit der biologischen Landwirtschaft, die wir seit Betriebsgründung betrieben haben, haben wir eine hohe Biodiversität gepflegt und keine mineralischen Dünger und chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Den Humusaufbau des kargen Brandenburger Bodens sind wir mit Gründüngung, Kompostgaben und anderen zugelassenen organischen Düngern angegangen. Das Starkregenereignis 2017 (300 Liter Regen pro Quadratmeter in 24 Stunden) zeigte uns zweierlei: Einerseits wurde der Boden in seiner Struktur durch die «Wasserwalze» stark geschädigt, andererseits waren diese Schädigungen in den dicht bewachsenen Gründüngungsflächen deutlich geringer. Es zeigte uns aber auch, dass wir es mit der bisherigen Anbauweise nicht geschafft hatten, den Boden optimal aufzubauen. Das bezog sich nicht nur auf seine Fähigkeit, Wasser durchzulassen, sondern auch auf den Unkrautdruck, die Bodenstruktur und weiteres.

Sie haben dann mit Regenerativer Landwirtschaft begonnen. Können Sie kurz erläutern, was sich der Laie darunter vorstellen muss?
Die Regenerative Landwirtschaft ist eine Anbauweise, die vor allem aus der angelsächsischen Landwirtschaft (W. Albrecht, N. Kinsey, C. Jones, E.R. Ingham und andere) nach Europa gekommen ist, die hier allerdings auch Vorreiter hatte (A. Thaer, A. Petersen, E. Henning und andere). Für ihre Verbreitung und weitere Entwicklung hier haben vor allen Dingen Dietmar Näser, Friedrich Wenz und Ingrid Hörner gesorgt.
  2016 hatten wir bei einer Fortbildung auf einem Biohof-Feldtag in einem Kurs zur Regenerativen Landwirtschaft Dietmar Näser kennengelernt. Die Regenerative Landwirtschaft nimmt vor allen Dingen das Bodenleben und die Bodenstruktur in den Fokus, also genau das, was nach der Starkregenkatastrophe bei uns deutlich geschädigt war. Die Regenerative Landwirtschaft geht in diesen Punkten über einen «normalen» biologischen Anbau hinaus, obwohl im Bioanbau auch Ansätze dafür vorhanden sind. Das konsequente Einbeziehen des Bodenlebens und der Einbezug der Wechselwirkung zwischen Pflanzenwurzeln und deren mikrobiellen Partnern im Boden sind das Markenzeichen der Regenerativen Landwirtschaft und zeigen zugleich ihr Potential. Um eine Pflanze erfolgreich zu ernähren, wird gezielt das Bodenleben aktiviert, das dann wiederum die Pflanze ernährt. Der Boden ist somit kein leeres Gefäss, in das «hineingedüngt» wird, was die Pflanze laut Nährstoffanalyse entnimmt. Überdüngung und Pflanzenkrankheiten können so vermieden werden, eine Humusschicht kann besser aufgebaut und die Wasserhaltefähigkeit erhöht werden. Der Humusaufbau geht immer auch einher mit der Bindung von CO2 im Boden. Darüber hinaus wird so auch der Gehalt von gesundheitsfördernden Mineralstoffen und anderen sekundären Pflanzenstoffen in der Pflanze erhöht.
  2018 hatten wir nach der ersten Anwendung dieser Herangehensweise eine Rekordernte. Die trocknen Sommer in den darauffolgenden Jahren stellen uns vor weitere Herausforderungen, und wir sind froh, dass wir die Bodenverhältnisse verbessern konnten.

Worin besteht denn der Unterschied zur traditionellen Behandlung und Bearbeitung des Bodens mit Düngemitteln, wie sie der deutsche Chemiker Justus von Liebig entwickelt hatte?
Die Düngung nach Liebig betrachtet nur die mineralischen Nährstoffverhältnisse im Boden («Gesetz des Minimums»), das heisst, die fehlenden Nährstoffe werden zugeführt. Die Betrachtung des Bodenlebens spielt dabei keine Rolle. Dies führt aber längerfristig leider in vielen Fällen (siehe oben) zum Abbau der Humusschicht und erhöht die Anfälligkeit der Pflanzen gegenüber Schädlingen.

Auf welchen Wegen vertreiben Sie Ihre Produkte?
Im nahen Berlin boten wir zunächst unsere Produkte – Kräuter, Wildkräuter, essbare Blüten – auf drei Berliner Wochenmärkten interessiertem Marktpublikum an. Die Marktkunden schätzen bis heute unser inzwischen erweitertes Sortiment. Die anfängliche Belieferung des Biogrosshandels erbrachte zu wenig Wertschöpfung; angesichts unserer hohen Biodiversität von 140 Kulturen war der Grosshandel kein geeigneter Partner. Wir erweiterten dann die Lieferung an einzelne Bioläden, Bioketten und die gehobene Gastronomie. Dies war erfolgreich, war allerdings auch immer mit einem unbestimmten Abnahmevolumen verbunden und erforderte einen logistischen Aufwand. Daher entschlossen wir uns 2015, mit einer CSA (Community supported agriculture), auch SoLaWi (Solidarische Landwirtschaft) oder «Vertragslandwirtschaft» genannt, zu starten. Anfangs lieferten wir an 65 Abnehmer (Anteile), heute an 210 Abnehmer (Anteile). Zusammen mit der Belieferung der Märkte bildet das den Vertrieb unserer Produkte.

Was ist in Ihrem Verständnis gemeint mit «Solidarität»? In welcher weltanschaulichen Tradition sehen Sie sich mit diesem Begriff? Verstehen Sie sich als Teil der grünen Ökobewegung?
Die Idee der in Deutschland als «Solidarische Landwirtschaft» bezeichneten Vermarktungsweise geht auf eine japanische Initiative der 1960er Jahre zurück. Besorgte Mütter wollten ihren Kindern konventionelle, belastete Lebensmittel nicht länger zumuten. Sie trafen eine Vereinbarung mit einem Bauern, dem sie die Abnahme aller seiner Produkte garantierten, unter einer Bedingung: Er durfte keine synthetischen Pflanzenschutzmittel verwenden. Das erste «Teikei» (sinngemäss Partnerschaft-Kooperation) entstand so. Etwa zur gleichen Zeit entwickelten sich ähnliche Initiativen in Europa. 1978 gründete sich die Genossenschaft «Les Jardins de Cocagne» in Genf nach dem gleichen Prinzip und nannte sich «Vertragslandwirtschaft». 1985 erreichte die Idee die USA und Kanada sowie Grossbritannien, wo sie unter «Community Supported Agriculture» (CSA) bekannt wurde. In Frankreich gründete sich AMAP (Associations pour le maintien d’une agriculture paysanne) mit dem gleichen Ziel.
  Die Höfe und Einrichtungen sind nicht uniform, es gibt Genossenschaften, Vereine, Familienunternehmen, Einzelunternehmen und GbRs (Gesellschaften bürgerlichen Rechts). Grundlegend aber ist allen die Verbindung von Produzenten, Anbauern und Konsumenten. Die Konsumenten sind «solidarisch» mit den Produzenten, die Ernte wird geteilt, das heisst, Überschüsse werden verteilt, aber auch die Folgen einer Miss-ernte werden von den Konsumenten mitgetragen. Es geht also nicht um eine bestimmte Organisationsform, vielmehr «rücken Konsumenten wieder näher» an die in ihrer Umgebung beziehungsweise Region produzierten Nahrungsmittel heran, erfahren die Auswirkungen des erlebten Wetters hautnaher, lernen also, ihre Lebensmittel auch wieder mehr wertzuschätzen.
  Nach den Unwettern von 2017 hatten wir eine Missernte und die CSA/SoLaWi, unsere Genossenschaft und Freunde haben uns da sehr geholfen.
  Die Planung und Produktion für einen bereits vor der Saison feststehenden Teilnehmerkreis ist passgenau, und es wird so auch eine Überschusswirtschaft verhindert, die leider immer wieder in der Landwirtschaft anzutreffen ist.
  Die BioKräuterei ist insofern Teil einer «Bewegung», als sie mit vielen Menschen und Betrieben auf der Welt ein gemeinsames Anliegen verfolgt: für die Ernährung der Menschen gesunde Nahrungsmittel durch ressourcenschonenden Anbau umweltverträglich zu produzieren.

Die BioKräuterei arbeitet gänzlich ohne Pestizide und ohne synthetisch-chemische Düngung. Könnten Ihrer Meinung und Erfahrung nach auch grössere Betriebe mit der Methode der «Regenerativen Landwirtschaft» arbeiten? Ist das nicht etwas, was nur in Kleinbetrieben wie dem Ihren funktionieren kann?
Pestizide und «Chemie», wie die Begriffe gemeinhin verstanden werden, verwenden wir nicht; unser Ansatz ist es, Boden und Pflanzen zu stärken, damit sie zum Beispiel von Schadinsekten nicht befallen werden, beziehungsweise, wenn sie befallen wurden, diese abwehren können. Pflanzenkrankheiten und Schadinsektenbefall sind immer ein Indikator dafür, dass ein Mangel oder ein Überschuss zum Beispiel von Nitrat im Boden herrscht. So haben wir beispielsweise Kartoffelkäfer mit einer Tonmehllösung erfolgreich bekämpfen können. Es ist jedoch, wie in der Medizin auch, nicht immer nur ein Agens, der Verursacher oder das Heilmittel, sondern es müssen immer eine Reihe von Faktoren berücksichtigt werden, um die Pflanzengesundheit zu erzielen. Beispielweise müssen der Zustand des jeweiligen Bodens, also die Region, der Standort, die Vorgeschichte des Bodens und/oder das Wetter und damit das Klima einbezogen werden.
  Viele grössere Betriebe wenden sich bei uns – vor allen Dingen nach den letzten trockenen Sommerjahren – der Regenerativen Landwirtschaft zu. Wir haben Betriebe mit bis zu 5000 Hektar in Seminaren kennengelernt. Die Bodenermüdung ist durch herkömmliche Methoden der Düngung nicht mehr aufzuhalten, auch die zunehmende Resistenzentwicklung gegen Pestizide und Herbizide zwingt viele Landwirte zum Umdenken. Grundsätzlich ist es jedoch fraglich, ob die Probleme durch grosse Monokulturanbauweisen in den Griff zu bekommen sind. Der Weltagrarbericht von 2009 zeigt – übrigens unter Bezugnahme auf die Schweizer Strukturen – auf, dass die kleinbäuerliche Landwirtschaft produktiver, gesünder und vor allem nachhaltiger produziert als die Monokultur- und Grossplantagenwirtschaft. Damit ist die kleinbäuerliche Landwirtschaft wegweisend für die Welternährungssituation.

Wäre also Ihr Modell auch ein Modell, wie man gesamtgesellschaftlich irgendwann ohne «Chemie» auskommen könnte?
Eine hohe Biodiversität, der Aufbau von humusreichen Böden, Vermeidung von Überschusswirtschaft und von Monokulturen, die Produktion von nährstoffreichen Nahrungsmitteln kann den Einsatz von Pestiziden, so wie diese gemeinhin verstanden werden, überflüssig machen. So berichtet im übrigen auch das renommierte schweizerische FiBL (Forschungsinstitut für biologischen Landbau) in seiner Medienmitteilung vom 2. Juli 2019: «Rasche Erfolge bei der Reduktion der Pestizidbelastung sind möglich. Eine Zukunft ohne Belastung durch Pestizide braucht jedoch andere, aufwendige, aber realisierbare Lösungen im Agrarökosystem.» Die heutigen Techniken ermöglichen es «heute nicht nur dem biologischen Landbau, seine Verfahren zu verbessern, sondern auch ins Auge zu fassen, dass die gesamte Schweizer Landwirtschaft bis 2025 auf Herbizide verzichtet.» •

Unkräuter sind häufig Zeigerpflanzen, sie geben Hinweise auf den Zustand des Bodens: auf die Bodenverdichtung, auf das Bodenleben, auch auf das Fehlen bestimmter Mineralstoffe. So gelang es uns, durch bodenbelebende Massnahmen und Zugabe von Melasse (Zucker) ein zählebiges Unkraut (Quecke) zu vertreiben – sie hat süssschmeckende, also zuckerhaltige Wurzeln (!) –, zuvor hatten wir das zehn Jahre lang vergeblich mit mechanischen Massnahmen versucht.

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