Der Fall Assange entbehrt jeglicher rechtsgültigen Grundlage

von Eva-Maria Föllmer-Müller

Am 27. und 28. Oktober 2021 fand vor dem Londoner High Court der nächste Schritt in der Odyssee im Berufungsverfahren um die Auslieferung von Julian Assange in die USA statt.1 Zahlreiche Unterstützer waren (wieder) vor Ort und forderten seine sofortige Freilassung.
  Dieses Mal haben die USA der britischen Justiz vorgeworfen, sie sei bei der Beschlussfassung von falschen Annahmen bezüglich Assanges Gesundheitszustand ausgegangen. Im Januar 2021 hatte das Londoner Gericht das Auslieferungsbegehren mit der Begründung abgelehnt, der psychische Gesundheitszustand von Assange sei angegriffen und die Haftbedingungen, die ihn in den USA erwarteten, seien unzumutbar.
  Der Anwalt der USA, James Lewis, brachte nun vor, Assange hätte allen Grund gehabt, bei seinen Symptomen zu übertreiben. Ausserdem hätten die USA zugesichert, bei einer Auslieferung in die USA keine «Spezialmethoden» anzuwenden, und in Aussicht gestellt, dass Assange, der Australier ist, seine Haftstrafe auch in einem australischen Gefängnis absitzen könne.
  Der Anwalt von Julian Assange machte die kürzlich von Yahoo2 veröffentlichten Anschlagpläne des CIA gegen ihn geltend: «Es wurde darüber geredet, Herrn Assange zu töten, zu entführen oder zu vergiften.»
  Das Urteil wird in den kommenden Wochen erwartet. Dagegen kann dann nochmals Berufung eingelegt werden. Bei einer Auslieferung drohen Assange nach dem US-Spionagegesetz von 1917, das wieder ausgegraben wurde, 175 Jahre Haft.
  Viele Menschen weltweit setzen sich seit Jahren für Julian Assange ein. Wenn man sich die ganze Geschichte seit der Öffentlichmachung der US-Kriegsverbrechen durch WikiLeaks vor Augen führt, gleicht das einem Alptraum. Noch im Jahr 2010 hatten sich die Mainstream-Medien auf die Veröffentlichungen der Dokumente über Kriegsverbrechen im Irak (Collateral Murder) und in Afghanistan (Afghan War Diary) gestürzt; bald danach begann die Verfolgungsjagd auf Julian Assange: Flucht in die ecuadorianische Botschaft in London im Jahr 2012, ständige heimliche Überwachung durch die CIA, seine Entführung aus der Botschaft 2019, Isolationshaft, psychische Folter, Vergewaltigungsvorwürfe (zurückgenommen), der Meineid eines isländischen «Zeugen» (instrumentalisiert vom FBI) und vieles mehr. Politiker, Intellektuelle, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Völkerrechtler, Menschenrechtsorganisationen, Medienvertreter weltweit, Friedensnobelpreisträger, Familienangehörige von Assange – sie alle setzen sich für seine Freilassung ein – und es werden immer mehr …
  Einer von ihnen ist der Schweizer Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter für Folter und Rechtswissenschaftler. Vor kurzem äusserte er bei einem Vortrag3 an der Universität Zürich, das gesamte Vorgehen in diesem Verfahren sei grotesk. Dies alles spiele sich ja in demokratischen Rechtsstaaten ab und nicht etwa in autoritären Systemen. Die Integrität unseres rechtsstaatlichen Systems sei bedroht. Er machte auch darauf aufmerksam, dass sich die Diskussion seit 2010 immer mehr auf die Person von Julian Assange konzentriert habe und nicht mehr auf den eigentlichen Sachverhalt, die aufgedeckten Kriegsverbrechen und ihre rechtsstaatliche Verfolgung.
  «Dieser ganze Fall entbehrt aus juristischer Sicht einer rechtsgültigen Grundlage», resümierte Nils Melzer in einem ausführlichen Interview mit Randy Credico «Live-on-the-Fly» am 10. Oktober 2021.4 In diesem Interview findet Melzer deutliche Worte: «Jedes Mal, wenn sie die Beweise vorlegen sollen, fangen sie an, die Zielgerade zu verschieben und die Verfahren und Beweise zu manipulieren. […] Das ist ein typisches Muster für Schauprozesse, bei denen man im Grunde das Rechtssystem zum Zwecke der Verfolgung missbraucht.» Der Yahoo-News-Bericht beweise «eindeutig, dass dies ein böswilliges Verfahren gegen Assange ist. Dass es hier nicht um das Gesetz geht. Es geht um die Einschüchterung des Journalismus. Es geht um die Unterdrückung der Pressefreiheit. Es geht um den Schutz der Straffreiheit für Staatsbeamte.» Und, das Wichtigste des Yahoo-Berichts schlussfolgernd: «[D]ie Regierungen, die hinter Julian Assange her sind, und die Methoden, die sie in Erwägung ziehen und anwenden, [widerlegen] jede Vorstellung von einem gutgläubigen Versuch, dem Recht Geltung zu verschaffen. Es ist ein klarer Beweis, dass dieses Verfahren gegen Julian Assange illegal ist. Es verfolgt den illegalen Zweck, den Journalismus einzuschüchtern. Es bedient sich illegaler Mittel und ist daher rechtsstaatlich nicht haltbar. […] Die Frage ist eigentlich nicht, ob Julian Assange ein perfekter Mensch ist oder ob er Fehler gemacht hat oder nicht. Die Frage ist vielmehr, wie sich die Staaten verhalten. Deshalb ist dieser Fall so wichtig. Er geht uns alle an. Wenn es unseren Behörden erlaubt ist, Menschen zu töten, zu entführen und zu foltern und in andere Länder einzumarschieren, ohne Rechtsgrundlage, ohne dass sie einer rechtsstaatlichen Rechenschaftspflicht unterliegen, dann haben wir die Grenze zu einer Staatsform überschritten, die nichts mehr mit Demokratie zu tun hat.»  •



1 Zeit-Fragen hat immer wieder berichtet.
2 «Kidnapping, assassination and a London shoot-out: Inside the CIA's secret war plans against WikiLeaks» In: Yahoo News vom 26.9.2021
3 
https://www.eiz.uzh.ch/EIZ/web/eiz/event/melzer2021.aspx
4 Nils Melzer im Interview mit Randy Credico «Live on the Fly»; https://consortiumnews.com/2021/10/10/randy-credico-interviews-nils-melzer-on-julian-assange/

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