Der hohe Preis der «Fehler» bei US-Drohnenangriffen

von Alfred de Zayas und Adriel Kasonta*

Der «tragische Fehler», bei dem ein Teil einer Familie in Kabul getötet wurde, hat eine seltene Entschuldigung des Pentagons nach sich gezogen, aber das reicht nicht aus.
  Nach ersten Berichten von US-Beamten wurde der Drohnenangriff vom 29. August, der darauf abzielte, Mitglieder der militanten Gruppe Islamischer Staat-Khorasan (ISIS-K) zu vernichten, als erfolgreiche Operation beschrieben, bei der ein mit «mehreren Selbstmordattentätern» besetztes Auto zerstört wurde, das eine unmittelbare Bedrohung für die US-geführten Truppen darstellte, die Afghanistan nach der Machtübernahme durch die Taliban verlassen hatten.
  Die Feierlaune hielt nicht lange an, denn Zeugenberichte, die kurz nach dem Vorfall im Kabuler Stadtteil Khwaja Burgha auftauchten, entlarvten die Darstellung des Pentagons und enthüllten die hässliche Wahrheit. Bei den Opfern handelte es sich nicht um terroristische Wilde, sondern um zehn unschuldige Mitglieder der Familie Ahmadi, darunter sieben Kinder.
  Nachdem Fotos aufgetaucht waren, die die Opfer unmittelbar vor ihrem Tod zeigten, und in den Sozialen Medien aktuelle Aufnahmen des Grauens kursierten, wurde schnell klar, dass das jüngste Opfer gerade einmal zwei Jahre alt war. Ein weiteres Opfer des Anschlags war ein 36jähriger ehemaliger afghanischer Soldat und Mitarbeiter der US-Wohltätigkeitsorganisation Nutrition & Education International, der als Zamaray Ahmadi identifiziert wurde.
  Obwohl das Pentagon auf Grund des öffentlichen Drucks später zugeben musste, dass es sich bei der Ermordung dieser Zivilisten um einen «tragischen Fehler» handelte, und während eines Online-Treffens vor kurzem zwischen dem stellvertretenden Verteidigungsminister Colin Kahl und dem Gründer und Präsidenten von Nutrition & Education International, Dr. Steven Kwon, «Beileidsbekundungen» an die Ahmadi-Familie ausgesprochen wurden, bleibt die Rechenschaftspflicht für ähnliche Aktionen die grosse Unbekannte.
  Bis zum 18. September hatten die USA noch keinen direkten Kontakt mit der Familie der Opfer aufgenommen, wie der 22jährige Neffe von Emal Ahmadi, Farshad Haidari, gegenüber der Nachrichtenagentur Agence France Press erklärte: «Sie müssen herkommen und sich von Angesicht zu Angesicht bei uns entschuldigen.»
  Trotz der Beteuerungen von Verteidigungsminister Lloyd Austin im letzten Monat, das Pentagon «werde sich bemühen, aus diesem schrecklichen Fehler zu lernen», besteht wenig Hoffnung, dass dies der Fall ist – wenn man bedenkt, dass ähnliche Vorfälle, bei denen eine erhebliche Anzahl von Zivilisten in Afghanistan, im Irak und in Syrien getötet wurde, bereits in der Vergangenheit stattgefunden haben, wie unter anderem die «New York Times» und Reuters berichteten.
  Tatsache ist, dass «das Militär wiederholt Informationen über zivile Opfer unterdrückt hat», wie Nick McDonell, Autor eines 2018 erschienenen Buches mit dem Titel «The Bodies in Person: An Account of Civilian Casualties in American Wars», argumentiert: «Das Drohnenprogramm ist undurchsichtig, mit extrem begrenzter Rechenschaftspflicht für alle Beteiligten.»
  In Anbetracht der Tatsache, dass die meisten US-Drohnenangriffe in Afghanistan in ländlichen Gebieten stattfanden und dass ein direkter Zusammenhang zwischen der Intensität der Angriffe und der Beanstandung der Untersuchung der Todesfälle unter der Zivilbevölkerung besteht, gibt es, abgesehen von diesem Einzelfall, wenig Hoffnung auf eine angemessene Gerechtigkeit für die Opfer.
  Die öffentliche Empörung hängt von der Aufmerksamkeit ab, die die Mainstream-Medien den Drohnentötungen schenken werden. Aus Sicht des Humanitären Völkerrechts (Haager und Genfer Konvention) ist klar, dass Drohnen wahllos eingesetzt werden und daher illegal sind, weil sie gegen die beiden Kernregeln des Humanitären Völkerrechts verstossen – die Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Zielen und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit.
  Darüber hinaus stellen sie einen schweren Verstoss gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) dar, zu dessen Einhaltung die USA und alle Nato-Staaten verpflichtet sind.
  Es sei darauf hingewiesen, dass der UN-Menschenrechtsausschuss in seinen abschliessenden Stellungnahmen im Anschluss an die Prüfung des vierten periodischen Berichts der USA im Jahr 2014 gezielte Tötungen mit unbemannten Flugzeugen als Verstoss gegen Artikel 6 des IPbpR verurteilt hat.
  «Der Ausschuss ist besorgt über […] die mangelnde Transparenz hinsichtlich der Kriterien für Drohnenangriffe, einschliesslich der Rechtsgrundlage für bestimmte Angriffe, und die fehlende Rechenschaftspflicht für den Verlust von Menschenleben infolge solcher Angriffe», ist in dem Dokument zu lesen.
  «Der Ausschuss ist weiterhin besorgt über den sehr weit gefassten Ansatz des Vertragsstaates hinsichtlich der Definition und des geografischen Geltungsbereichs des Begriffs ‹bewaffneter Konflikt›, einschliesslich des Endes der Feindseligkeiten, die unklare Auslegung dessen, was eine ‹unmittelbare Bedrohung› darstellt, wer ein Kombattant oder eine Zivilperson ist, die direkt an den Feindseligkeiten teilnimmt, die unklare Position hinsichtlich des Zusammenhangs, der zwischen einem bestimmten Anwendungsfall tödlicher Gewalt und einem bestimmten Schauplatz der Feindseligkeiten bestehen sollte, sowie die Vorsichtsmassnahmen, die ergriffen werden, um in der Praxis zivile Opfer zu vermeiden (Artikel 2, 6 und 14).»
  In seinem Bericht an den Menschenrechtsrat aus dem Jahr 2010 prangerte Professor Philip Alston wahllose Tötungen durch Drohnen an und kam zu dem Schluss, dass die für ihren Einsatz angeführten Gründe «das menschenrechtliche Verbot des willkürlichen Lebensentzuges aushöhlen». Darüber hinaus wäre «die Tötung anderer Personen als der Zielperson (z. B. Familienangehörige oder andere Personen in der Nähe) durch Drohnen ein willkürlicher Lebensentzug im Sinne der Menschenrechte und könnte zu einer Haftung des Staates und einer individuellen strafrechtlichen Verfolgung führen». Im Jahr 2014 veröffentlichte Ben Emmerson, der UN-Sonderberichterstatter für Terrorismusbekämpfung, einen vernichtenden Bericht, in dem er das «Verantwortungsvakuum» für die Tötung von Zivilisten durch Drohnen anprangerte.
  Als unabhängiger UN-Experte für die internationale Ordnung stimmte einer der Autoren dieses Artikels mit Alston und Emmerson überein und prangerte die institutionelle Straflosigkeit der USA und der Nato an. Er bestand darauf, dass es eine staatliche Verantwortung – sowohl zivil- als auch strafrechtlich – gibt und dass die Staaten, die «Kollateralschäden» verursachen, verpflichtet sind, den Opfern und ihren Familien Wiedergutmachung zu leisten. Obwohl empirische Beweise die Unvereinbarkeit des Einsatzes von Drohnen mit dem Völkerrecht belegen, werden die USA leider weiterhin den Menschenrechtsausschuss und die Sonderberichterstatter des Menschenrechtsrates ignorieren, da es diesen an Durchsetzungsmechanismen fehlt.
  Es scheint, dass Drohnen weiterhin ungestraft eingesetzt werden, bis sich die internationale Gemeinschaft bereit erklärt, die universelle Gerichtsbarkeit über Kriegsverbrecher auszuüben, sie zu verhaften, wenn sie in ihren Zuständigkeitsbereich gelangen, und so die Rechte der Opfer solcher Grausamkeiten zu verteidigen.
  Die Mainstream-Medien wären gut beraten, diese Verbrechen nicht länger zu beschönigen, die menschlichen Opfer von Drohnen herunterzuspielen und Desinformationen über ein angebliches «schwarzes Loch in der Justiz» zu verbreiten. Die oberste Priorität muss immer sein, den Opfern sofortige Hilfe (nicht nur Geld) zukommen zu lassen und sicherzustellen, dass der neue Ankläger am Internationalen Strafgerichtshof diese Verbrechen energisch und zügig untersucht. •

Quelle: https://asiatimes.com/2021/10/us-drone-strikes-errors-and-the-cost-in-human-life/ vom 20.10.2021

(Übersetzung Zeit-Fragen)



Alfred de Zayas ist Professor für internationales Recht an der Genfer Schule für Diplomatie und internationale Beziehungen.
  Adriel Kasonta ist ein in London ansässiger Berater für politische Risiken und Anwalt jüdischer und tansanischer Abstammung.

 

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