Sie wollen die Freiheit von Forschung und Lehre verteidigen

70 deutschsprachige Hochschullehrer gründen «Netzwerk Wissenschaftsfreiheit»

von Karl-Jürgen Müller

Am 3. Februar 2021 wandten sich 70 deutschsprachige Hochschullehrer – darunter auch einige aus Österreich und der Schweiz – als Netzwerk Wissenschaftsfreiheit mit einem «Manifest» an die Öffentlichkeit. Sie schalteten auch eine Internetseite: https://www.netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de/. Auf der Internetseite sind bislang eine kurze Vorstellung des Netzwerkes und seines Anliegens, eine Presseerklärung des Netzwerkes, die Namen der 70 Hochschullehrer, die Namen der fünfköpfigen «Steuerungsgruppe» und das «Manifest» zu finden.
  Im Manifest heisst es: «Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit ist ein Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit dem gemeinsamen Anliegen, die Freiheit von Forschung und Lehre gegen ideologisch motivierte Einschränkungen zu verteidigen und zur Stärkung eines freiheitlichen Wissenschaftsklimas beizutragen.»

«Wer nicht mitspielt, muss damit rechnen, diskreditiert zu werden»

Die «verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit von Forschung und Lehre», so der Text, solle «zunehmend unter moralischen und -politischen Vorbehalt gestellt werden. […] Einzelne beanspruchen vor dem Hintergrund ihrer Weltanschauung und ihrer politischen Ziele, festlegen zu können, welche Fragestellungen, Themen und Argumente verwerflich sind. Damit wird der Versuch unternommen, Forschung und Lehre weltanschaulich zu normieren und politisch zu instrumentalisieren. Wer nicht mitspielt, muss damit rechnen, diskreditiert zu werden.» Auf diese Weise werde «ein Konformitätsdruck erzeugt, der immer häufiger dazu führt, wissenschaftliche Debatten im Keim zu ersticken».
  Zudem werde versucht, «Forschungsprojekte, die mit den weltanschaulichen Vorstellungen nicht konform gehen, zu verhindern und die Publikation entsprechend missliebiger Ergebnisse zu unterbinden». Von besonderer Bedeutung seien dabei «die mittelbaren Wirkungen dieser Druckmassnahmen: Sie senden das Signal, dass man auf den ‹umstrittenen› Gebrauch seiner Forschungs- und Lehrfreiheit künftig besser verzichte». So entstehe ein Umfeld, das dazu führt, «dass Hochschulangehörige ihre Forschungs- und Lehrfreiheit selbst beschränken, weil sie antizipieren, mit Äusserungen, Themenstellungen oder Veranstaltungen als Person diskreditiert zu werden».

Für eine argumentative Auseinandersetzung

Als Ziele des Netzwerkes werden genannt:

  • «allen Versuchen entgegenwirken, die wissenschaftliche Arbeit von Hochschulangehörigen einzuschränken. Grenzen dieser Freiheit sind ausschliesslich Verfassung und Gesetz;
  • sich aktiv dafür einsetzen, dass intellektuelle Freiheit und wissenschaftlicher Pluralismus in Forschungsfragen, Forschungsansätzen und Forschungsmethoden als selbstverständlich gelten und dass die argumentative Auseinandersetzung mit anderen Ansätzen und Perspektiven stattfindet, auch und gerade, wenn sie inhaltlich nicht geteilt werden;
  • für eine Debattenkultur eintreten, in der alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Studierenden ihre Erkenntnisinteressen frei von Sorgen vor moralischer Diskreditierung, sozialer Ausgrenzung oder beruflicher Benachteiligung verfolgen und ihre Argumente in Debatten einbringen können. Wir bestehen darauf, dass Debatten von gegenseitigem Respekt geprägt sind und Ad-hominem-Argumente unterbleiben.»

Für diese Ziele soll die «Bedeutung der Forschungs- und Lehrfreiheit durch öffentliche Veranstaltungen» herausgestellt werden, die «Gefährdungen der gelebten Wissenschaftsfreiheit» sollen analysiert werden, Fälle ihrer Einschränkung offengelegt und Gegenstrategien entwickelt werden. Das Netzwerk will «Debattenformate [schaffen], die zu unterschiedlichen Themen möglichst viele Perspektiven» bieten und «in einem offenen intellektuellen Klima ausgetauscht werden» können. Diejenigen, «die sich Angriffen auf ihre Wissenschaftsfreiheit ausgesetzt sehen», sollen unterstützt werden.

* * *

Dass sich gleich 70 deutschsprachige Hochschullehrer unterschiedlicher Disziplinen und unterschiedlicher Hochschulorte mit einem Manifest zum Thema Wissenschaftsfreiheit zu Wort melden, ist nicht alltäglich. Und dass Intoleranz an Hochschulen – die ja eigentlich ein Ort ausgeprägter Gesprächskultur sein sollten – ganz besondere Auswüchse zeitigen kann, lehrt ein Blick in die Geschichte. In den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts standen dafür die radikalen Kräfte der Studentenbewegung und der zunehmende Einfluss des Neomarxismus auf Forschung und Lehre. Die Probleme, die heute wieder zu einem Ruf nach Freiheit von Forschung und Lehre führen, sind zwar andere als im Gefolge der Studentenbewegung – aber es wäre auch interessant, die Bezüge zwischen Versatzstücken der neomarxistischen Theorie der Frankfurter Schule und dem, was heute als «Cancel Culture» und schon länger als -«Political Correctness» bezeichnet wird, genauer zu untersuchen. Offensichtlich sind die Parallelen zur Situation an den US-amerikanischen Hochschulen. Deren «Identitätspolitik»1 ist das Muster.

Wenig Medienunterstützung

Die Gründung des Netzwerkes Wissenschaftsfreiheit hat ein breites Medienecho hervorgerufen, die Anzahl der positiven Rückmeldungen ist dabei bislang gering. Statt dessen finden sich Kritik an mangelnden konkreten Belegen für eine Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit, Versuche, die konkreten Fälle als Einzelfälle zu bagatellisieren, einige zum Teil plumpe Polemiken, die Etikettierung mit dem Label «rechts» oder gar scharfe Attacken wie die der deutschsprachigen trotzkistischen World Socialist Web Site, die behauptet, das Netzwerk sei eines «zur Rehabilitierung Hitlers».
  Ein paar Vertreter des Netzwerkes konnten ihre Auffassungen in Interviews darlegen, so zum Beispiel die deutsche Politikwissenschaftlerin und Soziologin Ulrike Ackermann in der deutschen Zeitung «Welt» vom 11. Februar 2021 – und schon am 8. Februar ausführlich in der «Neuen Zürcher Zeitung» mit dem Titel: «Die Prinzipien der Aufklärung sind fundamental. Wir müssen sie verteidigen.»

Ein alltägliches Beispiel …

In einem Streitgespräch zwischen Sandra Kostner, der Sprecherin des Netzwerkes, und der Politikwissenschaftlerin Gudrun Hentges, das die Internetseite der deutschen Zeitung Freitag in ihrer Ausgabe vom Februar 2021 veröffentlicht hat, wird deutlich, um welche Phänomene es konkret und alltäglich geht: Eine dunkelhäutige Studentin mit deutscher Staatsbürgerschaft wurde von ihrem Hochschullehrer in Köln gefragt, woher sie komme. Sie fühlte sich von dieser Frage rassistisch angegangen und richtete eine Petition an die Landesregierung ihres Bundeslandes mit dem Ziel, «institutionellen Rassismus» zu «dekonstruieren». Auf den Eintrag der Studentin in ihrem «sozialen Netz» wurde mehr als 50 000 mal reagiert. Frau Hentges findet es «mutig, dass die Kölner Studentin ihre Erfahrungen geteilt und in die politische Debatte interveniert hat». «Rassismus» könne man «nicht auf individuelle Vorurteile reduzieren», er sei «ein strukturelles Problem».

… und die Weltanschauung im Hintergrund

Dahinter steht die Auffassung, dass Geschichte und Gegenwart des «Westens» vor allem und bis heute eine Geschichte des Kolonialismus, des Rassismus, der Frauenfeindlichkeit und der Herrschaft des weissen Mannes sei. Ulrike Ackermann sagt: «Patriarchatskritik, Antikapitalismus und Antikolonialismus waren Triebfedern für diese Bewegungen. […] Die jahrhundertelange Diskriminierung und Benachteiligung von Frauen, ethnischen Minderheiten und Religionen soll ins Zentrum rücken. Eurozentrismus und patriarchalische Herrschaft hätten den Blick verstellt. Die Verbrechen der Kolonialgeschichte spiegelten sich nicht im klassischen wissenschaftlichen Kanon wider.»
  Frau Kostner entgegnet: «Bis vor ungefähr zehn Jahren wurde [in Seminaren für interkulturelle Kompetenz] vermittelt, dass man die Frage nach der Herkunft stellen soll, weil das ein Zeichen der Höflichkeit sei, Interesse signalisiere.» Inzwischen aber werde die Frage nach der Herkunft eines Menschen «vor allem im identitätslinken Milieu als Absprechen der Zugehörigkeit oder sogar als Zeichen des Rassismus gedeutet».
  Ähnliche Erlebnisse kann ein Hochschullehrer, können Studenten machen, wenn sie sich nicht an die Vorschriften der Gender-Theorie oder der LBGTQ-Bewegung halten. Auch wer Theorie und Praxis des Multikulturalismus und des Internationalismus in Frage stellt oder gar für souveräne Nationalstaaten plädiert, muss damit rechnen, ins Schussfeld zu geraten. Es kann schon ausreichen, wenn ein Hochschulangehöriger weiterhin Student statt Student*in schreibt.2
  Frau Hentges sagt auch, dass alle eine «Verantwortung» haben, «vulnerable Gruppen zu schützen». Gemeint seien «von Rassismus betroffene Menschen, die verbalen oder körperlichen Angriffen ausgesetzt sind. Geflüchtete sind auf Grund ihrer traumatischen Erfahrung im Herkunftsland und auf der Flucht eine besonders vulnerable Gruppe». Frau Hentges sagt es nicht, aber die Frage stellt sich: Ist es dann noch erlaubt, Kritik am konkreten Verhalten von Flüchtlingen zu üben?

Nur noch Opportunisten?

Ulrike Ackermann sagt in ihrem Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung», dass mit der «Verengung von Fragestellungen, Themen und Argumenten» eine «Politisierung» verbunden sei, «mit dem Ziel, die Gesellschaft zu verändern». Frau Kostner sagt im Streitgespräch, es gehe den Protagonisten der Bewegung darum, «Konformitätsdruck [zu] erzeugen. Also jeden als Rassisten, Sexisten, Islamophoben usw. zu bezeichnen, der ihre Sichtweise nicht teilt». Und mit Blick auf die Studenten an den Hochschulen sagt Frau Ackermann: «Selbständige Urteilskraft, die Fähigkeit, Perspektiven zu wechseln, das Streben nach Erkenntnis ohne absolute Gewissheit, wissenschaftlicher Pluralismus – also all die Grundprinzipien des Humboldtschen Bildungsideals –, all dies lernen Studierende unter diesen neuen Bedingungen gerade nicht. Und das ist natürlich fatal für zukünftige gesellschaftliche Leistungsträger. Studienabgänger sind dann eher Opportunisten, die nicht auffallen wollen, keine Konflikte eingehen und nicht wirklich den Wettbewerb der Ideen vorantreiben können.»  •



1 vgl. einführend zum Begriff «Identitätspolitik» den Eintrag bei Wikipedia (Identitätspolitik – Wikipedia). Dass «Identitätspolitik» gerade auch von deutschen staatlichen Stellen befürwortet wird, zeigt eine Veröffentlichung der Bundeszentrale für politische Bildung: Identitätspolitik; Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 9–11/2019 vom 25.2.2019 (https://www.bpb.de/apuz/286499/identitaetspolitik)
2 vgl. «Student*innen! Verklagt die Sprachpolizei an eurer Uni!», in: Süddeutsche Zeitung vom 31.10.2019; https://www.sueddeutsche.de/bildung/universitaet-gender-verein-deutsche-sprache-1.4661809

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