Deutsche SPD verabschiedet sich Schritt für Schritt von allen friedenspolitischen Grundsätzen

km. Eines vorweg: Dass die deutsche SPD ihren friedenspolitischen Kurs erst nach dem 24. Februar 2022 aufgegeben habe, trifft nicht zu. Abweichungen vom friedenspolitischen Kurs – der eigentlich ein Parteigrundsatz ist – kennzeichnen die ganze Geschichte der deutschen Sozialdemokratie: Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914, Akzeptanz der deutschen Wiederbewaffnung und Nato-Mitgliedschaft spätestens mit dem «Godesberger Programm» von 1959, aktive Beteiligung am völkerrechtswidrigen Kosovo-Krieg 1999 und die vielen Reden prominenter Sozialdemokraten über die «deutsche Verantwortung» in den vergangenen Jahren, um nur wenige Stichworte zu nennen, haben dies gezeigt.
  Seit dem 24. Februar 2022 wurde dieser Parteikurs von der Parteispitze radikalisiert. Die Hoffnungen, die deutsche SPD könne – 50 Jahre nach Willy Brandt – wieder neue friedenspolitische Akzente setzen und einen Beitrag zum Ende des Krieges in der Ukraine leisten, haben sich nicht erfüllt. Im Gegenteil, der 22. Juni 2022 wird als weiteres Datum in die Reihe der Verleugnung ehemals wichtiger Parteigrundsätze eingehen. Seitdem brüsten sich Bundesregierung und Bundeskanzler ganz offen mit einer fünf Seiten langen Mitteilung und Liste über ihre Waffenlieferungen an die Ukraine.1 Am selben Tag hält der Vorsitzende der SPD, Lars Klingbeil, eine Grundsatzrede bei der Friedrich-Ebert-Stiftung – das ist die politische Stiftung der SPD –, in der er die Rede von der «Zeitenwende» aufgreift, ganz offen mit der bisherigen SPD-Politik bricht, einer Militarisierung der Politik das Wort redet und Deutschland zur europäischen Führungsmacht erklärt («Deutschland muss den Anspruch einer Führungsmacht haben.»).2 Nur als Randbemerkung: Klingbeil leitete seine Rede mit einem Zitat des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci ein.
  Mit diesem Kurs steht die SPD in der deutschen Parteienlandschaft nicht allein da. Bündnis 90/Die Grünen, FDP, CDU und CSU – die zusammen mit der SPD fast 85 % der Plätze im Deutschen Bundestag besetzen – sind zum Teil noch gröbere Bellizisten.
  Anders sieht es hingegen die deutsche Bevölkerung. Der European Council on Foreign Relations – ganz transatlantisch orientiert – hat am 15. Juni 2022 die Ergebnisse einer Befragung innerhalb von neun Ländern der EU plus Grossbritannien veröffentlicht. Deren Newspeak wird schon im Titel deutlich: «Peace versus Justice: The coming European split over the war in Ukraine».3 Die Studie suggeriert einen Gegensatz von «Frieden» und «Gerechtigkeit»; denn «gerecht» sollen laut dieser Studie diejenigen sein, die für jegliche Unterstützung der ukrainischen Regierung, selbstverständlich auch mit Waffenlieferungen, bis zum Endsieg sind. «Friedlich» sollen demgegenüber diejenigen sein, die den Krieg in der Ukraine so schnell wie möglich beenden wollen, sei es auch um den Preis von ukrainischen Gebietsabtretungen an Russland bzw. den russischen Einflussbereich. Wie dem auch sei: Nur 22 % der Befragten in allen Ländern sind nach der Umfrage dem «Lager der Gerechten» (Justice camp) zuzuordnen, aber 35 % dem «Friedenslager» (Peace camp). 43 % der Befragten sind unentschieden oder waren nicht zuzuordnen. In den befragten Ländern schwanken die Zahlen stark. Am wenigsten «Friedenswillen» haben die Befragten in Polen, Grossbritannien und Finnland – den meisten «Friedenswillen» haben Italien (52 %), Deutschland (49 %) und Rumänien (42 %). Die offen «Kriegswilligen» sind in diesen drei Ländern in einer deutlichen Minderheit: Italien nur 16 %, Deutschland nur 19 % und Rumänien nur 23 %. Dem Council macht das grosse Sorgen.
  49 % der Deutschen für ein schnellstmögliches Ende des Krieges und nur 19 % für eine Fortsetzung des Krieges – und das trotz einer nun schon monatelangen Propagandawalze für den Krieg. Das ist beachtlich. Aber offensichtlich gehen die meisten deutschen Parteien darüber hinweg, mehr und mehr auch die deutsche SPD.  •



1 https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/krieg-in-der-ukraine/lieferungen-ukraine-2054514
2 https://www.vorwaerts.de/artikel/sozialdemokratie-hat-chance-europa-praegen
3 https://ecfr.eu/publication/peace-versus-justice-the-coming-european-split-over-the-war-in-ukraine/

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