Deglobalisierung als Ausweg

Zum Buch von Peter Mattmann-Allamand*

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Mit seinem 2021 erschienenen Buch «Deglobalisierung. Ein ökologisch-demokratischer Ausweg aus der Krise» legt uns Peter Mattmann-Allamand eine beeindruckende Zusammenschau der reichhaltigen politischen und philosophischen Erkenntnisse vor, die er seit seiner Studentenzeit in den 68ern entwickelt hat. Auf diesem Fundament lässt er den Leser teilnehmen an der Geschichte der Globalisierung und schlägt schliesslich einen möglichen Weg für das dem Menschen gemässe Zusammenleben in unserer Welt vor, mit einer Wirtschaft, die für die Menschen da ist und gleichzeitig unsere Verantwortung für die Umwelt miteinbezieht. Für Mattmann als politisch aktivem Schweizer ist es naheliegend, dass er eine kleinräumige Wirtschaft und die direktdemokratische Kontrolle als wirksamstes Gegenmittel gegen die Macht globaler Konzerne und Institutionen anerkennt. Eindrücklich legt der Autor auch die Geschichte seiner eigenen Entwicklung zum Politiker und zum eigenständig denkenden Mitmenschen dar.

In den drei Hauptkapiteln, «Präglobalisierung», «Globalisierung» und «Deglobalisierung», erhalten jüngere Leser einen Einblick in die Zeitgeschichte der letzten Jahrzehnte, bei älteren Jahrgängen werden zahlreiche Erinnerungen wachgerufen: Ein wertvolles Zeitdokument mit einer Fülle von Themen und Theorien, die sich nicht auf eine Zusammenfassung reduzieren lassen. Statt dessen sollen hier einige Kerngedanken herausgegriffen werden, die vielleicht den einen oder anderen Leser «gluschtig» machen, das ganze Werk zu lesen. Alle hier angesprochenen Aspekte werden im Buch mit viel Hintergrundwissen, mit verschiedensten Theorien, von Marx bis Brzezinski, von Hegel bis zur Entwicklungspsychologie, und mit tiefgreifender inhaltlicher Auseinandersetzung des Autors bereichert.

«Politik ist nicht mit Gurkensalat zu machen.
 Sie bedarf eines Rechtsstaates»

Im Kapitel «Präglobalisierung» berichtet Peter Mattmann von seinem eigenen Erleben der 68er Bewegung in der Schweiz und ordnet das damalige Geschehen aus heutiger Warte ein. 1968 machte er in der Stiftsschule Einsiedeln die Matura und begann an der Universität Fribourg sein Medizinstudium. Dort kam er mit Gruppen der entstehenden 68er Bewegung in Kontakt und fand auch Leute, «die friedenspolitisch aktiv waren und mein pazifistisches Grundgefühl in Worte fassten». Ihm war klar, dass er und die meisten seiner Studienkollegen «die privilegierten Kinder» der Nachkriegszeit waren, denen alle Wege offenstanden: «Aus der Perspektive meiner persönlichen Biographie sehe ich die 68er Bewegung nicht als Rebellion gegen unerträgliche Zustände. Sie war ein Produkt des mit dem Nachkriegswohlstand verbundenen gesellschaftlichen Wandels.» Auch für sich selbst sah er keinen Grund zur Unzufriedenheit: «Das katholische Milieu meiner Kinderzeit war stabil, gab Halt und Sicherheit und war bereits so offen, dass es das Leben nicht erstickte und auf erfreuliche Zukunftsperspektiven verwies.» Die umfassende Bildung und die aufgeschlossenen Lehrer, die er in der Klosterschule Einsiedeln erleben durfte, gaben ihm ein zweites Fundament für sein Leben (S. 93).
  1971 zog Peter Mattmann nach Basel, um sein Medizinstudium abzuschliessen. Dort hatte die Neue Linke einen politischen Hintergrund, viele stammten aus der Arbeiterbewegung und wollten sich aktiv in die Politik einbringen. In der direktdemokratischen Schweiz war und ist dies möglich. Gegen gewalttätige Gruppierungen grenzte sich der Autor dagegen von Anfang an mit Entschiedenheit ab: «Gewalttätigkeit und Terrorismus sind […] unpolitisch», sie «bringen den politischen Prozess zum Stillstand». Dies gelte für die RAF und die «Sponti-Szene, der Joschka Fischer angehörte», aber auch für gewisse Schweizer Gruppen, die den Slogan «Macht aus dem Staat Gurkensalat» propagierten: «Politik ist nicht mit Gurkensalat zu machen. Sie bedarf eines Rechtsstaates» (S. 109). Mattmann ergänzt aus heutiger Sicht: «Bedenklich ist, dass die Medien und viele Exponenten der Linken den unpolitischen oder antipolitischen Zug des ‹schwarzen Blockes› nicht erkennen und dessen Gewalttätigkeiten verharmlosen, weil sie die Bewegung im weitesten Sinne zur politischen Linken rechnen.» (S. 109)

POCH und die Grünen –
Plädoyer für ein Bündnis «jenseits von ‹links› und ‹rechts›»

1973 gründete Peter Mattmann mit Gleichgesinnten die POCH (Progressive Organisationen Schweiz) des Kantons Luzern – die auch in mehreren anderen Kantonen entstanden – und wurde zuerst in das Stadtparlament und dann mit vier anderen zusammen in den Kantonsrat gewählt. Dort mischten sie die altehrwürdige Politiker-Kaste gehörig auf (S. 114) und wurden «zu einer Partei der Neuen Sozialen Bewegungen der 1970er Jahre». Anti-AKW-Bewegung, Frauen-, Friedensbewegung, Dritte-Welt-Solidaritätsbewegung gehörten dazu, aber auch Themen wie Stadt- und Wohnraumzerstörung oder alternative Lebensformen, die sie im Kantonsrat einbrachten und in politische Projekte umsetzten (S. 118). In der ersten Hälfte der 1980er Jahre entstand aus verschiedenen kantonalen Gruppen der Ökologie-Bewegung die Grüne Partei Schweiz (GPS), der sich auch viele Exponenten der POCH anschlossen.
  Bemerkenswert ist, dass Peter Mattmann schon im damaligen Richtungskampf zwischen «linken» und «gemässigten» Gruppen dafür plädierte, die Energie nicht für die gegenseitige Abgrenzung und Konkurrenzierung verpuffen zu lassen, sondern aus dem «Links-Rechts-Schema» auszusteigen, um eine «breite Diskussion über grüne Politik» zu ermöglichen (S. 119). Diese persönliche Stärke Mattmanns, sich unabhängig vom Parteibüchlein mit anderen politischen Kräften im Land zusammenzutun, das heisst, sich für eine Sache um der Sache willen einzusetzen, hat er auch bei späteren politischen Aktionen durchgehalten – und sich dafür einige grobe Angriffe unter der Gürtellinie eingehandelt. Im Schlusswort seines Buches greift er diesen Faden für die heutige und die künftige Zeit wieder auf. Ein antiglobalistisches Bündnis, so der Autor, «kann nur erfolgreich sein, wenn die Partner sich gegenseitig respektieren. […] Das Klima der -Polarisierung und des unversöhnlichen Kampfes verhindert einen demokratisch legitimierten Ausweg aus der heutigen Krise.» Und er fügt hinzu: «‹Linke› und ‹Rechte› tragen, indem sie einander statt die Globalisierung bekämpfen, zu deren Dominanz bei.» (S. 257f.)

Globalisierung: «Die Chance, die sich 1989 bot, blieb ungenutzt»

«Die ‹Wende› 1989 ebnete der Globalisierung den Weg», stellt der Autor zu Beginn seines zweiten Kapitels fest und bemerkt, dass die Entwicklung der letzten 30 Jahre in diese fatale Richtung nicht unausweichlich gewesen sei. Vielmehr hätten die in der Uno miteinander verbundenen Nationalstaaten das «Wegfallen der Systemkonkurrenz» auch positiv nutzen können: «Militärische Abrüstung, friedliche Konfliktlösungen, Entwicklung einer ökologisch verträglichen, ressourcenschonenden Wirtschaft und Technologie, Beseitigung von Armut und Hunger, gerechtere Einkommens- und Vermögensverteilung.» (S. 126f.)
  «Die Chance, die sich 1989 bot, blieb ungenutzt», schreibt Peter Mattmann bedauernd. Und er benennt Ross und Reiter: «Die Kapitulation des Sozialismus eröffnete den längst transnational operierenden Konzernen eine noch nie dagewesene Perspektive: Zum ersten Mal in der Geschichte zeichnete sich die realistische Chance einer wirklich globalen, d. h. weltweiten Expansion ab» (S. 127). Und weiter: «Die machtpolitische Strategie hinter der Globalisierung ist die unipolare Welt, die sich um die USA und die ehemaligen europäischen Kolonialmächte als Herrschafts-, Wirtschafts- und Kulturzentren gruppiert und die alle anderen Länder an die Peripherie, in die wirtschaftliche und politische Abhängigkeit drängt. Sie bedroht und zerstört mannigfaltige regionale Kulturen und Systeme der Lebensbewältigung, Ökologiesysteme, philosophische und religiöse Traditionen und ersetzt sie durch globale Strukturen der Abhängigkeit und Ausbeutung. Vielen Ländern zwingt sie Krieg auf.» Dabei charakterisiert Mattmann die Globalisierung der letzten 30 Jahre nur als «qualitativen Sprung», der sich nahtlos an die koloniale und neokoloniale Vorherrschaft anschliesst (S. 131).
  Den einflussreichen US-Strategen Milton Friedman (S. 127f.) und besonders Zbigniew Brzezinski (S. 132ff.) weist der Autor den gebührenden Platz in dieser für die Welt verhängnisvollen Entwicklung zu und schildert glasklar die Umsetzung der neoimperialistischen Politik der USA und ihrer Vasallen nach dem Kalten Krieg, vor allem deren schreckliche Kriege, beginnend mit dem Kosovo-Krieg 1999 (S. 138–154).

Linke und Grüne verkennen die Institutionen der Globalisierung: EU, Nato, Uno

Mitte der 1990er Jahre trennte sich der Weg Peter Mattmanns von den Grünen. Er erklärt dies mit den Scheuklappen linker Politik: «Linke und Grüne haben die Fähigkeit verloren, Machtprozesse und Ideologien kritisch zu hinterfragen. Darum verkennen sie die Institutionen der Globalisierung: EU, Nato, Uno. [Später nennt Mattmann auch die WTO.] Diese traten seit Mitte der 1980er Jahre immer unverfrorener in den Dienst der Strategie globaler Vorherrschaft. Viele Linke gebärden sich als lautstarke Globalisierungsgegner. Gleichzeitig befürworten sie die Übertragung von nationalstaatlichen Kompetenzen an diese Institutionen. Viele von ihnen geben sich der Illusion hin, sie könnten auf überstaatlicher Ebene erfolgreicher gegen die Global player politisieren.» In Wirklichkeit sei es der Existenzzweck von EU, Nato und Uno, «die Macht der grossen Konzerne auf einer Ebene zu organisieren, die sich der lokalen Einflussnahme entzieht» (S. 154). Der Globalisierung könne man deshalb nur mit der Förderung und dem Ausbau der lokalen Strukturen begegnen (was Mattmann in Kapitel 3 «Deglobalisierung» genauer ausführt).
  Nach einer gerafften Geschichte der EU und deren Einordnung als US-Projekt für eine «Symbiose zwischen den Weltkonzernen und der EU» kommt der Autor in bezug auf die Schweiz zum selben Schluss wie die Verfasserin dieser Buchbesprechung und wie immer mehr Mitbürger: «EU und direkte Demokratie sind inkompatibel.» (S. 167ff.) Peter Mattmann zog die Konsequenzen: Als die Grüne Partei 1995 ins EU-Beitrittslager wechselte, trat er aus der Partei aus. In der Folge wurde er als Rechtsradikaler verunglimpft, obwohl er seine «als Linker und Grüner vertretenen Positionen nicht geändert» hatte (S. 180).
  «30 verlorene Jahre» nennt Mattmann die Zeit seit 1989, und man ist als Leser berührt von seiner Frustration über das Ende der 68er Bewegung, die einst gegen den Vietnam-Krieg angetreten war: «Gegen eine Friedensbewegung ähnlichen Kalibers hätten die Kriegspläne [der Nato ab 1999] keine Chance gehabt.» (S. 193) Sehr lesenswert sind auch seine Ausführungen zur Schweizer Armee: Statt die Abschaffung der Armee anzustreben, sollte die Linke eine aktive Neutralitätspolitik der Schweiz einfordern, indem sie unter anderem aus der Nato-«Partnerschaft für den Frieden» austritt (S. 197).

Deglobalisierung: Kleinräumigkeit und direktdemokratische Kontrolle

Im dritten Kapitel zieht der Autor seine Schlüsse aus dem bisher Dargelegten, die zu weiten Teilen auch den Erkenntnissen des Weltagrarberichts entsprechen, aber auch die positiven Erfahrungen eines Schweizers mit der kleinräumigen und direktdemokratischen Organisation der Gesellschaft widerspiegeln.

  • Ökologische Wende: Deglobalisierung «strebt eine Richtungsänderung, eine Umkehr, die ökologische Wende an» (S. 218). «Die «ökologische Alternative zur ‹neoliberalen›, grossindustriellen, globalisierten Wirtschafts- und Lebensweise ist die lokale Kreislaufwirtschaft.» Diese Lebensweise «wird weniger industrialisiert und Big-Tech-digitalisiert, sondern agrarischer sein. Dem Handwerk kommt wieder eine grössere Bedeutung zu.» (S. 229)
  • Deglobalisierung ist Lokalisierung: «Translokale Aktivitäten haben sich nach den Bedürfnissen […] und Wünschen der lokalen Akteure zu richten.» Wirtschaftliches Rückgrat sind die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die schon immer auch Basis für die transnationalen wirtschaftlichen Aktivitäten sind (S. 220f.).
  • Beschränkung transnationaler Macht durch Kleinräumigkeit und demokratische Kontrolle: «Der ‹Markt› hat es nicht gerichtet», stellt der Autor trocken fest. «Der Mehrheit der Erdbevölkerung wurde in den letzten 30 Jahren eine den technologischen und ökonomischen Ressourcen adäquate Lebensqualität verweigert. […] Kleinräumige lokale Wirtschaft fördert die demokratische Machtkontrolle, somit funktioniert das Gemeinwohl besser. Grossräumige transnationale Wirtschaft erzielt vor allem maximale Gewinne.» (S. 223)

Den heutigen Demonteuren der neutralen Schweiz ins Notizbuch

Mit seiner klaren Stellungnahme zur Unabhängigkeit und Souveränität der Schweiz gesellt sich Peter Mattmann zu vielen anderen Schweizer Persönlichkeiten unserer Zeit dazu. Ein Anschluss an die EU würde die «Selbstauflösung der Schweiz» bedeuten. «Denn zweifellos würde ein EU-Beitritt das, was die Schweiz zusammenhält, beseitigen.» (S. 248)
  «Unabhängigkeit, Neutralität und direkte Demokratie bedingen einander. Keiner dieser drei Grundsteine kann entfernt werden, ohne dass das Haus einzustürzen droht. […] Die immerwährende (das heisst als langdauernde Maxime angelegte) Neutralität ist neben der militärischen Verteidigung […] für einen Kleinstaat das einzige Erfolg versprechende aussenpolitische Mittel, um dieses übergeordnete Ziel [eine möglichst weitgehende Freiheit und Unabhängigkeit zu bewahren] zu sichern. Das Bündnis mit einer Grossmacht macht einen Kleinstaat abhängig von dieser oder aber zum Eroberungsgut der gegnerischen Grossmacht.» (S. 253)
  «Die Schweiz existiert nicht als kulturelle nationale Einheit, sondern nur als ‹Willensnation›. Ihre Existenz ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Daueraufgabe.» Der Autor fügt hinzu: «Ob sich die Unabhängigkeit, Neutralität und direkte Demokratie wirklich und nicht nur scheinbar erhalten lassen, ist unbestimmt.» (S. 255f.)
  Mattmann hat recht: Aktuell sieht es zuweilen düster aus für das Schweizer Modell. Aber die «Daueraufgabe» ist für uns heutige Schweizer grundsätzlich nicht anders als für unsere Vorfahren in früheren Zeiten: Es gilt für jeden, der die Schweiz für unsere Kinder und Kindeskinder erhalten will, sich mit allen Fasern seines Seins, mit allen direktdemokratischen Mitteln und im Gespräch von Bürger zu Bürger dafür einzusetzen.  •



* Peter Mattmann-Allamand, geboren 1948 in Ebikon, Kanton Luzern, ist ehemaliges Mitglied der Geschäftsleitung der Progressiven Organisationen Schweiz (POCH), der bedeutendsten Formation der 68er Bewegung. Langjähriger Mandatsträger im Kantons- und Stadtparlament von Luzern. 1995 Austritt aus der Grünen Partei nach deren Kurswechsel in der EU-Beitrittsfrage. Facharzt für Allgemeine Innere Medizin und Homöopathie.

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