Das Ultimatum des Westens an Serbien

von Živadin Jovanović*, jugoslawischer Aussenminister 1998–2000

ef. Seit über 20 Jahren schwelt ein Konflikt zwischen Serbien und Kosovo. Serbien erkennt Kosovo nicht als eigenen Staat an und beruft sich dabei auf die Resolution 1244 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 19. Juni 1999. Die Resolution hatte die 78 Tage dauernde Nato-Aggression gegen Serbien damals beendet; sie garantierte die Souveränität und die territoriale Integrität Serbiens, die völkerrechtliche Zugehörigkeit Kosovos zu Serbien sowie eine wesentliche Autonomie für die Provinz Kosovo und Metohija innerhalb von Serbien. Trotzdem hatte sich Kosovo im Jahr 2008 einseitig für unabhängig erklärt, was in der Folge von Nato- und EU-Mitgliedern anerkannt wurde.
  In den vergangenen Wochen haben die EU und die USA Serbien ein Ultimatum gestellt.
  In einer ursprünglich von Deutschland und Frankreich vorgelegten Initiative «Internationaler Lösungsplan für Kosovo» ist u. a. vorgesehen, dass die beiden Nachbarländer zwar einander formell nicht anerkennen, jedoch ihre staatliche Existenz wechselseitig akzeptieren. Zudem müsse Belgrad künftig davon absehen, die Aufnahme Kosovos in internationale Organisationen zu verhindern. Wie der serbische Präsident Aleksandar Vucic in seiner Rede vor dem Parlament am 2. Februar selbst sagte, seien etliche Punkte des internationalen Plans aus serbischer Sicht schwer oder gar nicht akzeptabel: die Unterhändler – Vertreter Deutschlands, Frankreichs, Italiens, der EU und USA – hätten damit gedroht, dass die seit 2014 laufenden EU-Beitrittsgespräche mit Serbien eingestellt und ausländische Investitionen gestoppt werden könnten. Nachdem Vucic in seiner Rede angedeutet hatte, den Plan zu befürworten, kam es im Parlament zu tumultartigen Auseinandersetzungen. Im Folgenden kommentiert der ehemalige serbische Aussenminister Živadin Jovanović (1998–2000) den «Lösungsplan».

Wenn der Wortlaut des von den westlichen «Grossen Fünf» (EU, USA, Deutschland, Frankreich, Italien) vorgelegten «Basisabkommens» über Kosovo und Metohija, das seit einiger Zeit in den albanischen Medien und seit dem 20. Januar auch in den serbischen sozialen Netzwerken kursiert, auch nur annähernd authentisch ist, kann es nicht als eine Art Abkommen angesehen werden – sondern eher als ein Ultimatum, das Serbien zwingt, die erzwungene Sezession seiner Provinz de facto anzuerkennen.

Demütigung der serbischen Nation

Das Dokument, das ursprünglich dem französischen Präsidenten Macron und dem deutschen Bundeskanzler Scholz, dem Staatsoberhaupt und dem Regierungschef der beiden grössten europäischen Demokratien, zugeschrieben wurde, stellt einen weiteren groben Verstoss gegen die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates, die Grundprinzipien der demokratischen internationalen Beziehungen, die UN-Charta, die Charta von Paris und die Schlussakte von Helsinki der KSZE dar. Inspiriert von der eigenen Macht und Grösse, demütigt dieser Text Serbien und die serbische Nation, indem er Serbien auffordert, die Gleichheit, die Souveränität, die territoriale Integrität und die staatlichen Insignien des sogenannten Kosovo und im übrigen aller anderen Staaten zu beachten, mit Ausnahme der eigenen Souveränität, der territorialen Integrität und der international anerkannten Grenzen, die als solche von der Uno, der OSZE, anderen internationalen Organisationen und dem Badinter-Schiedsgericht bestätigt wurden.
  Das Scholz-Macron-Papier fordert Serbien auf, sich der Mitgliedschaft des sogenannten Kosovo in allen internationalen Organisationen, einschliesslich der Vereinten Nationen, nicht zu widersetzen. Darin wird von Serbien erwartet, dass es bei der Zerstörung seiner eigenen Integrität, seiner verfassungsmässigen Ordnung und seines internationalen Ansehens mitwirkt, so dass der «Fall Kosovo» später von keiner Partei als Präzedenzfall für zukünftige einseitige Sezessionen genutzt werden kann. Die Autoren beabsichtigen, das Einlenken Serbiens auf das Ultimatum zu nutzen, um die nicht anerkennenden Staaten (Spanien, Rumänien, die Slowakei, Griechenland und Zypern), d. h. fünf EU- und vier Nato-Mitglieder, dazu zu bringen, den sogenannten Kosovo anzuerkennen und so die interne Uneinigkeit innerhalb der EU und der Nato zu «heilen». Ein weiteres Ziel ist es, Serbien die Verantwortung für die Opfer, die Verwüstungen und die Folgen des Einsatzes von Waffen mit abgereichertem Uran während der Nato-Aggression von 1999 zuzuschieben, obwohl Serbien selbst das Opfer war. Ihr letztes Ziel ist es, Serbien in eine sogenannte «Allianz der Demokratien» einzubinden, die geschaffen wurde, um Russland und China als angebliche «Autokratien» zu konfrontieren. Dieses beschämende Papier wird in Zukunft als Illustration dafür dienen, wie die expansionistischen Ziele der militärischen Nato-Aggression gegen Serbien (BRJ) im Jahr 1999 jahrzehntelang mit anderen Methoden wie Ultimaten, Drohungen mit wirtschaftlichem und politischem Zwang fortgesetzt wurden.

USA und EU ignorieren
Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats

Der sogenannte Scholz-Macron-Vorschlag, der sich nun in eine von den USA unterstützte EU-Initiative verwandelt hat, und die jüngsten Aktivitäten der «Big Five» in Belgrad sind nichts anderes als eine Usurpation und eine Vorwegnahme der Vorrechte und der Entscheidung des UN-Sicherheitsrats als dem einzigen Gremium, das für die Entscheidung über Fragen des Friedens und der Sicherheit zuständig ist. Sie ignorieren die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats als einen allgemein verbindlichen Rechtsakt von höchster Rechtskraft und versuchen, Serbien, ein friedliches und militärisch neutrales Land, in eine globale Konfrontation zu ziehen. Dieses rücksichtslose, einseitige und willkürliche Vorgehen ist nicht nur antiserbisch, sondern hat auch unvorhersehbare Folgen.
  Der Kosovo-und-Metohija-Konflikt ist weder ein eingefrorener Konflikt, wie der Westen behauptet und wie es in Belgrad zu hören ist, noch kann er durch die Stellung eines Ultimatums an Serbien gelöst werden. Eine hypothetische Annahme des Ultimatums würde weder den Frieden noch die Sicherheit der Serben in der Provinz retten, sondern nur dazu beitragen, dass sich das Konfliktpotential aufstaut, weitere Separatisierungen gefördert und Serbien und die serbische Nation gedemütigt werden. Die Ursache und das Wesen des Problems in bezug auf Kosovo und Metohija liegt in der Geopolitik, die von der Dominanz der führenden westlichen Mächte und ihrer Expansion nach Osten bestimmt wird. Die Nato setzt alles daran, Kosovo und Metohija sowie ganz Serbien zu einem Sprungbrett für ihren Vorstoss nach Osten zu machen, um Serbien gegen Russland und China auszuspielen.

Serbien darf nicht nachgeben

Die Frage des Status der Provinz Kosovo und Metohija kann jedoch nicht durch die Annahme eines Ultimatums gelöst werden, sondern nur durch das Beharren auf der Einhaltung der Verfassung sowie der international anerkannten Grenzen und der UN-Sicherheitsrats-Resolution 1244. Selbst wenn Serbien auf das Ultimatum einginge, blieben die Serben in Kosovo und in Metohija unsicher, ihr illegal besetzter Grund und Boden würde nicht zurückgegeben, rund 250 000 vertriebene Serben und andere Nicht-Albaner könnten nicht frei und sicher in ihre Häuser zurückkehren, serbisches Staats- und Gesellschaftseigentum bliebe usurpiert. Wenn überhaupt sollte sich Serbien darüber im klaren sein, dass ein Nachgeben gegenüber dem Ultimatum nur dazu führen könnte, gefährliche Konfrontations- und Eskalationstendenzen zu beschleunigen, sowohl auf regionaler als auch auf europäischer Ebene.
  Eine mögliche Zustimmung Serbiens zum Beitritt des sogenannten Kosovo zu den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen wäre gleichbedeutend mit der Anerkennung seiner internationalen Rechtspersönlichkeit, was alle möglichen Konsequenzen nach sich ziehen würde, angefangen bei einer Eskalation bis hin zur Schaffung von Grossalbanien auf Kosten von Staatsterritorien nicht nur Serbiens, sondern auch einiger anderer Balkan-Staaten. Gibt es in Serbien irgend jemanden, der an die neuen Garantien und Versprechen des Westens glaubt? War es nicht Angela Merkel, die uns kürzlich davor gewarnt hat, ihren Zusicherungen zu vertrauen? Oder ist unsere Leichtgläubigkeit bereits grenzenlos geworden?

Wenig überzeugende diplomatische Kosmetik

Die Versprechen bezüglich der Selbstverwaltung der Serben, der Gemeinschaft der serbischen Gemeinden – auch wenn diese laut Derek Chollet [Chefberater des US-Department of State] gemäss der Verfassung des Kosovo» gegründet wurde – und das der «Formalisierung des Status der serbisch-orthodoxen Kirche» ändern nicht im geringsten den wahren Charakter des Ultimatums von Scholz-Macron (EU). Warum? Weil sein Kern in der Forderung liegt, dass Serbien zunächst stillschweigend und später formell rechtlich die Unabhängigkeit des sogenannten Kosovo anerkennt und dessen Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen akzeptiert. Der Rest ist lediglich Teil einer mehr oder weniger überzeugenden diplomatischen Kosmetik und der Taktik, das «Gesicht» des Opfers zu wahren.
  Die Geschichte warnt davor, dass Frieden, Stabilität und ein besseres Leben nicht dadurch bewahrt werden können, dass man sich auf Kosten der Souveränität und der territorialen Integrität auf ein Ultimatum einlässt. Erinnern wir uns daran: Das Münchner Abkommen von 1938 über die Abtrennung des Sudetenlandes von der Tschechoslowakei, ein Ultimatum, hinter dem Rücken Russlands gestellt, wurde auch von den damaligen Führern Deutschlands, Frankreichs, Italiens und des Vereinigten Königreichs öffentlich als die Rettung des Friedens in Europa angepriesen. Es ist sehr gefährlich, dass die heutigen Führer dieser Länder die Lehren aus der Vergangenheit nicht gezogen haben und ziehen.

Überleben Serbiens als Beitrag zum Frieden

Die Position, die gegenüber der Verfassung, der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates, den international anerkannten Grenzen Serbiens und dem Völkerrecht eingenommen wird, ist nicht die Frage eines Ultimatums oder eines einmaligen Deals, sondern vielmehr eine Frage der Position gegenüber dem Überleben Serbiens als altem europäischen Staat und der serbischen Nation als einem Faktor, der zu Frieden, Stabilität und Fortschritt auf dem Balkan, in Europa und in der Welt beiträgt. Dieser Status und das Ansehen Serbiens werden von der Mehrheit der Länder der Welt, von etwa zwei Dritteln der Weltbevölkerung, bestätigt, die dieses illegale Konstrukt nicht als Staat anerkannt haben und auch nicht anerkennen wollen. Darunter befindet sich eine nicht geringe Zahl von Ländern, die auf Bitten Serbiens ihre früheren Anerkennungen zurückgenommen haben, ohne Angst vor dem ultimativen Druck des Westens, dies nicht zu tun.  •

(Übersetzung aus dem Englischen Zeit-Fragen)



Živadin Jovanović ist Präsident des «Belgrader Forums für eine Welt der Gleichen». Er studierte Rechtswissenschaft an der Universität Belgrad, von 1964 bis 2000 war er im diplomatischen Dienst der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (ab 1992 Bundesrepublik Jugoslawien BRJ) tätig, von 1988 bis 1993 Botschafter in Luanda/Angola, von 1995 bis 1998 stellvertretender Aussenminister, von 1998 bis 2000 Aussenminister, 1996 Mitglied des serbischen Parlamentes und 2000 im Parlament der Bundesrepublik Jugoslawien. Neben zahlreichen Artikeln und Interviews publizierte er u. a. folgende Bücher: «The Bridges» (2002); «Abolishing the State» (2003); «The Kosovo Mirror» (2006).

Unsere Website verwendet Cookies, damit wir die Page fortlaufend verbessern und Ihnen ein optimiertes Besucher-Erlebnis ermöglichen können. Wenn Sie auf dieser Webseite weiterlesen, erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.
Weitere Informationen zu Cookies finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
 

Wenn Sie das Setzen von Cookies z.B. durch Google Analytics unterbinden möchten, können Sie dies mithilfe dieses Browser Add-Ons einrichten.

OK