OSZE-Jahrestagung in Wien – Österreichische Regierung bleibt standhaft

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Die Parlamentarische Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wird sich am 23./24. Februar 2023 zu ihrer Jahrestagung in Wien zusammenfinden. Der Versammlung gehören 323 Parlamentarierinnen und Parlamentarier von Vancouver bis Wladiwostok an.

Auf ihrer Jahrestagung 2023 wird die Parlamentarische Versammlung der OSZE eine Debatte abhalten zum einseitig formulierten Thema «Ein Jahr später: Russlands anhaltender umfassender Krieg gegen die Ukraine», mit Reden mehrerer OSZE-Sonderbeauftragter. Statt bereit zu sein, auch den Standpunkt Russlands anzuhören, haben vor kurzem 81 Abgeordnete aus 20 Ländern die österreichische Bundesregierung in einem Brief aufgefordert, «die Teilnahme der russischen Delegation an der OSZE-Tagung in Wien zu verhindern». Österreich solle russischen (und belarussischen) Abgeordneten, die unter westlichen Sanktionen stehen, keine Visa ausstellen, so die Absender.

«Völkerrecht ist einzuhalten, auch wenn das nicht populär ist»

Die österreichische Regierung liess sich jedoch nicht von ihrem rechtmässigen Kurs abbringen. Aussenminister Alexander Schallenberg sagte am 3. Februar vor einem Ausschuss des Nationalrats, Österreich sei völkerrechtlich zur Visa-Ausstellung verpflichtet, und er werde sicher keinen Rechtsbruch begehen. Das Völkerrecht sei einzuhalten, auch wenn das nicht populär sei.1
  Diese Position bestätigt auch die Parlamentarische Versammlung der OSZE selbst. Sie schreibt gemäss Presse, das Amtssitzabkommen verlange von Österreich, den teilnehmenden Delegationen die Einreise zu erleichtern, «was bedeutet, dass das Ausstellen von Visa keine Ermessensfrage, sondern eine Frage der rechtlichen Verpflichtung ist».2
  Im Gespräch mit dem ORF wies Aussenminister Schallenberg auch auf die Bedeutung hin, welche der OSZE als Plattform zukommen sollte: «Die OSZE war nie eine Organisation von Gleichgesinnten. […] Aber wir müssen im Gespräch bleiben. Denn irgendwann wird der Diplomatie hoffentlich wieder Raum gegeben.»
  Es folgte die dramatische Drohung Litauens, das Treffen zu boykottieren, denn seiner Delegation könne nicht zugemutet werden, «im selben Raum mit den Leuten zu sitzen, die vor ein spezielles Militärgericht gestellt werden sollten, weil diese Leute direkt für die Auslösung des Krieges verantwortlich sind». Dazu meinte der österreichische Aussenminister gelassen, es sei «schade», dass die parlamentarische Versammlung der OSZE, in der Parlamentarier aus den OSZE-Ländern zusammenkommen, so «emotional überfrachtet» sei, während das Treffen der OSZE-Botschafter jeden Dienstag in der Wiener Hofburg stattfinde.3
  Als Schweizerin könnte man fast neidisch werden. Österreich, das seine immerwährende bewaffnete Neutralität nach dem Zweiten Weltkrieg nach dem Vorbild der Schweiz gestaltet hat, lässt sich – trotz EU-Mitgliedschaft! – nicht vom neutralen und rechtsstaatlichen Weg abbringen. Für die österreichische Regierung sind die Pflichten des Neutralen offenbar klar: Keine Waffen in die Ukraine liefern, keine Kriegstransporte durch den österreichischen Luftraum und die Pflicht, als Depositarstaat der OSZE alle Mitgliedsstaaten gleich zu behandeln. Vielleicht sollten wir unseren Aussenminister für ein Weilchen zur Nachhilfe nach Wien schicken? Denn auch das IKRK, das für seine segensreichen humanitären Aktivitäten auf das Vertrauen aller Kriegs- und Konfliktparteien angewiesen ist, muss wieder auf die Neutralität der Schweiz als Depositarstaat bauen können.

«Es muss noch irgendwo eine Organisation geben,
wo man noch miteinander reden kann»

Im Echo der Zeit äusserte sich Manfred Nowak, Professor für Internationales Recht und Menschenrechte an der Universität Wien, im selben Sinn: Als Sitz der OSZE habe Wien ein «Amtssitzabkommen Österreich und OSZE» abgeschlossen und sei daher dazu verpflichtet, allen 57 Mitgliedern der OSZE, einschliesslich Russland und Belarus, das Recht zu gewähren, an OSZE-Treffen in Wien teilzunehmen. Dieses Amtssitzabkommen sei höher zu gewichten als die Sanktionen der EU, zum Beispiel das Einreiseverbot für russische Politikerinnen und Diplomaten, so Nowak. Anders als der Europarat könne die OSZE Russland nicht ausschliessen, denn sie sehe keinen Ausschlussmechanismus vor: «Das hat damit zu tun, dass die OSZE [damals KSZE] 1975 in Helsinki gegründet wurde, im Kalten Krieg, um zu versuchen, zwischen der USA auf der einen Seite und der Sowjetunion auf der anderen Seite, und den europäischen Staaten, eine Gesprächsbasis zu finden.»
  Professor Nowak würde auch in den Vereinten Nationen nicht für eine Ausschlussklausel plädieren, «denn es muss noch irgendwo eine Organisation geben, wo man noch miteinander reden kann. Russland nur zu isolieren, würde auch dazu führen, dass es keine Möglichkeit mehr gibt, Frieden zu schliessen, und dafür ist neben der Uno die OSZE die wichtigste internationale Organisation, denn da geht’s auch um Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Und darum, dass die OSZE, die ja auch eine grosse Beobachtermission in der Ukraine hatte, wieder zu einer Plattform wird, wo möglicherweise auch Friedensverhandlungen ermöglicht werden.»4

Ein Blick zurück: Schwächung der OSZE durch den Westen (2020) – cui bono?

Man kann Manfred Nowak nur zustimmen: Die OSZE könnte in den heutigen schrecklichen Kriegen in Europa, so in der Ukraine oder in Nagorni-Karabach, eine wichtige Rolle spielen, um die Parteien an einen Tisch zu bringen. Könnte … Wie Zeit-Fragen im Juli 2020 berichtete, zeigten die Nato- und EU-Staaten schon damals wenig Interesse an einer starken OSZE. Im Gegenteil betrieben einige von ihnen, wie Norwegen und Kanada, aktiv die Abwahl der tatkräftigen OSZE-Führungscrew, inklusive des Schweizer Generalsekretärs Thomas Greminger, der wirkungsvollere Instrumente zur Deeskalation von Spannungen zwischen den Staaten vorgeschlagen hatte.5
  Eines dieser Instrumente war die von Professor Nowak erwähnte Beobachtermission, die nach dem Putsch auf dem Maidan 2014 eingerichtet worden war. Sie zeichnete die Verletzungen des Waffenstillstands im Donbass auf. Jede einzelne Explosion ist mit Bild und genauer Zeitangabe dokumentiert. Diese gingen, wie 2020 berichtet, mehrheitlich von der ukrainischen Armee aus. Dass die Beobachter so unparteiisch waren, ging offensichtlich einigen westlichen Mächten gegen den Strich.
  Angesichts des Vorrückens der Nato an die russische Grenze, des massiven Ausbaus ihres militärischen Potentials in Osteuropa und der Schaffung eines Feindbildes von Russland forderte der russische Aussenminister Sergei Lawrow bereits im Dezember 2019 am Ministertreffen der OSZE diese zum Handeln auf: «Es ist wichtig, diesen gefährlichen Trend zu unterbinden und die weitere Tendenz zur Konfrontation zu stoppen. […] Die OSZE könnte und sollte wegen ihres riesigen geographischen Umfangs und der allumfassenden Herangehensweise an das Thema Sicherheit, wegen des Konsensprinzips und des Kulturdialogs eine wichtige Rolle bei der Lösung dieser Aufgaben spielen.»6
  Die KSZE/OSZE wurde als Forum für den Austausch und den Brückenbau zwischen Teilnehmerstaaten mit unterschiedlichen -politischen Standpunkten gegründet. An der bevorstehenden Parlamentarischen Versammlung in Wien nur die Sicht der einen Seite zuzulassen, mag zwar dem Willen der einzigen Supermacht und der heutigen aufgeheizten Stimmung entsprechen, aber gewiss nicht dem Grundgedanken der OSZE.  •



1 Parlament Österreich. Parlamentskorrespondenz Nr. 111 vom 3.2.2023. «Aussenminister Schallenberg verteidigt Einreiseerlaubnis für russische OSZE-Delegation»
2 «OSZE: Österreich rechtlich verpflichtet, allen Delegationen für Tagung Visa auszustellen». In: Der Standard vom 7. 2.2023
3 Swaton, Chiara. «Österreich verteidigt Teilnahme Russlands an OSZE-Plenartagung». In: Euractiv.de vom 7.2.2023
4 Scheidegger, Christina. «Diplomatische Turbulenzen vor OSZE-Tagung in Wien». In: Radio SRF, Echo der Zeit vom 10.2.2023
5 Wüthrich, Marianne. «Die OSZE ist nur so stark, wie dies das weltpolitische Klima zulässt». In: Zeit-Fragen vom 28.7.2020
6 «Lawrow will OSZE-Friedensinitiative: Die Nato steht an unseren Grenzen und erklärt uns zum Feind». In: RT deutsch vom 6.12.2019


Bundesverwaltung: Konfiskation privater russischer Vermögenswerte wäre verfassungswidrig

mw. Der Bundesrat hat vor kurzem eine verwaltungsinterne Arbeitsgruppe beauftragt zu klären, ob gesperrte russische Vermögenswerte für den Wiederaufbau der Ukraine verwendet werden dürfen. Die Arbeitsgruppe des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), des Staatssekretariats für Internationale Finanzfragen (SIF) und der Direktion für Völkerrecht (DV) unter der Leitung des Bundesamtes für Justiz (BJ) hat am 15. Februar dem Bundesrat die Ergebnisse ihrer Untersuchung mitgeteilt.
  Es ist positiv zu vermerken, dass die Bundesverwaltung sich selbst und uns Bürger an die Grundlagen des Rechtsstaats erinnert. Die Arbeitsgruppe kommt zum Schluss, «dass die entschädigungslose Enteignung von Privateigentum rechtmässiger Herkunft nach Schweizer Recht nicht zulässig ist. Die Einziehung eingefrorener privater Vermögenswerte widerspricht der Bundesverfassung, der geltenden Rechtsordnung und verletzt internationale Verpflichtungen der Schweiz.» (Medienmitteilung des Bundesrates vom 15.2.2023)
  Ein Dokument des Seco – das bereits im Oktober 2022 vorlag – erklärt genauer, warum russische Staatsangehörige nach Schweizer Recht nicht enteignet werden dürfen, nur weil sie auf einer Sanktionsliste stehen:

  • Voraussetzung für die Einziehung von Vermögenswerten ist ein Strafverfahren in der Schweiz, in dem die unrechtmässige Herkunft der Vermögenswerte festgestellt wurde. (Strafgesetzbuch Art. 70)
  • «Die Aufnahme in eine Sanktionsliste bedeutet nicht per se, dass die Person eine Straftat begangen hat, und die Sperrung von Geldern bedeutet keineswegs, dass diese unrechtmässig erworben wurden. Aus diesem Grund wäre es aus rechtsstaatlicher Sicht höchst fragwürdig, Vermögenswerte russischer Unternehmen oder Bürger nur auf Grund von Staatsnähe [?] oder auf der Grundlage bestehender Sanktionen einzuziehen.»
  • «Tatsächlich behalten die sanktionierten Personen das Eigentum an ihren gesperrten Vermögenswerten und wirtschaftlichen Ressourcen […]. Sie erhalten die Vermögenswerte zurück, wenn die Sanktionsmassnahmen aufgehoben werden.»
  • Die Einziehung von Vermögenswerten stellt «einen schweren Eingriff in die Eigentumsgarantie und andere verfassungsrechtlich garantierte Grundrechte der betroffenen Personen dar.» – «Die Vereinbarkeit einer solchen Massnahme mit den Grundsätzen der Legalität und der Verhältnismässigkeit (Art. 5 BV) sowie mit der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) wird in Frage gestellt.»
  • Im Schweizer Recht gibt es «keine Rechtsgrundlage für die Rückgabe von gesperrten Vermögenswerten an die Ukraine».

Hier noch eine kleine Erinnerung an die Souveränität der Schweiz (wäre ausbaubar …):

  • «Die Schweiz hat zwar in vielen Fällen die Sanktionsmassnahmen der EU übernommen, behält sich aber vor, die strafrechtlichen Bestimmungen autonom zu regeln. Sie hat keine rechtliche oder politische Verpflichtung, sich an die derzeitigen oder künftigen Strafbestimmungen der EU anzupassen.»  •

Quelle: Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBFStaatssekretariat für Wirtschaft SecoSanktionen.
«22-07 Sperrung und Konfiskation von Vermögenswerten: Grenzen der rechtlichen Rahmenbedingungen».
Stellungnahme zuhanden der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats vom 26.10.2022

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