Es braucht eine Charta für die Rechte von Whistleblowern

Es braucht eine Charta für die Rechte von Whistleblowern

Zum Internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai 2017

Mitteilung des UN-Sonderberichterstatters für die Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung, Prof. Dr. iur. et phil. Alfred de Zayas

Aus Anlass des Internationalen Tags der Pressefreiheit erinnert der UN-Sonderberichterstatter für die Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung, Alfred de Zayas, private und öffentliche Medien daran, dass sie eine wichtige Vertrauensstellung bei uns allen geniessen und dass sie gemäss Artikel 19 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) dazu verpflichtet sind, eine objektive Berichterstattung und die Verbreitung vielfältiger Sichtweisen sicherzustellen, damit die Zivilgesellschaft sich ihre eigene Meinung bilden und so ihr Recht auf öffentliche Teilhabe wahrnehmen kann, wie es in Artikel 25 ICCPR vorgesehen ist.

Schon George Orwell warnte uns vor dem «Neusprech» und der Tendenz des öffentlichen und privaten Sektors, Begriffe zu manipulieren und falsche oder unvollständige Informationen zu verbreiten, was wir heute als «fake news» oder «Desinformation» bezeichnen. Tatsächlich sind es nicht nur Regierungen, die die öffentliche Meinung manipulieren, sondern auch private Interessengruppen, die versuchen, sie zu beeinflussen. Wenn Artikel 19 und 25 von Bedeutung sein sollen, heisst das, dass in einer demokratischen Gesellschaft jeder Zugang zu verlässlichen Informationen haben muss, damit eine persönliche Meinung gebildet werden kann. Es ist diese persönliche Meinung, die durch die Meinungsäusserungsfreiheit geschützt ist. Es wäre sehr bedauerlich, wenn die einzige Meinungsfreiheit, die durch das Recht anerkannt ist, die Freiheit wäre, jedweden Unsinn, den wir gestern Abend im Tele­journal gehört oder in den Zeitungen, bei Facebook oder Twitter gelesen haben, nachzubeten.
Die Gefahr von Wortneuschöpfungen, Euphemismen und Begriffsmanipulationen hat Lewis Carroll in «Alice im Wunderland» beschrieben: «Wenn ich ein Wort verwende», sagte Humpty Dumpty ziemlich geringschätzig, «dann bedeutet es genau das, was ich es bedeuten lasse, und nichts anderes». «Die Frage ist doch», sagte Alice, «ob du den Worten einfach so viele verschiedene Bedeutungen geben kannst.» «Die Frage ist», sagte Humpty Dumpty, «wer die Macht hat – und das ist alles.»1
Sprache bedeutet tatsächlich etwas. Das Wort kann stärker sein als das Schwert. Aber die Sprache kann auch vom Inhalt entleert sein und willkürlich verwendet werden, heute bedeutet es dies, morgen etwas anderes.
Alle Journalisten sollten sich immer bewusst sein, dass das, was sie schreiben, Auswirkungen auf die Gesellschaft hat und zur Versöhnung oder zu mehr Gewalt führen kann. Daher sollten sie Artikel 20 ICCPR im Hinterkopf behalten, der Kriegspropaganda und Aufstachelung zu Hass verbietet. Verantwortungsbewusste Journalisten müssen die Wahrheit berichten, ohne  Chauvinismus oder Rassismus zu betreiben.
Am Internationalen Tag der Pressefreiheit müssen wir die Arbeit von Journalisten in vielen Ländern würdigen, die täglich arbeiten, um die Information zu bekommen, die wir so dringend benötigen. Viele Journalisten bezahlen diesen Einsatz mit ihrem Leben. Die Zahl der Journalisten, die getötet oder eingesperrt werden, ist erschreckend.
Ich begrüsse die wichtige Arbeit von Whistleblowern, einschliesslich der Internationalen Vereinigung der Investigativen Journalisten (ICIJ), welche die Skandale im Zusammenhang mit Steuerflucht in Steueroasen aufdeckten, einschliesslich Panama und Bahamas. Ich begrüsse die Arbeit von Whistleblowern wie Edward Snowden, der der Welt das Ausmass zeigte, mit welchem unsere Privatsphäre tagtäglich verletzt wird. Ich begrüsse die Arbeit von Julian Assange, dem zahlreiche Menschenrechtspreise verliehen wurden, bis er es gewagt hat, die Verbrechen, die im Irak begangen wurden, aufzudecken und der die geheimen Umwelt-, Gesundheits- und Investitionsschutzkapitel von internationalen Investitionsverträgen veröffentlicht hat, wie TPP, CETA und TTIP, und der damit der Zivilgesellschaft Gelegenheit gegeben hat, sie zu diskutieren und sich dagegen zu wehren, auch wenn es sehr spät war. Whistleblower sind im wahrsten Sinne des Wortes Verteidiger der Menschenrechte.
Wie ich in meinem Bericht an die UN-Generalversammlung (A/71/286) dargelegt habe, sollte eine Charta der Rechte von Whistleblowern verabschiedet werden, damit Whistleblower nicht länger der Verfolgung und Strafanklage ausgesetzt sind, sondern vielmehr wirksamen Schutz erfahren. Die Gesetze sollten auf jene Personen angewendet werden, deren kriminelle Handlungen von den Whistleblowern aufgedeckt werden. Aber diejenigen, die Kriegsverbrechen begehen, diejenigen, die in Korruption verwickelt sind, diejenigen, die sich verschwören, um Staaten um ihre Steuereinnahmen zu betrügen, geniessen weiterhin Straflosigkeit.
Am Internationalen Tag der Pressefreiheit wollen wir den Beruf des Journalisten würdigen und Journalisten, Blogger, Whistleblower dazu ermutigen, weiterhin dabei zu helfen, die Welt voranzubringen, um zu einer demokratischeren und gleichwertigeren internationalen Ordnung zu kommen, zu Gerechtigkeit und Frieden, die auf Wahrheit gegründet sind.     •

1    Carroll, Lewis. Through the Looking-Glass. New York 1872, S. 72 [Alice hinter den Spiegeln]

Quelle: <link http: www.ohchr.org en issues intorder pages articles.aspx>www.ohchr.org/EN/Issues/IntOrder/Pages/Articles.aspx 

(Übersetzung Zeit-Fragen)

Am 20. Dezember 1993 erklärte die Uno-Generalversammlung den 3. Mai zum Welttag der Pressefreiheit.
Seit 1994 wird jährlich am 3. Mai auf Verletzungen der Pressefreiheit sowie auf die grundlegende Bedeutung freier Berichterstattung für die Existenz von Demokratien aufmerksam gemacht.

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte*

Artikel 19

  1. Jedermann hat das Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit.
  2. Jedermann hat das Recht auf freie Meinungsäusserung; dieses Recht schliesst die Freiheit ein, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere Mittel eigener Wahl sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben.
  3. Die Ausübung der in Absatz 2 vorgesehenen Rechte ist mit besonderen Pflichten und einer besonderen Verantwortung verbunden. Sie kann daher bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die erforderlich sind
    a    für die Achtung der Rechte oder des Rufs anderer;
    b    für den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit.

Artikel 20

  1. Jede Kriegspropaganda wird durch Gesetz verboten.
  2. Jedes Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Hass, durch das zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird, wird durch Gesetz verboten.

Artikel 25

Jeder Staatsbürger hat das Recht und die Möglichkeit, ohne Unterschied nach den in Artikel 2 genannten Merkmalen und ohne unangemessene Einschränkungen
a    an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen;
b    bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen, bei denen die freie Äusserung des Wählerwillens gewährleistet ist, zu wählen und gewählt zu werden;
c    unter allgemeinen Gesichtspunkten der Gleichheit zu öffentlichen Ämtern seines Landes Zugang zu haben.

* Der Pakt vom 19.12.1966 wurde bislang von 169 Staaten unterzeichnet und ist rechtsverbindlich.

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