Im Zeichen des Dialogs Vertrauen schaffen

Deutsch-Russische Städtepartnerkonferenz in Düren 2019 | von Eva-Maria Föllmer-Müller

Wie sich Menschen über Grenzen und unterschiedliche Meinungen hinweg verständigen und an gemeinsamen Projekten arbeiten können, zeigen die mehr als hundert deutsch-russischen Städtepartnerschaften, deren Vertreter sich vom 25. bis zum 28. Juni im Kreis Düren (Deutschland) zur 15. Deutsch-Russischen Städtepartnerkonferenz trafen. Alle zwei Jahre finden Städtepartnerkonferenzen statt, abwechselnd in Russland und Deutschland. Ziel der Konferenzen ist, Perspektiven für eine intensivere Zusammenarbeit auf regionaler und kommunaler Ebene sowie neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Kommunen zu entwickeln. Zuletzt war die russische Stadt Krasnodar Gastgeber (siehe auch Zeit-Fragen Nr. 17/18 vom 17. Juli 2017).

Über 800 Teilnehmer waren nach Düren gekommen, unter ihnen 300 Gäste aus mehr als 100 Städten in Russland. Sie waren angereist, um miteinander darüber zu sprechen, wie sie ihre Städtepartnerschaften weiterentwickeln können: Vertreter von Städten und Gemeinden, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Politik und Wirtschaft aus Deutschland und Russland. Eine bunte, selbstbewusste Zivilgesellschaft, die in freundschaftlicher Atmosphäre zusammengekommen war, um sich auszutauschen und voranzuschreiten; denn sie wissen, was sie tun. Allen Feindseligkeiten in den deutsch-russischen Beziehungen auf politischer und medialer Ebene zum Trotz. Immer wieder wurde die Bedeutung der zwischenmenschlichen Beziehungen und der Freundschaft betont.

Verständigung über politische Gräben hinweg

Mit grosser Begeisterung hat Wolfgang Spelthan, Landrat des Kreises Düren, seine Gastgeberrolle ausgefüllt. Mutig. Über 50 Helferinnen und Helfer waren darum bemüht, den Teilnehmern den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Umrahmt wurde die Veranstaltung mit musikalischen Beiträgen der Weltklasse.
Störend aufgefallen ist die Abwesenheit vieler, insbesondere der grossen Medien. Hier könnte etwas zur dringend notwendigen Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern und zum Frieden beigetragen werden – wenn es denn gewollt wäre. Die Menschen haben ein Recht darauf zu erfahren, was im Kreis Düren stattgefunden hat.
Mit dem Thema der Konferenz «Wege der Verständigung: Partnerschaften als Mittler des Deutsch-Russischen Dialogs» wurden kommunale Wege der Verständigung aufgezeigt und über politische Gräben hinweggeholfen. Sieben Arbeitsgruppen tagten zu Themen wie nachhaltige Stadtentwicklung, digitale Stadt, kommunale und regionale Entwicklung, Zusammenarbeit in Wissenschaft, Kultur und Sprachförderung, Inklusion und Teilhabe, Zivilgesellschaft gestaltet Städtepartnerschaften – Wege zum Frieden und medizinisch-wissenschaftliche und humanitäre Zusammenarbeit.  
Parallel dazu, vom 21. bis 28. Juni, fand das 3. Jugendforum der Deutsch-Russischen Städtepartnerschaften statt. Die 60 Jugendlichen aus Deutschland und Russland entwickelten Projekte für den Jugendaustausch zwischen den Partnerstädten.
Gastgeber der Konferenz war der Kreis Düren, vertreten durch den Landrat Wolfgang Spelthan, der die gesamte Veranstaltung begleitete. Städtepartnerschaften, so Spelthan, leben «vom Austausch und vom Dialog, weil beides die Grundlage für Toleranz, Völkerverständigung und letztlich für den Frieden ist.»

Ein Segen der Geschichte

Die Konferenz begann mit einer Kranzniederlegung am Gedenkstein für sowjetische Zwangsarbeiter am Westfriedhof in Aachen. Danach fand die feierliche Eröffnung im Krönungssaal des Aachener Rathauses (13. Jahrhundert) statt. Die Eröffnungsrede hielt der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet. Er erinnerte an den Zweiten Weltkrieg und die 27 Millionen Soldaten und Zivilisten der Sowjetunion, die nach dem deutschen Überfall (1941–1945) getötet wurden. Es sei «ein Segen der Geschichte, dass das russische Volk 45 Jahre später bereit war, die deutsche Wiedervereinigung zu akzeptieren». Der ehemalige Ministerpräsident von Brandenburg und Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums, Matthias Platzeck, sagte, Europa sei ohne Russland nicht zu denken. Er verwies darauf, dass nicht der D-Day in der Normandie kriegsentscheidend gewesen sei: Die Sowjetarmee habe die Hauptlast im Zweiten Weltkrieg getragen und den Sieg über den Faschismus errungen. «Nach dem einzigartigen Vernichtungskrieg, den Deutschland gegen die sowjetischen Völker geführt hat, haben sie Vergebung, Versöhnung und Freundschaft angeboten. Das ist ein grosses Geschenk.» Man dürfe nicht vergessen, dass die Wiedervereinigung auch möglich wurde durch den Abzug der sowjetischen Truppen aus der ehemaligen DDR 1991–1993.

Grussworte von Putin und Merkel

Für das historische Gedächtnis bedankte sich Sergej J. Netschajew, Botschafter der Russischen Föderation in Deutschland, bei Laschet und Platzeck. Der russische Präsident Wladimir Putin würdigte in seinem Grusswort die Städtepartnerschaften als «ein Stück Volksdiplomatie». Kanzlerin Angela Merkel sprach in ihrem Grusswort vom «besten Weg, Menschen zusammenzubringen».
Dr. Michail Schwydkoj, der Sonderbeauftragte des russischen Präsidenten für internationale kulturelle Zusammenarbeit, sah in der Konferenz und den vielen Teilnehmern ein wichtiges Zeichen zivilgesellschaftlicher Bemühungen um gute Beziehungen zwischen beiden Staaten. Für Platzeck ist dies «Volksdiplomatie im besten Sinne».
Am Ende der Veranstaltung wurde eine neue Städtepartnerschaft besiegelt: zwischen Innopolis (Oblast Tartastan) und Elgersburg (Thüringen); damit gibt es jetzt insgesamt 112 Deutsch-Russische Partnerschaften.

Engagierte, offene Diskussion

Der nächste Tag begann mit einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion zum Thema «Quo vadis deutsch-russische Beziehungen». Auf dem Podium sassen die Journalistin und Buchautorin Prof. Dr. Gabriele Krone-Schmalz, der Bundestagsabgeordnete und Russlandbeauftragte der Bundesregierung Dirk Wiese (SPD), Peter Franke, der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher West-Ost-Gesellschaften, und auf russischer Seite Dr. Michail Schwydkoj, Sonderbeauftragter des Präsidenten der Russischen Föderation für internationale kulturelle Zusammenarbeit, Pawel Sawalny, Vorsitzender der Russisch-Deutschen Parlamentariergruppe der Staatsduma, und Walerij Fadeev, Vorsitzender der Gesellschaftskammer der Russischen Föderation, der die Diskussion moderierte. Die Podiumsteilnehmer waren sich darin einig, dass man an der Fertigstellung der Ostseepipeline Nord Stream 2 festhalten will, dass die Visa-Regelungen gelockert und die Gedenkkultur über die Zeitzeugen hinaus gepflegt und gefördert werden müsse. Einigkeit bestand auch darin, dass direkte Kontakte zwischen den Menschen grundlegend für gute Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind.
In der anschliessenden lebhaften Diskussion mit den Teilnehmern wurden auch die neuralgischen Punkte in den deutsch-russischen Beziehungen offen angesprochen: Deutlich kritisiert wurden die EU-Sanktionen gegen Russland, die vor kurzem wegen der Krim-Krise verlängert wurden. Pawel ­Sawalny charakterisierte die ständige Verwendung des Begriffes «Annexion» im Zusammenhang mit der Krim als «Propaganda und Gehirnwäsche». Eine Teilnehmerin brachte auf, dass Partnerstädte der Krim an der Konferenz nicht teilnehmen durften. Laut Veranstalter hätte das Aussenministerium alle Fördermittel für die Konferenz gestrichen, wenn auch nur ein Teilnehmer gekommen wäre. Ein weiterer Teilnehmer warb für eine Petition, mit der die Bundesregierung aufgefordert wird, die Sanktionen gegen Russland zu beenden.

Realitäten zur Kenntnis nehmen

Prof. Dr. Gabriele Krone-Schmalz kritisierte die Tabuisierung des Themas «Krim»: «Man sollte doch Realitäten zur Kenntnis nehmen und zumindest darüber reden.» Sie hob hervor, dass die deutschen Bürger Russland sehr viel positiver gegenüberstehen, als dies in den Medien abgebildet wird. Michail Schwydkoj betonte die Bedeutung der Qualität der Beziehungen zwischen Deutschland und Russ­land. Allein in diesem Jahr seien die Visaanträge für Russ­landreisen deutlich gestiegen. Bis zum Mai seien in Bonn 21 000 Anträge gestellt worden. Er betonte die tiefe historische Verbundenheit zwischen beiden Ländern, die bis ins Mittelalter zurückreiche, und den unschätzbaren Wert dessen, was an Vergebung und Versöhnung bereits geleistet wurde. Städtepartnerschaften seien die demokratischste und die freieste Form der Partnerschaft, weil hier kein Blatt vor den Mund genommen wird. Das sei auf höherer politischer Ebene so nicht möglich. Peter Franke würdigte die Städtepartnerschaften: Sie «sind geprägt von einem tiefen Wunsch nach Frieden und gegenseitigem Austausch; und der trägt auch in schwierigen Zeiten.»
Matthias Platzeck würdigte die Qualität der Konferenz und die «Offenheit der Diskussion». Mit dem bekannten Zitat von Willy Brandt, «Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne Frieden nichts», fasste er zusammen: Es sei ganz deutlich zum Ausdruck gekommen, dass die Friedenspolitik und Abrüstungspolitik Kernthemen der nächsten Jahre sein müssen. Denn: «Was nützen alle zivilgesellschaftlichen Bemühungen, wenn die Möglichkeit nicht mehr da ist, im Frieden zu leben?»    •

«Eine Sisyphusarbeit, aber eine fröhliche»

russland.NEWS: Es ist inzwischen fast Mode geworden, die jetzige Situation mit dem Zustand des Kalten Krieges zu vergleichen.
Matthias Platzeck: Der Unterschied ist, dass wir im «alten» Kalten Krieg aus meiner Sicht strategischer gehandelt haben, in längeren Linien gedacht haben. Wenn man heute in einer Rede nicht ganz klar alles aufsagt, was zum Narrativ gehört (Krim, Ostukraine, Syrien usw.), dann wird die Rede gar nicht mehr weiter angehört: die Schulnote ist geschrieben, die Schlagzeile steht: «Russen-Knecht», «Putin-Freund» usw. Egon Bahr hat mir einmal gesagt: Er fragt sich, ob unter den heutigen Bedingungen die damalige Ostpolitik überhaupt eine Chance gehabt hätte. Willy Brandt wurde damals als «Vaterlandesverräter» von «Frankfurter Allgemeine Zeitung» und ZDF beschimpft. Aber z.B. Der Spiegel und die ARD haben seine Ansätze verteidigt. Also gab es einen regelrechten Meinungskampf. Heute gibt es aber nur eine Richtung, und zwar Russ­land zu verurteilen, ohne vielleicht zu fragen, warum sie handeln, wie sie handeln.
[…]
Herr Platzeck, kommen Sie sich manchmal nicht wie ein Prediger in der Wüste vor?
Das kann nur jemand fragen, der denkt, dass es in der Politik endgültige Zustände gäbe. Alles, was wir hier machen, sind Daueraufgaben. Man schiebt den Stein nach oben, dann fällt er wieder runter. Man muss Spass daran haben, immer von vorne anzufangen. Das ist zwar eine Sisyphusarbeit, aber eine fröhliche.

Quelle: Daria Boll-Palievskaya / russland.NEWS vom 9.7.2019

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