Leserbrief

Anmerkungen zur Buchbesprechung «Hilde Domin – Dichterin des Dennoch»

Die ausgezeichnete Buchbesprechung von Susanne Wiesinger in Zeit-Fragen Nr. 9 vom 5. Mai 2020 hat mir die Dichterin Hilde Domin wieder in Erinnerung gebracht und mich angeregt, die besprochene Biographie zu lesen. Nach deren Lektüre habe ich mir die gesammelten Gedichte und die «Gesammelten auto-biographischen Schriften. Fast ein Lebenslauf» (Fischer Taschenbuch 1998) besorgt.
Was in der besprochenen Biographie von Ilka Scheidgen anklingt, wird in den eigenen Schriften Hilde Domins noch um vieles deutlicher: die Fähigkeit und der Wille, mit dem anderen Menschen direkt in Beziehung zu treten, ohne Angst vor Widerspruch, wissend, dass zwischen Menschen die Sachen geklärt werden sollten. Eines der Beispiele, die mich besonders beeindruckt haben, ist folgendes: Als Hilde Domin in den dreissiger Jahren mit ihrem Mann nach Italien reist, um sich vor den Nationalsozialisten in Sicherheit zu bringen, begegnet sie eines Tages in Florenz einem deutschen Ehepaar; die beiden sind  als Touristen unterwegs. Mit diesem Ehepaar war sie seit ihren Heidelberger Studentenzeiten befreundet. Das Paar begrüsst sie nicht nur nicht, sondern schaut auch demonstrativ weg. Eine für Hilde Domin und ihren Mann schmerzhafte Erfahrung. Als sie Anfang der fünfziger Jahre aus dem lateinamerikanischen Exil zurück nach Deutschland kommen, steht eben dieses Paar am Flughafen und begrüsst sie aufs herzlichste.
Hilde Domin ist sich bewusst, dass sie ohne eine Klärung der florentinischen Situation keine weitere Beziehung zu diesem Paar wird haben können. Und sie fragt nach, was damals war. «Wir hatten Angst», erhält sie zur Antwort. Das reicht ihr, um eine lebenslange Freundschaft weiterzuführen.
Ihre humorvolle Direktheit mit Schulkindern und Gefangenen, aber auch mit allen anderen Zuhörern, vor denen sie ihre Gedichte liest, hilft ihr und ihren Zuhörern, komplizierte Situationen zu überwinden. Sie beschreibt anschaulich, wie sie sich immer ein Gesicht in der Zuhörerschaft aussucht, zu dem sie ganz besonders spricht. Oft entstehen daraus Freundschaften.
Susanne Wiesinger sei gedankt, die Leser von Zeit-Fragen auf diese lebensbejahende  und mutige, für den Frieden eintretende Dichterin aufmerksam gemacht zu haben.

Rita Müller-Hill, Köln

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