Immerwährende Neutralität gilt gerade auch in schwierigen Zeiten: Die Österreicher machen es vor

mw. Am 15. Mai 1955 wurde Österreich mit dem «Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich» ein souveräner Staat. Am 26. Oktober 1955 beschloss der Nationalrat das «Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs» (Neutralitätsgesetz) und unterstellte das Land damit dem Haager Abkommen von 1907 (Recht auf Unverletzlichkeit des Territoriums; Pflicht, im Falle eines Krieges keine Partei zu unterstützen, keine Waffen zu liefern oder zu finanzieren).1 Österreich stimmte der immerwährenden Neutralität nach dem Vorbild der Schweiz aber nicht nur deshalb zu, weil die Alliierten es verlangten. Vielmehr stand die Bevölkerung damals und steht bis heute hinter dem Neutralitätsprinzip. Das belegt die hohe Zustimmung der Bevölkerung und der Politiker zur Neutralität quer durch die Parteienlandschaft.
  Anders als die Schweiz ist Österreich seit 1995 EU-Mitglied und kann sich deshalb bei wirtschaftlichen Sanktionen der Union nicht ausklinken. Mit dem EU-Beitritt hat sich Österreich zudem bereiterklärt, an der gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik mitzuwirken. Aber im Ukrainekrieg hält sich Österreich an das Neutralitätsrecht und liefert kein Kriegsmaterial, ebenso wie das neutrale Irland.

Nur 14 Prozent der österreichischen Bevölkerung sind für einen Nato-Beitritt!

Während Schweden und Finnland den Beitritt zur Nato ins Auge fassen, bleiben die Österreicherinnen und Österreicher unbeirrt bei ihrer Neutralität: In einer anfangs Mai durchgeführten Umfrage2 sprachen sich lediglich 14 Prozent der Befragten für einen Nato-Beitritt aus, 75 Prozent lehnten ihn explizit ab. In einer anderen, im März 2022 durchgeführte Umfrage zur Wichtigkeit der Neutralität «gaben insgesamt 91 Prozent der Befragten an, dass ihnen auch vor dem Hintergrund des Russland-Ukraine-Krieges die Neutralität Österreichs wichtig sei. Nur […] 6 Prozent hingegen war sie nicht wichtig».3
  Mehr Kooperation der EU-Mitgliedsstaaten in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik befürworten 83 Prozent der Befragten, aber nur 37 Prozent wollen Österreichs Beteiligung an einem EU-Verteidigungsbündnis.4
  Aus diesen Umfrageergebnissen kann man schliessen, dass die Mehrheit der Bevölkerung eher die Stärkung einer eigenständigen europäischen Sicherheitspolitik ausserhalb der Nato unterstützen will, mit der Bereitschaft zur Kooperation, aber nicht zur Einbindung in eine EU-Armee. Damit kann die Neutralität, so gut es innerhalb der EU möglich ist, bewahrt werden.

Vergleich mit der Schweizer Bevölkerung

Gemäss einer Umfrage von sotomo im SonntagsBlick antworteten im April 35 Prozent der Befragten auf die Frage: «Soll die Schweiz enger mit dem Nato-Verteidigungsbündnis zusammenarbeiten?» mit Ja, 21 Prozent mit eher Ja. «Enger zusammenarbeiten» ist allerdings eine sehr unklare Formulierung. Vom Nato-Beitritt war wohlweislich nicht die Rede – offenbar wollte der «Blick» das zu erwartende wuchtige Nein vermeiden. Bei der Frage: «Soll die Schweiz Waffen an die Ukraine liefern?» zeigten die Schweizer jedenfalls klar, dass sie bei der Neutralität bleiben wollen: 56 Prozent antworteten mit Nein, 10 Prozent mit eher Nein, das ergibt eine Zweidrittel-Mehrheit.5

Politiker beziehen Stellung:
«Österreichs Neutralität ist Teil unserer nationalen Identität»

Während sich die Schweizer Bundesräte und Parlamentarier in Bezug auf die künftige Ausrichtung der eigenen Sicherheitspolitik beklagenswert uneinig sind, sprechen sich die österreichischen Spitzenpolitiker quer durch die Parteienlandschaft deutlich für die Beibehaltung der Neutralität aus.
  Nachdem Finnland und Schweden ihren Nato-Beitritt beantragt hatten, kam auch in Österreich die Frage aufs Tapet, ob die Neutralität heute noch das beste Sicherheitsinstrument für Österreich sei.

  • Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP): «Österreich war neutral, ist neutral und bleibt neutral.» Zum Nato-Beitritt: «Für Österreich stellt sich diese Frage so nicht, wir haben auch eine andere Geschichte als Schweden und Finnland.» (www.heute.at vom 17.5.2022)
  • Aussenminister Alexander Schallenberg (ÖVP): «Österreichs militärische Neutralität ist in unserer Verfassung verankert. Seit der Wiedererlangung der Souveränität nach dem Krieg ist sie Teil unserer unserer nationalen Identität. Wien wird immer eine Hauptstadt des Dialogs sein.» Schallenberg fügte hinzu: «Wir beteiligen uns an der europäischen Sicherheitspolitik, aber ein Nato-Beitritt steht nicht zur Diskussion, und die österreichische Bevölkerung unterstützt die Neutralität nachdrücklich. In einer Welt, in der die Konflikte auf wirtschaftlicher, militärischer und intellektueller Ebene offener geworden sind, kann Neutralität wieder ein Wert sein.»6
  • Umweltministerin Leonore Gewessler und andere Politiker der Grünen lehnen einen Nato-Beitritt Österreichs ebenfalls ab: Österreich sei ein neutrales Land und lebe diese Neutralität aktiv, so Gewessler. Einige grüne Politiker fügten hinzu, dass sich «Österreich auf anderen Gebieten mehr engagieren solle, um nicht als sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer der Nato angesehen zu werden».7
      Anmerkung: In der Schweiz ist der «Trittbrettfahrer» ebenfalls ein Lieblingswort mancher Sicherheitspolitiker. Alsob die aktive aussenpolitische Rolle, die Österreich und die Schweiz einnehmen – ;und gerade heute noch viel mehr einnehmen könnten – eine geringere Bedeutung für das friedliche Zusammenleben der Völker hätte als gemeinsame Schiessübungen!
  • In diesem Sinne auch FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl: «Als neutraler Staat konnte Österreich in den letzten Jahrzehnten in vielen Konflikten als Vermittler auftreten oder war Schauplatz für Verhandlungen.» Kickl erinnert an die rechtliche Verpflichtung Österreichs zur Neutralität: «Der Beitritt zu einem Militärbündnis ist schon durch die Österreichische Bundesverfassung nicht möglich – und das ist gut so.»8
  • Pamela Rendi-Wagner, SPÖ-Vorsitzende: «Unsere aktive Neutralitätspolitik mit einem starken internationalen Friedensengagement hat sich bewährt. Die Neutralität steht für uns nicht zur Diskussion.» Rendi-Wagner sprach sich anlässlich ihres Besuches beim deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz Mitte Mai für verstärkte Anstrengungen im Sinne einer Deeskalation im Ukraine-Krieg aus: «So schwierig die Situation auch ist, Europa darf nichts unversucht lassen, die Ukraine und Russland an den Verhandlungstisch zu bringen und diplomatische Lösungen zu finden.» Die Frage, wie dieser Krieg beendet werden kann, müsse wieder ins Zentrum gerückt werden, so Rendi-Wagner.9  •


1 Republik Österreich, Parlament. «Was macht die österreichische Neutralität aus?» Fachinfos vom 21. März 2022
2 Die Umfrage wurde vom Institut für Demoskopie & Datenanalyse (IFDD) im Auftrag der Austria Presse Agentur APA durchgeführt.
3 Mohr, Martin. «Wichtigkeit der Neutralität in Österreich 2022». In: statista vom 14.3.2022
4 «Ukraine-Krieg: Österreicherinnen und Österreicher laut Umfrage gegen Nato-Beitritt». Der Standard vom 6.5.2022 (APA)
5 Rafi, Reza. «So denkt die Schweiz über Krieg und Neutralität. Das Volk will aufrüsten». Sonntags-Blick vom 17.4.2022
6 «Schallenberg bestätigt erneut Österreichs Neutralität». News ORF vom 21.5.2022
7 «Neutralität - Frage eines NATO-Beitritts stellt sich für die Grünen nicht.» In: Wiener Zeitung Online vom 18.05.2022 (apa)
8 «Es braucht auch keine Modifizierung der Neutralität». Neue Freie Zeitung vom 14. März 2022
9 «Rendi-Wagner bei Scholz: Diplomatie im Ukraine-Krieg alternativlos». SPÖ vom 18.5.2022 (www.spoe.at/2022/05/18)

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