US-Politik und «falsches Narrativ des Westens» schüren Spannungen mit Russland und China

Interview von Amy Goodman und Juan González mit Jeffrey Sachs

Amy Goodman: Wie Politico [am 29. August 20221] berichtet, bereitet sich die Biden-Administration darauf vor, den Kongress um die Genehmigung eines neuen Waffenverkaufs an Taiwan im Wert von 1,1 Milliarden Dollar zu bitten. Das Paket soll 60 Anti-Schiffs-Raketen und 100 Luft-Luft-Raketen umfassen. Dies, nachdem zwei US-Kriegsschiffe am Sonntag [28. August] durch die Strasse von Taiwan fuhren – zum erstenmal seit dem Besuch der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taiwan Anfang des Monats. China verurteilte den Besuch und begann mit grösseren Militärübungen in der Nähe von Taiwan. Derweil kündigte Präsident Biden letzte Woche drei Milliarden Dollar an zusätzlicher Militärhilfe für die Ukraine an, darunter auch Geld für Raketen, Artilleriegeschosse und Drohnen, um die ukrainischen Streitkräfte im Kampf gegen Russland zu unterstützen. Wir beginnen die heutige Sendung mit einem Blick auf die US-Politik gegenüber Russland und China. Bei uns zu Gast ist der Ökonom Jeffrey Sachs, Direktor des Zentrums für nachhaltige Entwicklung an der Columbia University und Präsident des UN Sustainable Development Solutions Network und ehemaliger Berater von drei UN-Generalsekretären. Sein jüngster Artikel trägt die Überschrift «The West’s false narrative about Russia and China». Den Artikel beginnt er mit den Worten: «Die Welt steht am Rande einer nuklearen Katastrophe, und zwar zum grossen Teil deshalb, weil die politischen Führer des Westens es versäumt haben, die Ursachen der eskalierenden globalen Konflikte offen anzusprechen.» Jeffrey Sachs, willkommen bei Democracy Now. Wie wäre es, wenn Sie hier weitermachen?
Jeffrey Sachs: Schön, bei Ihnen zu sein.

Was sollten die Menschen im Westen der Welt bezüglich der aktuellen Geschehnisse in den Konflikten mit Russland, mit Russland und der Ukraine und mit China verstehen?
Der wichtigste Punkt, Amy, ist, dass wir nicht auf Diplomatie setzen, sondern auf Waffen. Der jetzt angekündigte Verkauf an Taiwan, von dem Sie gesprochen haben, ist nur ein weiteres Beispiel dafür. Das macht Taiwan nicht sicherer, das macht die Welt nicht sicherer, das macht die Vereinigten Staaten bestimmt nicht sicherer. Das geht weit zurück, ich denke, es ist sinnvoll, mit dem Ende der Sowjetunion vor 30 Jahren zu beginnen, als sich einige amerikanische Politiker in den Kopf gesetzt hatten, dass es nun eine, wie sie es nannten, unipolare Welt gebe, dass die USA die einzige Supermacht seien und wir das Sagen hätten. Die Folgen waren katastrophal. Wir haben nun drei Jahrzehnte der Militarisierung amerikanischer Aussenpolitik erlebt. Eine neue Datenbank, die die Tufts-[University] unterhält, hat gerade gezeigt, dass die Vereinigten Staaten seit 1991 mehr als 100 militärische Interventionen durchgeführt haben. Es ist wirklich unglaublich, und ich habe in den letzten 30 Jahren, in denen ich viel in Russland, in Mitteleuropa, in China und in anderen Teilen der Welt gearbeitet habe, selbst erlebt, dass die Herangehensweise der USA im Ansatz «zuerst militärisch» und oft auch «ausschliesslich militärisch» ist. Wir rüsten auf, wen wir wollen. Wir fordern die Nato-Erweiterung, ohne Rücksicht darauf, was andere Länder dazu hinsichtlich Schädigung ihrer Sicherheitsinteressen sagen. Wir wischen die Sicherheitsinteressen anderer weg, und wenn sie sich beschweren, liefern wir mehr Rüstungsgüter an unsere Verbündeten in dieser Region. Wir ziehen in den Krieg, wann wir wollen und wo wir wollen, sei es in Afghanistan oder im Irak oder im verdeckten Krieg gegen Assad in Syrien, der bis heute von der amerikanischen Bevölkerung nicht richtig verstanden wird. Oder der Krieg in Libyen. Und wir sagen, wir seien friedliebend. «Was ist los mit Russland und China, sie sind so kriegerisch, sie sind darauf aus, die Welt zu untergraben.» Und wir enden in schrecklichen Konfrontationen. Der Krieg in der Ukraine, nur um die einleitende Betrachtung abzuschliessen, hätte durch Diplomatie vermieden werden können und hätte durch Diplomatie vermieden werden müssen. Seit Jahren hat der russische Präsident Putin gesagt: «Erweitert die Nato nicht bis ans Schwarze Meer, nicht auf die Ukraine und schon gar nicht auf Georgien.» Letzteres liegt, wenn man sich die Karte ansieht, direkt am östlichen Rand des Schwarzen Meeres. Russland sagt: «Damit würde man uns einkreisen, das würde unsere Sicherheit gefährden, lasst uns diplomatisch vorgehen.» Die Vereinigten Staaten lehnten jede Diplomatie ab. Ende 2021 habe ich versucht, das Weisse Haus zu kontaktieren; das heisst ich habe es kontaktiert und gesagt, es werde Krieg geben, wenn die USA keine diplomatischen Gespräche mit Präsident Putin über diese Frage der Nato-Erweiterung aufnehmen. Mir wurde gesagt, die USA würden das niemals tun, das sei vom Tisch, und es war vom Tisch. Nun haben wir einen Krieg, der ausserordentlich gefährlich ist, und wir greifen in Ostasien zu genau derselben Taktik, die zum Krieg in der Ukraine geführt hat: Wir organisieren Allianzen, wir rüsten auf, weisen China zurecht, lassen Sprecherin Pelosi nach Taiwan fliegen, als die chinesische Regierung sagte: «Bitte senkt die Temperatur, baut die Spannungen ab.» Wir sagen nein, wir machen, was wir wollen, und schicken jetzt mehr Waffen. Das ist ein Rezept für einen weiteren Krieg. Meiner Auffassung nach ist das erschreckend: Wir haben den sechzigsten Jahrestag der Kuba-Krise, die ich mein ganzes Leben lang studiert habe und über die ich geschrieben habe; ich habe ein Buch über die Nachwirkungen geschrieben. Wir fahren auf den Abgrund zu, und wir sind von unserem Enthusiasmus erfüllt, während wir das tun. Es ist einfach unverantwortlich gefährlich und starrköpfig, die ganze Herangehensweise der US-Aussenpolitik. Und sie wird von beiden Parteien getragen.

Juan González: Jeffrey Sachs, ich wollte Sie etwas fragen. In einem kürzlich auf Consortium News veröffentlichten Artikel erwähnten Sie unter anderem das Beharren der Vereinigten Staaten – die dabei auch Europa mitziehen –, ihre Hegemonie überall auf der Welt aufrechtzuerhalten, in einer Zeit, in der die wirtschaftliche Macht des Westens abnimmt. Sie haben zum Beispiel erwähnt, dass die BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren und ein grösseres BIP haben als die G-7-Staaten. Und doch werden ihre Interessen und ihre Anliegen ziemlich abgetan, oder sie werden dem amerikanischen Volk wie im Falle Russlands und Chinas unübersehbar als Aggressoren und Autoritäre dargestellt, als diejenigen, die für Unruhe in der Welt sorgen.
Ja, allerdings. Es ist äusserst wichtig, sich damit zu befassen. Die unverhältnismässige Macht der westlichen Welt und insbesondere der angelsächsischen Welt, die mit dem Britischen Empire begann und jetzt die Vereinigten Staaten umfasst, ist etwa 250 Jahre alt, also eine kurze Periode in der Weltgeschichte. Das geschah aus vielen sehr interessanten Gründen: Die Industrielle Revolution kam zuerst nach England, die Dampfmaschine wurde dort erfunden. Das ist vielleicht die wichtigste Erfindung der modernen Geschichte. Grossbritannien wurde im 19. Jahrhundert militärisch so dominant, wie es die Vereinigten Staaten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren. Grossbritannien hatte das Sagen. Grossbritannien hatte ein Empire, in dem die Sonne nie unterging, und der Westen, das heisst die Vereinigten Staaten und Westeuropa, das heisst jetzt die USA und die Europäische Union, das Vereinigte Königreich, Kanada, Japan, mit anderen Worten die G7 und die Europäische Union zusammen, umfassen einen kleinen Teil der Weltbevölkerung, vielleicht 10 Prozent, ein bisschen mehr, vielleicht 12,5 Prozent, wenn man Japan zu Westeuropa und den USA hinzufügt. Aber die Denkweise ist: Wir regieren die Welt. Und so war es 200 Jahre lang in diesem Industriezeitalter.
  Aber die Zeiten haben sich geändert. Seit den 1950er Jahren hat der Rest der Welt, als er seine Unabhängigkeit vom europäischen Imperialismus erlangte, begonnen, seine Bevölkerungen auszubilden, Technologien anzunehmen und anzupassen und Innovationen einzubringen. Und siehe da: Es war nicht wirklich so, dass ein kleiner Teil die Welt beherrschte, er hatte kein Monopol auf Weisheit oder Wissen oder Wissenschaft oder Technologie. Und das ist wunderbar: Das Wissen und die Möglichkeit, ein Leben in ordentlichen Verhältnissen zu führen, breitet sich in der ganzen Welt aus. Allerdings besteht in den Vereinigten Staaten eine Abneigung dagegen, eine tiefe Abneigung, und ich glaube, es herrscht auch eine enorme historische Ignoranz, denn ich glaube, viele US-Führer haben keine Ahnung von moderner Geschichte. Aber sie verübeln China seinen Aufstieg – das ist ein Affront gegen die Vereinigten Staaten, wie kann China es wagen, aufzusteigen, das ist unsere Welt, das ist unser Jahrhundert. Und so habe ich ab 2014 gesehen und im Detail beobachtet, weil es meine tägliche Arbeit ist, wie die Vereinigten Staaten China Schritt um Schritt von einem Land, das sich von anderthalb Jahrhunderten grosser Schwierigkeiten erholt, zu einem Feind umschreiben.
  Wir begannen bewusst, es zu einer Angelegenheit amerikanischer Aussenpolitik zu machen, zu sagen, dass wir Chinas Aufstieg eindämmen müssten. Chinas Aufstieg sei nicht mehr in unserem Interesse – als ob es an den Vereinigten Staaten wäre, zu bestimmen, ob China prosperiert oder nicht. Die Chinesen sind nicht naiv, sie sind vielmehr ausserordentlich gebildet. Sie haben das alles genau so beobachtet wie ich.
  Die Autoren der US-Texte kenne ich, es sind meine Kollegen in Harvard und an anderen Orten. Ich war schockiert, als diese Art von Eindämmungsidee angewandt wurde. Der grundlegende Punkt allerdings ist, dass der Westen die Welt für eine kurze Zeitspanne von 250 Jahren angeführt hat, wir aber glauben, das sei unser Recht, dies sei eine westliche Welt, wir sind die G7, wir dürften bestimmen, wer die Spielregeln schreibt. Tatsache ist, dass Obama, einer der Besseren im Spektrum dessen, was wir an Aussenpolitik haben, sagte: Lasst uns die Handelsregeln für Asien schreiben, China soll keine dieser Regeln schreiben. Das ist eine unglaublich naive und gefährliche und unzeitgemässe Art und Weise, die Welt zu verstehen. Wir in den Vereinigten Staaten sind 4,2 Prozent der Weltbevölkerung. Wir regieren nicht die Welt. Wir sind nicht der Anführer der Welt. Wir sind ein Land mit 4,2 Prozent der Bevölkerung in einer grossen, vielfältigen Welt, und wir sollten lernen, miteinander auszukommen, friedlich im Sandkasten zu spielen und nicht zu verlangen, dass wir alle Spielsachen im Sandkasten haben. Wir haben diese Denkweise noch nicht überwunden, sie betrifft beide politischen Parteien, es ist das, was Sprecherin Pelosi dazu motiviert, mitten in all dem nach Taiwan zu reisen, als ob sie das wirklich tun müsste, um die Spannungen zu schüren. Aber es ist die Denkweise, wonach die USA das Sagen haben.

Ich möchte ein wenig in die 1990er Jahre zurückgehen. Sie erinnern sich sicher an den enormen finanziellen Zusammenbruch, der in Mexiko in den 1990er Jahren stattfand, als die Clinton-Regierung 50 Milliarden Dollar für die Rettung Mexikos bewilligte, die in Wirklichkeit Wall-Street-Investoren zugute kamen. Zu dieser Zeit berieten Sie die postsowjetische russische Regierung, die damals ebenfalls grosse finanzielle Probleme hatte, aber nicht in der Lage war, nennenswerte westliche Hilfe zu erhalten, auch nicht vom Internationalen Währungsfonds. Sie standen dem damals kritisch gegenüber. Es würde mich interessieren, ob Sie etwas zu den Unterschieden sagen könnten, wie die USA auf die Mexiko-Krise im Vergleich zur russischen Finanzkrise reagierten, und was davon möglicherweise Wurzeln für die heutige Situation in Russland gewesen sein könnten.
Ja. Ich hatte ein kontrolliertes Experiment, denn ich war Wirtschaftsberater sowohl für Polen als auch für die Sowjetunion im letzten Jahr von Präsident Gorbatschow und für Präsident Jelzin in den ersten beiden Jahren der russischen Unabhängigkeit 1992–1993. Meine Aufgabe war es, Russland dabei zu helfen, einen Weg zu finden, um, wie Sie es beschrieben haben, eine massive Finanzkrise zu bewältigen. Meine grundlegende Empfehlung in Polen und dann in der Sowjetunion und in Russland war, eine gesellschaftliche Krise und eine geopolitische Krise zu vermeiden. Die reiche westliche Welt sollte dabei helfen, diese aussergewöhnliche Finanzkrise einzudämmen, die mit dem Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion stattfand.
  Interessanterweise habe ich im Falle Polens eine Reihe sehr spezifischer Empfehlungen gegeben, die von der US-Regierung alle angenommen wurden: Man richtete einen Stabilisierungsfonds ein, erliess einen Teil der polnischen Schulden und ermöglichte viele finanzielle Manöver, um Polen aus den Schwierigkeiten herauszuholen. Und wissen Sie, ich klopfte mir selbst auf die Schulter. Oh, sehen Sie sich das an, ich habe eine Empfehlung abgegeben, und eine davon, die einen Stabilisierungsfonds in Höhe von einer Milliarde Dollar vorsah, wurde innerhalb von acht Stunden vom Weissen Haus angenommen. Also, dachte ich mir, das ist ziemlich gut. Dann kam der analoge Appell zunächst im Namen von Gorbatschow in den letzten Tagen [seiner Amtszeit] und danach von Präsident Jelzin. Alles, was ich empfohlen habe und was auf der gleichen Grundlage von Wirtschaftsdynamik beruhte, wurde vom Weissen Haus rundweg abgelehnt. Ich habe es nicht verstanden, das muss ich Ihnen sagen. Damals sagte ich: «Aber es hat in Polen funktioniert!» Sie starrten mich mit leerem Blick an. Tatsächlich sagte ein amtierender Aussenminister 1992: «Professor Sachs, es spielt keine Rolle, ob ich Ihnen zustimme oder nicht, es wird nicht geschehen.» Ich brauchte tatsächlich eine ganze Weile, um die zugrundeliegende Geopolitik zu verstehen. Es waren genau die Tage von Cheney und Wolfowitz und Rumsfeld und dem, was zum Projekt für das Neue Amerikanische Jahrhundert [Project for a New American Century PNAC] wurde, das heisst, für die Weiterführung der amerikanischen Hegemonie. Das hatte ich zu dem Zeitpunkt nicht gesehen, weil ich als Wirtschaftswissenschaftler darüber nachdachte, wie man zur Überwindung einer Finanzkrise beitragen könnte. Aber die unipolare Politik nahm Gestalt an, und das war natürlich verheerend, denn es führte zu einer massiven Finanzkrise in Russland. Sie brachte eine grosse Instabilität mit sich, die ihre eigenen Auswirkungen für die kommenden Jahre hatte. Was diese Leute aber trotz ausdrücklicher Versprechen an Gorbatschow und Jelzin darüber hinaus schon früh planten, war die Erweiterung der Nato. Clinton begann die Nato-Erweiterung mit den drei mitteleuropäischen Ländern Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik. George W. Bush jr. fügte sieben Länder hinzu: Bulgarien, Rumänien, die Slowakei, Slowenien und die drei baltischen Staaten. Direkt gegen Russland. Im Jahr 2008 folgte der finale Akt, als sich die USA gegen den persönlich geäusserten Widerstand der europäischen Staats- und Regierungschefs – die europäischen Staats- und Regierungschefs sprachen damals mit mir unter vier Augen darüber – durchsetzten. 2008 sagte Bush, die Nato werde sich auf die Ukraine und Georgien ausdehnen. Und noch einmal: Nimmt man eine Karte zur Hand und sieht sich das Schwarze Meer an, zeigt sich das ausdrückliche Ziel, Russland im Schwarzen Meer einzukreisen. Es ist übrigens ein altes Playbook, dasselbe Playbook wie dasjenige, das Palmerston 1853 bis 1856 im ersten Krim-Krieg verfolgte: Russland vom Schwarzen Meer her einkesseln und ihm die Möglichkeit nehmen, militärisch präsent zu sein und irgendeinen Einfluss auf das östliche Mittelmeer auszuüben. Brzezinski selbst sagte 1997, dass die Ukraine der geografische Dreh- und Angelpunkt für Eurasien sein würde. Was diese Neokons also in den frühen 1990er Jahren verfolgten, war der Aufbau einer unipolaren Welt durch die USA. Und sie zogen bereits zahlreiche Kriege in Erwägung, um die ehemaligen sowjetischen Verbündeten auszuschalten: Kriege, um Saddam zu stürzen, Kriege, um Assad zu stürzen, Kriege, um Gaddafi zu stürzen. Diese Kriege wurden alle in den nächsten 20 Jahren geführt. Sie waren ein komplettes Desaster, eine Katastrophe für diese Länder und schrecklich für die Vereinigten Staaten. Billionen von Dollars wurden verschwendet. Aber es war ein Plan, und dieser neokonservative Plan hat jetzt an zwei Fronten Hochkonjunktur: in der Ukraine und in der Strasse von Taiwan. Es ist ausserordentlich gefährlich, was diese Leute der amerikanischen Aussenpolitik antun, die wohl kaum eine Politik der Demokratie ist, sondern eine Politik einer kleinen Gruppe, welche die Idee hat, eine unipolare Welt und die Hegemonie der USA sei der Weg, den wir gehen müssten.

Amy Goodman: Jeffrey Sachs, wir haben nicht viel Zeit, aber da dies ein grosses Thema war, dass Naomi Klein Sie mit der Schock-Doktrin aufs Korn genommen hatte und über Sie sagte, dass Sie die Schocktherapie empfahlen: Können Sie einen Bogen schlagen von dem, was geschah, als die russische Wirtschaft aus den Fugen geriet, und den Bedingungen, die zur Invasion der Ukraine führten? Ich meine, wie hat die wirtschaftliche Katastrophe, die auf den Zusammenbruch der Sowjetunion folgte, zum Aufstieg der oligarchischen Klasse und zur Präsidentschaft von Wladimir Putin geführt?
Ja, ich habe jahrelang versucht, Naomi, die ich sehr bewundere, zu erklären, dass das, was ich empfahl, finanzielle Hilfe war, sei es für Polen oder für die Sowjetunion oder für Russland. Ich war absolut entsetzt über den Betrug, die Korruption und die Werbegeschenke, und ich sagte das damals sehr deutlich und trat deswegen zurück, zum einen, weil der Versuch, westliche Hilfe zu bekommen, zwecklos war, aber auch, weil ich überhaupt nicht mochte, was da vor sich ging. Ich würde sagen, dass das Scheitern eines geordneten Vorgehens, das in Polen erreicht wurde, aber in der ehemaligen Sowjetunion scheiterte, weil es kein westliches konstruktives Engagement gab, definitiv eine Rolle bei der Instabilität in den 1990er Jahren spielte, definitiv eine Rolle beim Aufstieg der Oligarchenklasse spielte. Ich habe den USA und dem IWF und der Weltbank 1994/95 wirklich erklärt, was vor sich ging. Es war ihnen egal, weil sie dachten, das ist okay, das ist für Jelzin, vielleicht – all der Betrug in dem Kredite-für-Aktien-Ablauf. Allerdings denke ich, ist es wichtig zu sagen, dass es keinen linearen Determinismus gibt, auch nicht von Ereignissen wie diesen, die destabilisierend und sehr unglücklich und unnötig waren, bis zu dem, was jetzt passiert. Denn als Präsident Putin ins Amt kam, war er nicht antieuropäisch, er war nicht anti-amerikanisch. Was er jedoch sah, war die unglaubliche Arroganz der Vereinigten Staaten, die Ausweitung der Nato, die Kriege im Irak, der verdeckte Krieg in Syrien, der Krieg in Libyen gegen die UN- Resolution. Wir haben also durch unsere eigene Unfähigkeit und Arroganz so viel von dem geschaffen, womit wir jetzt konfrontiert sind. Es gab keinen linearen Determinismus, es war Schritt um Schritt US-Arroganz, die dazu beigetragen hat, uns dahin zu bringen, wo wir heute sind.  •



1 https://www.politico.com/news/2022/08/29/biden-taiwan-arms-sales-congress-00054126.
Politico ist eine US-amerikanische Zeitung. 2007 in den Vereinigten Staaten gegründet, entwickelte sie sich laut Wikipedia zu einem der wichtigsten Medien im Washingtoner Politikbetrieb. Während der Sitzungszeiten des Kongresses erscheint sie fünfmal pro Woche, ansonsten wöchentlich. Seit 2015 erscheint in Brüssel eine europäische Ausgabe. 2021 Verkauf von Politico und Politico Europe an den Medienkonzern Axel Springer. (Anm. d. Red.)

Quelle: Democracy now. https://www.youtube.com/watch?v=wmOePNsNFw0 vom 30.8.2022

(Übersetzung Zeit-Fragen)

«Die gleiche Fehlinformation gab es auch gegenüber Syrien. Die westliche Presse ist voll von Schuldzuweisungen gegen die militärische Unterstützung des russischen Präsidenten Wladimir Putin für den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad seit 2015, ohne zu erwähnen, dass die USA den Sturz von al-Assad seit 2011 unterstützten, wobei die CIA eine umfangreiche Zusammenarbeit (Timber Sycamor*) finanzierte, um Assad zu stürzen, Jahre bevor Russland kam.»

* Timber Sycamore: Name der verdeckten CIA-Operation zur Ausbildung und Bewaffnung sogenannter gemässigter syrischer Rebellen]

Sachs, Jeffrey. «Das westliche Narrativ über Russland und China.» In: Consortium News vom 24.8.2022; https://consortiumnews.com/2022/08/24/the-western-narrative-on-russia-china/

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