Ständerat und Nationalrat lehnen neutralitätswidrige Aufweichungen des Waffenexportverbotes ab

mw. Unter dem Titel «Rückbesinnung auf die Schweizer Neutralität – Wir haben anderes zur Verfügung als Waffenlieferungen in Kriegsstaaten» hat «Zeit-Fragen» am 3. Februar dieses Jahres verschiedene parlamentarische Vorstösse zur Aufweichung der Vorschriften im Kriegsmaterialgesetz vorgestellt. Es geht um einen Grundsatzentscheid: Sollen wir zulassen, dass in der Schweiz erworbene Waffen an Staaten weitergeliefert werden können, die sich im Krieg befinden, oder sollen wir das Neutralitätsgebot unserer Bundesverfassung höher werten?

Beide Räte haben zwei dieser Vorschläge nun in der Frühjahrssession diskutiert und darüber abgestimmt.
  Am 6. März 2023 hat der Ständerat erfreulicherweise die Motion von Thierry Burkart (FDP AG)1, welche die heute gesetzlich vorgeschriebenen Nichtwiederausfuhr-Erklärungen für Länder «mit gleichen Werten» grundsätzlich abschaffen wollte, mit 23 gegen 18 Stimmen (2 Enthaltungen) deutlich abgelehnt. Nein sagten die Ratsmitglieder der SP, der Grünen Partei und der SVP sowie rund die Hälfte der Mitte-Fraktion, gegen den Freisinn und den anderen Teil der Mitte. Damit ist die Motion definitiv gescheitert. In ihren Stellungnahmen brachten etliche Ständeratsmitglieder zum Ausdruck, dass sie nicht gewillt sind, die Neutralität als unverzichtbaren Pfeiler des Schweizer Staatssystems fallenzulassen.
  Den Höhepunkt dieser denkwürdigen Ratsdebatte bildete zweifellos die staatsmännische Rede von Ständerat Daniel Jositsch (SP, ZH), die wir hier wörtlich wiedergeben.

Nationalrat gegen willkürliche Aufhebung der
Nichtwiederausfuhr-Erklärungen durch den Bundesrat

Am 8. März 2023 behandelte der Nationalrat eine Motion seiner Sicherheitspolitischen Kommission (SiK) zur Änderung des Kriegsmaterialgesetzes, die als «Kompromiss» zwischen den bisher vorliegenden Vorstössen den starken Willen einer grossen Zahl von Parlamentariern zur Erhaltung der Neutralität knacken sollte.
  Eine hauchdünne Mehrheit (98 gegen 96, 2 Enthaltungen) stimmte leider dem neuen Absatz 3 von Art. 18 KMG zu. Danach könnte der Bundesrat die Nichtwiederausfuhr-Erklärung eines Landes, das Schweizer Kriegsmaterial gekauft hat, für aufgehoben erklären, wenn der Uno-Sicherheitsrat einen Widerspruch zum völkerrechtlichen Gewaltverbot festgestellt hat. Der umstrittenste Teil des Motionstextes war aber Absatz 4, wonach der Bundesrat eine Nichtwiederausfuhr-Erklärung auch dann aufheben könnte, «wenn die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit Zweidrittelmehrheit den Verstoss gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot festgestellt hat.»2 Eine willkürliche Konstruktion, die der Uno-Generalversammlung eine Kompetenz zuspricht, die sie gemäss Uno-Recht nun einmal nicht hat – auch nicht mit Zweidrittelmehr. Dieser Absatz 4 wurde vom Nationalrat klar mit 117 Nein zu 78 Ja, bei einer Enthaltung, abgelehnt. Nein-Stimmen kamen vor allem aus FDP, SVP und von den Grünen. Dass die FDP fast einstimmig die Aufweichung des Nichtwiederausfuhr-Verbots abgelehnt hat, ist atypisch und vermutlich auch damit zu erklären, dass der Vorstoss vor allem von der SP initiiert wurde und diese zwei Tage vorher im Ständerat gegen die Motion der FDP gestimmt hat. Weil ein Teil der Motion angenommen wurde, wird der Ständerat in der Sommersession darüber abstimmen.  •



1 Motion 22.3557 «Neutralität wahren, STIB [Sicherheitsrelevante Technologie- und Industriebasis, das heisst die Schweizer Rüstungsindustrie] stärken. Abschaffung der Nichtwiederausfuhr-Erklärung für Länder mit gleichen Werten und vergleichbarem Exportkontrollregime»
2 Motion 23.3005 «Änderung des Kriegsmaterialgesetzes»

Stellungnahme von Ständerat Daniel Jositsch (SP, ZH) am 6. März 2023 im Ständerat

«Ich werde die Motion Burkart ablehnen, ebenso wie die anderen entsprechenden Motionen, die früher oder später wahrscheinlich auch wieder zu uns kommen werden, und zwar aus den folgenden drei Gründen:

1. Die Neutralität steht hier nun einmal wirklich im Zentrum. Deshalb ist sie auch entsprechend zu behandeln. Die bewaffnete Neutralität, wie sie unsere Verfassung heute kennt, wurde im Rahmen des Wiener Kongresses von den europäischen Grossmächten festgelegt. Die Schweiz stand damals im Zentrum internationaler Konflikte. Napoleon war gerade überwunden worden; es galt nun, eine neue Ordnung in Europa zu schaffen. Die Schweiz erhielt in diesem Kontext die Position als neutrales Land. Wenn ich das richtig aus den Geschichtsbüchern nachvollziehe, fand das damals nicht jeder in der Schweiz gut. Langfristig erwies sich die bewaffnete Neutralität in der Schweiz aber doch als Erfolgsmodell. Auf der einen Seite ermöglichte sie es der Schweiz, in den letzten 200 Jahren nicht in internationale Konflikte – insbesondere in den Ersten und Zweiten Weltkrieg – involviert zu werden. Ausserdem konnte sich die Schweiz auf Grund ihrer Neutralität international als Brückenbauer-Nation etablieren. Es wurde ihr möglich, Standort sehr vieler internationaler Organisationen zu werden, aber auch, zwischen einzelnen Staaten zu vermitteln, die im Konflikt standen. Nicht zufällig nahm die Schweiz die Interessen der USA in Kuba wahr, und nicht zufällig nimmt sie die Interessen der USA im Iran wahr. Sie war auch schon verschiedentlich Hort und Geburtsgeberin für die Lösung internationaler Konflikte. Das alles hat die Neutralität der Schweiz ermöglicht.
  Wir sind ja auch stolz auf die Neutralität. Wir reisen gerne durch die Welt mit dem Schweizer Pass. Wir sind überall herzlich willkommen, werden überall geschätzt.
  Neutralität – Herr Minder hat es gesagt – ist nicht nur für Friedenszeiten schön. Sie ist vor allem in Kriegszeiten wirksam. Hier hat sich eben seit den Zeiten des Wiener Kongresses etwas geändert. Früher, ungefähr bis zum Zweiten Weltkrieg, gab es das sogenannte ius ad bellum, das Recht, Krieg zu führen. Ein Staat konnte einem anderen Staat den Krieg erklären, und das war so in Ordnung, das war geltendes Recht.
  Spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg gibt es dieses ius ad bellum aber eigentlich nicht mehr. Jeder Krieg ist falsch. Natürlich wird manchmal darüber diskutiert, wer wen angegriffen hat. Letztlich hat jemand irgend jemanden angegriffen. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist jeder Krieg falsch, jeder Krieg ein Verbrechen, ein Verstoss gegen internationales Recht. Damit hat die Neutralität natürlich auch eine andere Bedeutung erhalten. Man kommt als neutraler Staat in eine andere Situation. Früher, als Krieg gerecht war, war man als Neutraler bei allen herzlich willkommen. Es war überhaupt kein Problem.
  Jetzt ist man faktisch nicht auf der Seite des Angegriffenen. Neutralität auszuhalten, ist also schwieriger. Das heisst, in Friedenszeiten, wenn Sie an 1. August-Feiern unsere Neutralität beschwören oder durch die Welt reisen und sich als neutrale Schweizer feiern lassen, ist das schön. Aber die Neutralität kommt im Krieg zum Zug. Dann muss man sie aushalten können. Ja, Herr Burkart, Sie haben Recht, wenn man nicht auf der Seite des Guten steht, dann hilft man, wenn Sie so wollen, dem Bösen, dem Aggressor. Aber das muss man aushalten, wenn man neutral ist, das ist so, das ist unangenehm.
  Wenn Sie sagen, Sie wollten das nicht: Bitte sehr, dann ändern Sie die Bundesverfassung, machen Sie eine Volksabstimmung! Vielleicht sagt dann die Mehrheit, sie wolle das nicht mehr, man fände es zu unangenehm, dass man der Ukraine nicht helfen könne und in zukünftigen Konflikten dem Angegriffenen nicht helfen könne. Machen Sie eine solche Volksabstimmung – ich bezweifle allerdings, dass Sie diese Volksabstimmung gewinnen werden.
  Ich bin vielmehr überzeugt, dass die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer an der Neutralität festhalten würde. Aber man muss dann auch neutral bleiben.
  Jetzt können Sie rechtlich argumentieren, aber ich sage Ihnen das als Jurist: Neutralität ist nicht das, was wir hier in diesem schönen Gebäude definieren, sondern Neutralität hängt von dem ab: Wie nehmen die Kriegsparteien – nicht die europäischen Staaten – die Position der Schweiz wahr? Eines ist klar: Wenn einem eine Patronenkugel entgegengeflogen kommt, auf der «Swiss made» steht, dann findet man nicht, dass die Schweiz neutral sei. Sie haben gesagt, dass man nicht mehr neutral sei, wenn man Truppen schicke. Selbstverständlich ist das so, aber heute bedeutet Unterstützung, Eintritt in den Konflikt nicht nur – wie man klar sieht –, dass man Truppen schickt. Die US-Amerikaner schicken keine Truppen, die Deutschen schicken keine Truppen; heute werden Waffen geliefert, und damit wird auf das Kriegsgeschehen Einfluss genommen. Deshalb kann man nicht neutral sein, wenn man zulässt, dass schweizerische Rüstungsgüter – ob direkt oder indirekt – in das Kriegsgebiet geführt werden. Von dem her bin ich einfach der Meinung, dass Sie, wenn schon, Ross und Reiter benennen müssen. Wenn Sie die Neutralität aufgeben wollen, dann versuchen Sie das, aber machen Sie es auf dem richtigen Weg, indem Sie versuchen, die Verfassung zu ändern.

2. Sie haben gesagt, man könne die Regeln auch während des Spiels ändern; sie würden ja quasi für die Zukunft gelten. Ja, aber die Verträge wurden in der Vergangenheit gemacht. Und man ist dann – das ist der zweite Punkt – nicht mehr glaubwürdig. Das, was Sie betreiben wollen, haben wir in der Kommission als «Ad-hoc-Neutralität» bezeichnet – und das wäre es auch. Sie können nicht sagen: Wir sind neutral, aber je nach Situation schauen wir dann, wie wir irgendwie darum herumkommen; wir ändern die Regelung gleich noch für die bestehenden Verträge.
  Was Sie da aufs Spiel setzen wollen, ist die Glaubwürdigkeit der Schweiz. Sie haben es jetzt zugegeben, und auch Herr Salzmann hat es gesagt: Eigentlich geht es bei der Motion ja gar nicht darum, die Ukraine zu unterstützen, sondern es geht vor allem darum, unsere Waffenindustrie beizubehalten. Ich muss Ihnen sagen, ich verstehe Sie vor diesem Hintergrund sogar. Als wir die letzten Verschärfungen betreffend Waffenausfuhr und Wiederausfuhr gemacht haben, waren Sie dagegen. Damals sagten Sie, Sie wollten unsere Rüstungsindustrie unterstützen. Insofern verstehe ich sogar, dass Sie den politischen Wind jetzt auszunützen versuchen, um das rückgängig zu machen, was wir schon einmal entschieden haben. Aber da möchte ich jetzt vor allem in Richtung Mitte argumentieren, die damals ja diese Verschärfungen unterstützt hat. Damals sind Sie unter Druck geraten, weil plötzlich Waffen aus der Schweiz irgendwo in dieser Welt aufgetaucht sind. Es gab grosse Medienberichte, und Sie haben gesagt, man müsse etwas machen – mit uns zusammen; wir haben schon immer gesagt, dass man etwas machen muss. Sie haben gesagt: Jawohl, wir helfen mit. Nun, zwei Jahre später, ist es wieder ein bisschen weniger bequem, diese Position einzunehmen. Jetzt wollen Sie sie wieder ändern. So können wir doch keine Gesetzgebung machen! Wir können uns doch nicht von den Medienschaffenden vorschreiben lassen, ob wir uns jetzt gerade wohl oder unwohl fühlen mit unseren Entscheidungen, und diese dann einfach mal so zu fällen und dann wieder rückgängig zu machen, je nachdem, wie wir das wollen. So machen wir uns unglaubwürdig.

Der letzte Punkt, und das scheint mir das Wesentliche zu sein, was wir berücksichtigen müssen: Sie haben gefragt, was das Bild ist, das wir gegen aussen abgeben. Gefällt es den anderen europäischen Staaten oder nicht? Ja, ist das jetzt das Wesentliche? Müssen wir jetzt jedem auf dieser Welt gefallen? Müssen wir so -Politik machen und unsere grundsätzlichen Werte je nachdem aufs Spiel setzen?
  Überlegen Sie einmal, worum es eigentlich geht: Das Kriegsmaterial, das jetzt indirekt über die Aufweichung der Nichtwiederausfuhrbestimmung in ein Kriegsgebiet gelangen soll, ist ja noch nicht einmal kriegsentscheidend. Es ist noch nicht einmal so, dass wir jetzt darüber entscheiden würden, dass die Ukraine eine reelle Chance hat, um sich zu verteidigen. Gott sei Dank machen das andere wie insbesondere die USA. Es geht also nur darum, dass wir gegenüber dem europäischen Ausland gut dastehen. Das ist nicht die entscheidende Frage – wie ich Ihnen gesagt habe: Neutralität ist auch einmal unangenehm, aber das ist einfach so, und das können wir auch aushalten, und das müssen wir auch aushalten.
  Deshalb bitte ich Sie hier, die Motion Burkart 22.3557 abzulehnen.»

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